Berlin-In diesem Sommer gibt es im Zusammenhang mit Corona kein größeres Thema als dieses: Sollen sich Kinder impfen lassen? Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt derzeit eine Corona-Impfung für 12- bis 17-Jährige, aber nur dann, wenn „aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung“ besteht. „Derzeit nicht allgemein empfohlen“ wird die Impfung bei Jugendlichen ohne Vorerkrankungen, ist aber nach ärztlicher Aufklärung generell „möglich“. Doch was sagen die Kinder und Jugendlichen selbst? Wir haben mit fünf von ihnen gesprochen.

Am 14./15. August 2021 im Blatt:
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Joosten, 16 Jahre: „Man hat seine Freiheit zurück“
Ich bin spontan im Juni geimpft worden, nachdem bei einem Transport von Impfstoffen die Kühlkette unterbrochen war und die Impfdosen sofort verbraucht werden mussten. Es gab eine Nachricht in unserem Landkreis und ich bin mit meinen Eltern dann dahin. Wir standen zwei Stunden an, da waren unendlich viele Leute, ich hatte aber Glück. Sonst hätte ich sicher noch ewig auf einer Liste gestanden. Ich stand schon auf einer Warteliste des Bundeslandes. Ich war nicht unbedingt aufgeregt, weil es eine Corona-Impfung ist. Bei jeder Spritze ist man ja ein bisschen nervös. Ich hatte auch keine Angst vor Nebenwirkungen. Der Arm tat ein wenig weh, ich war müde, nach der zweiten Impfung hatte ich Kopfschmerzen. Ich hab’s gut überstanden.
Mir war klar: Wenn ein Impfstoff rauskommt, muss man sich irgendwann impfen lassen. Auch, damit die Pandemie schneller vorbeigeht. Meine Freunde sehen das ähnlich: Wir wollen unsere Freiheit genießen, jetzt, wo wir noch jung sind. Durch die Corona-Zeit hat man etwas verpasst. Ich hatte schon Anfang des Sommers gedacht, dass früher oder später nur Geimpfte bestimmte Dinge machen dürfen, auf Festivals gehen zum Beispiel oder ins Restaurant. Das möchte ich beides gerne machen und es ist jetzt viel einfacher geworden.

Ich bin jetzt doppelt geimpft und habe einfach mehr Freiheit. Ich fühle mich auch geschützter. Ich habe keine Angst mehr davor, rauszugehen, etwas zu unternehmen oder so. Man hat seine Freiheit zurück. Zu Beginn der Sommerferien wurde auch an unserer Schule geimpft. Das Thema selbst war aber kein Thema. Es gab auch keine Kampagne, dass man sich impfen lassen sollte. Eher ein freiwilliges Angebot.
Ich verstehe Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Es war eine schnelle Entwicklung des Impfstoffs, alles sehr kurzfristig, das verunsichert auch. Wenn Menschen die Langzeitfolgen der Impfung erst einmal sehen wollen, kann ich das verstehen. Ich habe mir aber gedacht, das ist letztlich wie eine Grippeimpfung, es gibt Schlimmeres. Impfgegner aber, die Verschwörungstheorien ohne Belege verbreiten, kann ich nicht ernst nehmen. Es gibt leider immer weniger Impfwillige, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Das ist schon ein Problem.
Lina, 16 Jahre: „Ich vertraue der Stiko“
Ich bin doppelt geimpft und habe seit zwei Wochen den vollen Impfschutz. Ich fühle mich gut, sicherer und wohler. Auch gegenüber anderen. Am Tag der zweiten Impfung war ich ziemlich aufgeregt, weil ich wusste, dass ich danach komplett geimpft bin. Ich habe von der Kirche ein Impfangebot bekommen, weil ich als Begleitperson auf eine Sommerfreizeit für Kinder- und Jugendliche gefahren bin. Ich hatte eine Arbeitgeberbescheinigung und war impfberechtigt. Ich war mir zu Beginn sehr sicher, dass ich mich impfen lassen möchte und habe mit meinen Eltern darüber geredet. Kurz danach kam das Gerücht in der Öffentlichkeit auf, dass man aufgrund der Impfung unfruchtbar werden kann. Ich habe mich darüber informiert, erst im Internet und dann mit meinem Hausarzt und meiner Frauenärztin darüber gesprochen. Beide haben das Gerücht entkräften können. Meine Frauenärztin sagte dennoch, dass man nicht wissen kann, welche Langzeitfolgen eine Impfung habe. Die Stiko hat dies jedoch ausreichend geprüft und für meine Altersgruppe zugelassen. Ich hätte mich auch unabhängig von der Kirche um eine Impfung gekümmert, aber der Freizeitjob war schon ein Anstoß.

Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt für meine Familie mehr da sein kann. In der Corona-Zeit hatte ich viel Kontakt zu meiner Oma. Nun sind wir beide doppelt geimpft und fühlen uns natürlich sicherer. Ich fühle mich jetzt generell sicherer, auch mit Freunden oder beim Hobby. Meine Geburtstagsfeier ist ausgefallen, ich habe mein Hobby nicht ausführen können. In meinem Kickbox-Verein gab es in der Vergangenheit einen Corona-Fall, trotz Hygienevorschriften.
Meine Schwester ist noch nicht geimpft, sie ist 14 und möchte das noch nicht. Ich finde das richtig so, ich vertraue der Stiko in ihren Empfehlungen. An ihrer Stelle würde ich das genauso machen. Ich habe mit meinen Freundinnen darüber gesprochen, die meisten sind über 16 und fürs Impfen. Eine Freundin möchte aber noch abwarten. Wenn man das Risiko abwägt, ist es doch sehr gering, stark an Corona zu erkranken, dafür ist das Risiko einer Nebenwirkung aber hoch. Ich finde das okay, dass man dann abwartet.
Ich lasse mich weiterhin testen, man kann es ja trotzdem übertragen. Wir haben es einmal ausgerechnet, bei ungefähr 1100 Schülern würden 50 Schülerinnen und Schüler meiner Schule trotz Impfung an Corona erkranken, mit einem leichten Verkauf zwar, aber dennoch. Auch eine Freundin von mir hat sich mit dem Virus infiziert, obwohl sie doppelt geimpft war.
Sophia*, 13 Jahre: „Die Menschen sollen nicht so streiten“
Ich möchte mich erst einmal nicht impfen lassen. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber ich bin unsicher. Ich weiß nicht genau, welche Langzeitfolgen es hat, geimpft zu sein. Ich möchte erst einmal schauen, wie andere darauf reagieren. Ich habe einige Texte gelesen, dass es manchen, die geimpft wurden, nicht so gut geht. Als wir in der Schule über das Thema geredet haben, haben uns die Lehrer informiert, einige haben dann sofort gesagt, dass sie das möchten. Andere sind zurückhaltender, aber es gab keinen Streit darüber in meiner Klasse.
Meine Eltern haben es mir freigestellt, ob ich mich impfen lasse, sie sind aber beide noch nicht geimpft. Auch viele meiner Freundinnen sind noch nicht geimpft. Ich habe nicht so viel Angst davor, mich mit Corona anzustecken, weil die Krankheit bei Kindern nicht so schlimm wirkt. Wenn die Impfung besser getestet ist und man sie gut verträgt, kann ich mir schon vorstellen, mich impfen zu lassen.
Die Corona-Zeit war für mich schon anstrengend. Ich durfte meine Freunde nur selten sehen und war viel zu Hause. Inzwischen ist unsere Internetverbindung besser, aber in den ersten Monaten des Lockdowns hat es oft nicht so gut funktioniert. Da war es schwierig, am Computer immer alle Aufgaben zu erledigen. Ich bin froh, dass das jetzt vorbei ist, vor allem weil ich auch wieder zum Turnen gehen kann. Das macht mir großen Spaß. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sich die Menschen, die unterschiedliche Meinungen haben, nicht so streiten. (* Name der Redaktion bekannt)
Matilda, 15 Jahre: „Ich wünsche mir Normalität zurück“
Ich bin jetzt einmal geimpft. Ich hatte bereits einen früheren Impftermin, wurde aber erst Ende Juli geimpft. Im Impfzentrum wurde ich beim ersten Termin trotz einer Bescheinigung vom Arzt abgewiesen, weil ich noch nicht 16 bin. Das war total blöd, ich hatte mich so auf den Termin gefreut. Die Hotline der Impfvergabe hatte dem Termin zugestimmt, später haben wir herausgefunden, dass es eine bundesweite Hotline ist und die Empfehlungen pro Bundesland unterschiedlich waren.
Das Impfzentrum hat sich an der Stiko orientiert, der Impfstoff war zwar zugelassen, wurde aber für unter 16-Jährige nicht empfohlen. Das Risiko einer Impfnebenwirkung gegenüber Long Covid wurde dem Einzelnen selbst überlassen. Ich war total niedergeschlagen. Meine Mutter hat aber nicht aufgegeben und nach langem Herumtelefonieren doch noch eine Praxis gefunden, die mich dann geimpft hat.
