Gegründet in Berlin, zählt Vay zu den spannendsten Mobilitäts-Start-ups der vergangenen Jahre. Das Unternehmen kann als eine Mischung aus Uber und Miles beschrieben werden: Die Autos kommen ferngesteuert per Teledriver direkt zum Kunden, dieser übernimmt die Fahrt selbst. Am Ende entfällt die lästige Parkplatzsuche, weil das Auto eigenständig wieder wegfährt. Zudem ist das Angebot, das aktuell in den USA erhältlich ist, günstiger als Uber. Vay möchte so die urbane Mobilität der Zukunft effizienter und praktischer gestalten. Obwohl Forschung und Entwicklung weiterhin in Berlin stattfinden, hat Vay den operativen Schwerpunkt nach Las Vegas verlegt – dort rollen die ferngesteuerten Fahrzeuge bereits erfolgreich über die Straßen. In Deutschland dagegen blockieren langwierige Genehmigungsverfahren den Markteintritt. Deshalb stellt sich die Frage, welche Chancen der Technologiestandort Deutschland für solche Innovationen langfristig noch bereithält – und ob es gelingt, die Weichen so zu stellen, dass junge Unternehmen nicht ins Ausland abwandern müssen. Welche Erfahrungen Vay auf diesem Weg gemacht hat, warum der Schritt über den Atlantik für sie derzeit naheliegender war als das operative Geschäft in Berlin und welche Perspektiven sie für die Zukunft sehen, darüber haben wir mit Bogdan Djukic, Mitbegründer und Vice President of Engineering bei Vay, gesprochen.
Herr Djukic, Vay wurde in Berlin gegründet, setzt nun aber auf die USA und ist nun vor allem in Nevada bzw. Las Vegas mit autonom fahrenden Autos aktiv. Warum fiel diese Entscheidung?
Wir haben nach Orten gesucht, die Innovation fördern und den passenden regulatorischen Rahmen für die Einführung eines Carsharing-Dienstes mit unserer Remote-Driving-Technologie bieten. Ferngesteuertes Fahren ist nach dem Gesetz in Nevada ausdrücklich erlaubt, daher konnten wir dort schnell aktiv werden. Gleichzeitig entwickelte sich die regulatorische Landschaft in Deutschland vor einigen Jahren, als wir bereit waren, unseren Dienst zu starten, nur sehr langsam, was die Entscheidung für den Schritt in die USA ausgelöst hat.

Welche Erfahrungen haben Sie dabei in Deutschland gemacht – und was war in den USA einfacher?
In den USA zu starten, hat sich aus regulatorischer Sicht als deutlich unkomplizierter erwiesen. In Nevada beispielsweise mussten wir lediglich ein kurzes zweiseitiges Dokument einreichen, um eine Lizenz für Carsharing-Dienste zu beantragen, und konnten innerhalb weniger Wochen loslegen. In Deutschland hingegen bestehen regulatorische Hürden selbst nach hunderten Seiten an Dokumentation und jahrelanger enger Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden weiterhin. Zwar gab es bedeutende Fortschritte – wie etwa die jüngste Verabschiedung einer Verordnung über den Betrieb ferngelenkter Kraftfahrzeuge –, doch bleiben die Prozesse komplex und zeitaufwendig. Leider wurde diese Fernlenkverordnung erst sieben Jahre nach der Gründung von Vay eingeführt. Der Gesetzgebungsprozess in den USA verläuft deutlich schneller und ermöglicht innovativen Unternehmen, ihre Produkte wesentlich rascher auf den Markt zu bringen.
Welche Rolle spielt Vay in fünf Jahren in der urbanen Mobilität – und welche Rolle könnte Deutschland dabei einnehmen?
