Berlin-Kaum sind die Kreuzfahrtschiffe wieder losgefahren, müssen einige ihre Reisen coronabedingt schon wieder stoppen. Angesichts der Pandemie rät das Auswärtige Amt schon seit Mitte November von der Teilnahme an Kreuzfahrten ab – doch die Nachfrage nach Schiffsreisen ist trotzdem da. Wie geht das zusammen, und wie sicher kann eine Kreuzfahrt dieser Tage überhaupt sein? Fragen an den Tourismusforscher und Kreuzfahrtexperten Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven.
Die „Mein Schiff 6“, „Aidanova“ oder „MS Amera“: Immer mehr Kreuzfahrt-Schiffe brechen nach Corona-Fällen an Bord ihre Reisen ab. Überrascht Sie das?
Nein, das überrascht mich nicht. Wir stecken mitten in einer Pandemie, überall gehen die Fallzahlen nach oben – wieso sollte es auf einem Schiff anders sein? Ich sehe das Positive: Es gibt Hygieneprotokolle an Bord und diese scheinen zu funktionieren, sonst würde man die Fälle ja gar nicht entdecken. Dass Reisen frühzeitig abgebrochen werden, zeigt, dass die Reedereien reagieren. Obwohl sie durch den Abbruch Nachteile haben: Der Leistungsumfang muss angepasst werden, Kunden sind unzufrieden und reklamieren. Dass dennoch Maßnahmen getroffen werden, sehe ich als Indiz für verantwortungsvolles Handeln.
Dennoch sind die Schlagzeilen derzeit eher schlechte PR: Man liest von Silvesterpartys auf Schiffen, wütende Passagiere berichten vom „schlimmsten Weihnachten“ ihres Lebens, weil sie die Festtage nach einem positiven Test allein in der Kabine verbringen mussten.
Man sollte die Branche nun nicht gleich wieder verteufeln. Silvesterpartys haben auch privat oder in Hotels stattgefunden. Den Unmut der Passagiere verstehe ich auf der einen Seite: Wenn man eine Reise bucht, kauft man ein Versprechen, man hat Erwartungen, die erfüllt oder übertroffen werden sollen. Das erfordert auf Seiten des Veranstalters eine gewisse Stabilität und Planbarkeit, die es unter pandemischen Bedingungen aber nicht geben kann. Infektionen an Bord erfordern Anpassungen und jemand, der unter den aktuellen Bedingungen reist – mit einer sich schnell ausbreitenden Omikron-Variante – der muss nun mal mit Problemen und Änderungen rechnen.
Die Reedereien betonen, dass sie alle Vorkehrungen treffen, die Passagiere engmaschig testen, hohe Eingangsbarrieren schaffen. Reichen all diese Sicherheitsmaßnahmen am Ende nicht aus?
Corona hat ja im März 2020 zunächst zu einem kompletten Shutdown der Kreuzfahrt weltweit geführt. Als dann im Sommer einige Reedereien den Betrieb wieder aufnahmen, war ich skeptisch: Würden die Hygieneprotokolle ausreichen, sind die Crews schon entsprechend trainiert? Heute stehen wir an einem anderen Punkt, was das Virus angeht: Wir wissen mehr darüber, wir haben die Impfung – und viele Reedereien haben strenge Auflagen, auch im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Momentan sprechen wir bei etlichen Anbietern schon von 1G an Bord – man muss also vollständig geimpft sein, genesene Gäste ohne Impfschutz sind nicht erlaubt.

Außerdem hat er mehrere Bücher und wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Kreuzfahrttourismus veröffentlicht, ist Vorsitzender der Cruise Research Society und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Tourismusforschung.
Dazu kommen Hygienemaßnahmen. Doch wie realistisch ist es, dass auf den Schiffen Abstand eingehalten und Maske getragen wird?
Bei allen Vorschriften seitens der Reederei ist am Ende entscheidend, was und wie die Besatzung und der Kapitän sie an Bord umsetzen. Doch man muss bedenken, dass die Passagiere heute über Social Media alles nach außen tragen können, insofern kann ich mir kaum vorstellen, dass die Auflagen nicht eingehalten werden. Große Ausbrüche oder Versäumnisse kann man sich nicht leisten, noch ein Shutdown wäre für die Branche verheerend.
Dennoch lassen sich Ausbrüche an Bord wohl kaum verhindern.
Und genau genommen sind Krankheitsausbrüche an Bord von Schiffen auch nichts Neues. Vor Corona waren Noroviren bei Passagieren und Crew gefürchtet, deren Ausbruch mit Brechdurchfall und Quarantäne einherging. Auch diese Gefahr hat man mit angepassten Hygienemaßnahmen in den Griff bekommen, die Fallzahlen gingen über die Jahre immer weiter nach unten. Es dauert eben seine Zeit, bis solche Prozesse Wirkung zeigen.
