Interview

Martin Sonneborn: „Um sechs Uhr morgens die falsche Tür gesprengt“

Der Parteichef der Partei Die Partei über den EU-Katar-Skandal, die SMS von Ursula von der Leyen und die renitenten Rentner in Deutschland. 

Martin Sonneborn, deutscher Satiriker und Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI), im Europäischen Parlament. 
Martin Sonneborn, deutscher Satiriker und Mitglied des Europäischen Parlaments für die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI), im Europäischen Parlament. epa

Berliner Zeitung: Sie prangern seit Jahren die Korruption in EU-Institutionen an. Wie haben Ihre Kollegen bisher darauf reagiert?

Martin Sonneborn: CDU und SPD sehen das als Nestbeschmutzung. Aber wir kritisieren natürlich eher die Kommission als das EU-Parlament, das für eine ordentliche Bestechung am Ende einfach zu unbedeutend genug ist.

Hat sich jetzt jemand bei Ihnen gemeldet und gesagt, Sie haben vielleicht doch recht gehabt?

Nein. Der Fall Eva Kaili hat bei fast allen EU-Abgeordneten die üblichen hohlen, pharisäerhaften Betroffenheits- und Empörungsbekundungen ausgelöst. Problematisch erscheint mir, dass die Bereitschaft zur Achtung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien zunehmend vom Willen zur Exekution eines Schauprozesses abgelöst wird.

Die Verhaftung von Eva Kaili war überraschend, weil ja eigentlich zuerst Ihre Immunität hätte aufgehoben werden müssen. Was bedeutet das?

Für mich steht eine solche Festnahme in einer unschönen Reihe mit den Hausdurchsuchungen bei Klimaschützern wegen des Vorwurfs der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ - da ist ja jede Titanic-Redaktion gefährlicher! -, und der Vielzahl von Wohnungsstürmungen wegen „Hasskriminalität im Netz“ oder - etwas publikumswirksamer durch die Beteiligung fast der kompletten Medienlandschaft - bei renitenten „Putsch"-Rentnern. In Karlsruhe wurde von der Polizei morgens um 6 Uhr die falsche Tür gesprengt. Die Familie, die hinter der Tür wohnte, ist in psychologischer Betreuung.

Welche Fälle von unaufgeklärter, hochrangiger Korruption fallen Ihnen auf Anhieb ein?

Mir wurde von Parlamentspräsident Tajani - jetzt stellvtr. Ministerpräsident in Italien - mal das Mikrofon abgestellt, als ich die EU-Kommissarin Dubravca Suica nach dem Rezept ihres plötzlichen Reichtums befragt habe. In Zeiten großer Armut eines Viertels der EU-Bevölkerung ist das ja eine durchaus berechtigte Frage. Und die zypriotische Gesundheitskommissarin Kyriakides kann bis heute nicht den Eingang von 4 Millionen auf ihrem Familienkonto erklären - kurz nach Unterzeichnung der Pfizer-Verträge.

Wie werden die Ermittlungen der EU-Staatsanwaltschaften gegen Frau Von der Leyen eigentlich von den EU-Granden wahrgenommen? Und: Gibt es Informationen an das EU-Parlament?

Nein. Frau von der Leyen, die persönlich per SMS einen Milliarden-Vertrag mit Pfizer aushandelte, hat im Verteidigungsministerium offenbar gelernt, Nachrichten zu löschen. Die EU-Staatsanwaltschaft ermittelt, Frau von der Leyen verweigert die Herausgabe der SMS. Im letzten „Bericht aus Brüssel“ auf YouTube haben wir die Zuschauer aufgefordert, sie bei der Europäischen Betrugsbehörde OLAF zu melden. Das kann man anonym tun, wenn man einen Anfangsverdacht hat. Auch als Zeitungsleser. 

Politico fragt: Sind es nur ein paar faule Äpfel oder ist der ganze Korb verrottet – Ihr Eindruck?

Ich würde darauf tippen, dass es nur ein paar faule Äpfel sind. Vielleicht sollten die Bürger trotzdem darauf drängen, Gelder an die EU zurückzuhalten, bis alle Institutionen ihrer Verpflichtung zur Achtung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit auch entsprechen. Orban lässt grüßen. Andererseits sollten wir natürlich das Handwerk der Korruption auch selbst beherrschen, wenn wir den West-Balkan und die Ukraine aufnehmen wollen… Smiley!

Vor einigen Jahre wurde der österreichischen MEP Ernst Strasser von der Sunday Times der Korruption live überführt. Er wurde verurteilt. Die EU sagte damals: Ein absoluter Einzelfall – und machte offenbar weiter. Wird es diesmal auch so sein?

Vermutlich schon. Hat sich nach dem Geldkoffer bei Schäuble - 100.000 in Scheinen - im Bundestag irgendetwas geändert? Vergessen Sie nicht die Maskenskandale oder die von Aserbaidschan geschmierten CDU-Honks in den Parlamenten.

Konservative und Sozialdemokraten wollen die kleinen Parteien aus dem Parlament drängen – also noch weniger Transparenz und Kontrolle in Zukunft?

Ja, es geht einerseits um die neun Mandate von Piraten, Freien Wählern etc., die sie sich gern durch eine Sperrklausel aneignen wollen. Aus der EVP wissen wir, dass speziell die CDU mit Feuereifer daran arbeitet, Die PARTEI wieder loszuwerden: zu viel Transparenz, zu schlechte Witze. Gerade auch wieder in einem neuen „Bericht aus Brüssel“

Die Fragen stellte Michael Maier.

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