In den kommenden Jahren wollen wir unseren Service auf weitere städtische Gebiete ausweiten und befinden uns derzeit mit verschiedenen Städten und Bundesstaaten in Gesprächen, um unsere Dienste in den USA zu erweitern. Für Europa schafft die bereits erwähnte und kürzlich in Deutschland verabschiedete Fernlenkverordnung die Grundlage dafür, dass Dienste wie das fahrerlose Carsharing von Vay in größerem Umfang und unter einem klaren, standardisierten Genehmigungsprozess betrieben werden können. Über Carsharing hinaus sehen wir großes Potenzial im Bereich Logistik und Gütertransport sowie bei zukünftigen Anwendungen, in denen ferngelenktes Fahren und autonomes Fahren kombiniert werden. Von Beginn an hat Vay seine Technologie so entwickelt, dass sie den höchsten deutschen Sicherheits- und Cybersicherheitsstandards entspricht. Dadurch wurde Vay zum ersten Unternehmen, das ohne Sicherheitsfahrer auf deutschen öffentlichen Straßen fahren durfte – ein deutlicher Hinweis darauf, dass das System von Vay voll einsatzbereit für den europäischen Markt ist.

Beim autonomen Fahren: Wer liegt derzeit vorn – und wo positioniert sich Deutschland?
Die USA führen in Bezug auf Skalierung und schnelle Einführung autonomer, fahrerloser Technologien. Autonome Fahrdienste breiten sich dort rasant aus. Unternehmen wie Waymo, Tesla und Zoox arbeiten eng mit den Regierungen einzelner Bundesstaaten zusammen und können kommerzielle Dienste bereits in mehreren US-Städten anbieten. China folgt unmittelbar hinter den USA. Mit klaren nationalen Vorschriften für autonomes Fahren verfügen chinesische Unternehmen über Flotten, die bereits Millionen von fahrerlosen Fahrten und autonomen Kilometern absolviert haben und mehr als 1000 vollständig fahrerlose Fahrzeuge in 15 Städten betreiben. Im Vergleich zu den USA und China liegt Deutschland leider zurück. Derzeit gibt es in Deutschland keine kommerziellen Anwendungen autonomer Fahrsysteme auf öffentlichen Straßen. So wie es aussieht, werden Deutschland und viele andere europäische Länder die Technologie aus den USA und China lizenzieren müssen, um aufzuschließen und ihren Bürgern moderne und sicherere Formen urbaner Mobilität anzubieten.
Fördert Berlin Start-ups ausreichend – oder fehlt es an klaren Strukturen und politischer Unterstützung?
Die Berliner Politik hat die richtige langfristige Vision, um das Start-up-Umfeld zu fördern, doch meist fehlt es an der Geschwindigkeit in der Umsetzung – verursacht durch zu viel Bürokratie. In unserem Fall fehlte lange Zeit die bundesweite Klarstellung zur Fernlenktechnologie. Eine solche Bundesregulierung hilft lokalen Politikern, Entscheidungen über die Einführung neuer Technologien in ihren Städten zu treffen. Für Unternehmen im Bereich des ferngelenkten und autonomen Fahrens ist eine geeignete Infrastruktur für sichere Testläufe ihrer Technologie ein entscheidender Faktor, um Forschung und Entwicklung in diesen Bereichen zu unterstützen. Berlin verfügt derzeit über zwei große stillgelegte Flughäfen, die sich hervorragend für solche Entwicklungen eignen würden. Allerdings scheint die Stadtverwaltung die Chance zu verpassen, diese Flächen umfassend zu nutzen und Berlin damit zu einem zentralen Standort für Mobilitätsinnovationen zu machen.
Deutschland gilt insgesamt als Gründerland mit vielen Hürden. Wie erleben Sie die Bedingungen für junge Unternehmer hier im Vergleich zu anderen Ländern?
Deutschland steht vor einer großen Herausforderung durch Bürokratie und Überregulierung, die dringend angegangen werden muss. Start-ups wie Vay haben das Potenzial, hochqualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze im Inland zu schaffen, doch nachhaltiger Fortschritt hängt von einer Modernisierung der Regulierung ab. Gründer aus Bereichen wie Deep Tech, Fintech und anderen Branchen äußern immer wieder den Wunsch, Spitzentechnologien in Deutschland aufzubauen – jedoch ermöglicht das derzeitige regulatorische Umfeld Innovationen nicht in ausreichendem Maße. Im Gegensatz dazu fördern Länder wie die USA Innovation, indem sie es Unternehmen durch einen verschlankten Gesetzgebungsprozess ermöglichen, ihre Produkte wesentlich schneller auf den Markt zu bringen.