Ich hatte Respekt vor dem Impfen. Zu Beginn war ich überzeugt, habe mich dann in der Familie mit Verwandten unterhalten, die Ärzte sind. Die haben empfohlen, noch ein wenig zu warten. Weil in meinem Alter das Risiko einer Impfreaktion höher sei als die Gefahr, an Long Covid zu erkranken. Ich denke aber, es ist besser, geimpft zu sein. Zum einen wollte ich meine alte Nanny wiedersehen und auch meine Großeltern.
In der Schule wurde auch angekündigt, dass es ab September unterschiedliche Regelungen für Ungeimpfte und Geimpfte gebe, keine Tests mehr für vollständig Geimpfte zum Beispiel. Und es muss mit dem Impfen endlich mal vorangehen, sodass wir in die Normalität zurückkehren. Meinen Alltag, meine Hobbys, meine Freunde. Ich habe mich unproduktiv gefühlt.
Ich kenne niemanden, der oder die sich nicht impfen lassen möchte. Alle meine Freunde wollen endlich ihre Großeltern wiedersehen oder ihre Hobbys wieder ausführen. Ich habe aber eine Freundin, bei der die Eltern nicht wollen, dass sie geimpft wird, weil sie zuvor bei anderen Impfungen heftige Reaktionen hatte. Ich fühle mich geschützter durch die Impfung, auch gegenüber der Delta-Variante. Ob jüngere ab zwölf geimpft werden sollen? Das muss jeder für sich entscheiden. Jedes Kind, jede Familie muss für sich selber entscheiden können. Ich kann mir vorstellen, dass ich mich auch mit zwölf hätte impfen lassen. Man kann aber niemanden verurteilen, der sich nicht impfen lassen möchte. Ich finde nur Impfgegner schwierig, weil sie verhindern, dass wir unseren Alltag wiederbekommen. Und den möchte ich zurückhaben.
Albert, 16 Jahre: „Ich bin im Alltag viel entspannter“
Ich bin bereits doppelt geimpft. Meine Eltern sind beide Ärzte und arbeiten schon seit längerem im Impfzentrum und haben dann angefangen, auch in der Praxis zu impfen. Sie haben mich gefragt, ob ich auch geimpft werden möchte. Ich hatte keine große Angst vor Nebenwirkungen, aber ein bisschen Respekt. Meine Mutter hat mich aufgeklärt, dass es zum Beispiel zu einer Entzündung der Herzmuskeln kommen kann, wenn man direkt nach der Impfung viel Sport macht. Das war ein kleiner Dämpfer.
Beschwerden hatte ich dann keine, eher ein mulmiges Gefühl. Ich hätte mich auch schon in einem jüngeren Alter impfen lassen. Ich wurde in der Vergangenheit ja auch schon gegen andere Sachen geimpft, da hatte ich auch keine Bedenken. Soweit ich weiß, wurde schon länger an dem Corona-Impfstoff durch das MERS-Coronavirus geforscht und letztlich durch mehrere Instanzen getestet. Deshalb hatte ich keine Bedenken, dass der Impfstoff nicht ausgereift ist. Ich mag nur Nadeln nicht.

In meinem Freundeskreis wollen sich alle impfen lassen, fast jeden neuen Tag erzählt jemand anderes von einer Impfung, auch in der Schule haben sich, nach Rückfrage, wer schon geimpft sei, die meisten gemeldet. Ich habe nur über zwei Ecken von Menschen gehört, die sich nicht impfen lassen wollen. Gefreut habe ich mich am meisten auf die zurückgewonnene Freiheit. Dass man keine Ausgangssperre mehr nachts hat oder dass man nicht mehr als ein Haushalt gezählt wird, wenn man sich mit Freunden trifft.
Mittlerweile mache ich mir aber auch viel weniger Sorgen im Alltag. Wenn ich mit der U-Bahn fahre oder einkaufen gehe, bin ich viel entspannter. Meine Freunde begrüße ich wieder mit einem Handschlag. Vorher war eine Begrüßung schon unangenehm. Ich war richtig überrascht, wie viel gelassener ich tatsächlich seit der zweiten Impfung geworden bin. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man sich nicht impfen lassen möchte, es sei denn, man hat Vorerkrankungen. Man schützt ja nicht nur sich selbst, sondern auch andere, vor allem auch die, die sich aufgrund von Erkrankungen nicht impfen lassen können.
Bei Kindern kann ich die Angst vor Nebenwirkungen noch eher nachvollziehen als bei Erwachsenen. Aber verstehen kann ich es nicht. Ich würde mich auch noch mal impfen lassen. Wenn man sich nicht sicher ist, kann ich mir gut vorstellen, dass es Menschen hilft, sich von ihrem Hausarzt aufklären zu lassen. Einfach Fragen stellen. Da hat man eine andere Vertrauensbasis, auch deshalb, weil man den Arzt schon länger kennt.