Ab wann rechnen Sie mit einem breiten Einsatz autonomer Fahrzeuge in Deutschland, speziell in Berlin?
Berlin hat das Potenzial, zum Ausgangspunkt für autonome Fahrdienste zu werden, da die Stadt über ein reichhaltiges Mobilitätsökosystem und eine entsprechende Infrastruktur verfügt. Angesichts des derzeit komplexen regulatorischen Rahmens für autonome Fahrzeuge und des Mangels an Unternehmen in diesem Bereich in Deutschland sehe ich jedoch leider keinen fahrerlosen Dienst, der vor Ende dieses Jahrzehnts in Berlin starten wird. In den USA und China werden aktuelle Projekte im Bereich autonomes Fahren von Unternehmen mit erheblichen finanziellen Ressourcen betrieben und finanziert, da die Technologie noch nicht reif genug für eine großflächige Kommerzialisierung ist. In Deutschland und Europa fehlen dagegen vergleichbare Akteure, was die Zeitpläne für die Einführung zusätzlich verzögert.
Die deutsche Autoindustrie steht unter Druck. Auf der derzeit stattfindenden IAA präsentiert sich vor allem China als starker Konkurrent. Sie selbst haben für Ihre Flotte auf ein südkoreanischen Model gesetzt. Warum kein deutsches Auto?
Ursprünglich entschieden wir uns aus technischen Gründen für das südkoreanische Fahrzeug. Letztlich blieben wir dabei, da wir dringendere Herausforderungen zu bewältigen hatten, um unseren Service in Las Vegas zu starten. Zwar führten wir Gespräche mit führenden deutschen Automobilherstellern, doch deren Entwicklungszyklen für Serienfahrzeuge überschreiten in der Regel fünf Jahre – ein Zeitraum, der für ein Start-up wie unseres zu lang ist. Außerdem stellten wir einen Wandel in den Prioritäten der Unternehmensführungen fest: Der Wettbewerbsdruck durch nichtdeutsche Hersteller zwang sie, sich stärker auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren und ihr Engagement in neuen Initiativen zu begrenzen.

In Brandenburg ist Tesla präsent. Sollte die Politik stärker mit Tesla kooperieren, um die Region als Automobil- und Techstandort zu stärken?
Der Automobilsektor war in den vergangenen Jahrzehnten eine der treibenden Branchen für das Wachstum in Deutschland und hat dazu beigetragen, dass Deutschland zu einer der wichtigsten Volkswirtschaften Europas und der Welt wurde. In den letzten Jahren wurde diese Position jedoch zunehmend herausgefordert. Die Politik sollte das wirtschaftliche Umfeld durch weniger Bürokratie, mehr Infrastruktur und günstige Energie so gestalten, dass sowohl etablierte Unternehmen als auch Start-ups in der Automobilindustrie erfolgreich sein können – wovon letztlich alle profitieren würden.
Elon Musk gilt in Teilen der deutschen Politik als persona non grata. Wird hier eine Chance vertan, Berlin und die Region international zu positionieren?
Die Haltung der deutschen Politik gegenüber Elon Musk kann ich nicht kommentieren. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass Deutschland und Europa das Geschäftsumfeld für Automobil-Start-ups deutlich verbessern müssen. Nur durch den Abbau von Hürden und die Förderung von Innovationen können wir hoffen, mit den Fortschritten mitzuhalten, die in den USA und China bereits gemacht werden.
Glauben Sie noch an Berlin als Standort für Ihr Unternehmen? Werden wir irgendwann Vay-Fahrzeuge auf den Straßen der Hauptstadt sehen?
Berlin wird weiterhin unser zentrales Forschungs- und Entwicklungszentrum bleiben, auch wenn unsere kundenorientierten Aktivitäten in den USA stattfinden. Unser Team prüft derzeit die Details der neuen Fernlenkverordnung, zum aktuellen Zeitpunkt können wir keine weiteren Informationen zu künftigen Markteinführungsplänen geben. Dennoch ist es unser Ziel, unser Verbraucherangebot – wie es in Las Vegas verfügbar ist – in den kommenden Jahren auch in Deutschland einzuführen.