Wird bei Kreuzfahrten, die ohnehin wegen der schlechten Ökobilanz und der Arbeitsbedingungen unter Deck in der Kritik stehen, genauer hingeschaut – auch was das Pandemiegeschehen angeht?
Die öffentliche Wahrnehmung der Branche ist nicht optimal. Das liegt auch an der amerikanisch geprägten Kommunikationskultur, die bei uns in Europa nicht gut ankommt. Viel fokussiert sich da auf Wachstum und Größe – dabei reden wir eigentlich von keiner großen Branche. Im Jahr 2019 waren weltweit 29 Millionen Passagiere auf den Meeren unterwegs – im gleichen Jahr verzeichnete allein Venedig über 30 Millionen Besucher. Das nur als Beispiel für die Relationen im touristischen Sektor.
Laut Branchenverband CLIA gibt es derzeit weltweit rund 360 Kreuzfahrtschiffe – etwa 40 weniger als noch vor Pandemie. Allerdings sind auch schon wieder 70 Prozent aller Schiffe unterwegs. War es richtig, trotz Corona wieder Fahrten aufzunehmen – auch in diesem Umfang?
Ausgemustert wurden vor allem alte Schiffe, die ohne Pandemie noch ein paar Jahre gefahren wären. Doch die Reedereien mussten wegen der wegbrechenden Einnahmen ihre Kosten reduzieren und konsolidierten ihre Flotten. Dass sie nun wieder fahren, kann man ihnen nicht vorwerfen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hat für die Wiederaufnahme des Fahrbetriebs extra ein Monitoring-System und ein Covid-Ampelsystem entwickelt. Solche Prozesse sind nun das zentrale Element.
Inzwischen aber rät die CDC selbst vollständig Geimpften von Kreuzfahrten ab. Auch das Auswärtige Amt schreibt in seinen Reisewarnungen bezüglich Corona: „Von der Teilnahme an Kreuzfahrten wird abgeraten. Es besteht das Risiko, dass im Falle eines Covid-19-Ausbruchs an Bord – auch unter geimpften Reisenden – von den zuständigen Behörden im Ausland eine mehrtägige Schiffsquarantäne verhängt wird. Ein zeitnaher Rücktransport nach Deutschland wäre ausgeschlossen.“ Sind das für Sie nachvollziehbare Entscheidungen?
Ich bin kein Virologe und kann die dahinterstehenden Überlegungen nicht kommentieren. Meiner Auffassung nach müssen Passagiere selbst die Entscheidung treffen. Es gibt genug Gründe gegen eine solche Reise zum jetzigen Zeitpunkt – aber es gibt eben auch die Nachfrage von vielen Menschen, die eine Kreuzfahrt machen wollen. Es wird längst wieder gebucht, die Auftragsbücher der Reedereien sind voll, neue Schiffe werden bestellt. Die Frage ist doch: Soll ich jetzt drei Jahre oder länger aufs Reisen verzichten? Sind Reisen mit dem Flugzeug oder im Hotel nicht genauso risikoreich? Das muss jeder für sich individuell beantworten. Null Risiko gibt es nicht – bei keiner Reiseform.
Wie wird die Kreuzfahrtbranche nach der Pandemie aussehen?
Die Branche hat sich als resilient erwiesen. Sie konnte während des Shutdowns, als die Schiffe ungenutzt in den Häfen lagen, von den ertragreichen Zeiten zuvor zehren. Meine Prognose ist, dass die Kapazitäten weiter wachsen werden. Und dass die Tendenz zu noch größeren Schiffen geht.

Dabei denkt man jetzt schon, wo soll das noch hinführen? Die „Wonder of the Seas“ der US-Reederei Royal Caribbean, die bald in Betrieb gestellt wird, fasst knapp 7000 Passagiere.
Große Schiffe sind für die Reedereien attraktiv. Denn sie generieren mehr On-Bord-Umsätze, die im Unternehmen verbleiben. Viel Platz bedeutet viele Restaurants, Bars, Casinos, Shops und Wellness-Angebote. Und viele Passagiere bedeuten mehr Konsum. So wird gerechnet, denn der Ticketpreis allein reicht zur Finanzierung von Kreuzfahrten nicht aus.
Wie erklären Sie sich die ungebrochene Nachfrage nach Schiffsreisen – wo doch nicht nur Pandemien, sondern auch die Klimabilanz dagegen sprechen?
Nach dieser Logik dürfte man auch keine Flugreisen mehr machen, denn Flugzeuge haben auch keine bessere Klimabilanz. Und wenn man mal die gesamte Schifffahrt betrachtet, dann sind die modernen Kreuzfahrtschiffe mit ihrer Abgastechnik und Energieeffizienz im Vergleich zum Frachtschiff, das unsere Nahrungsmittel und andere Güter heranschafft, fast schon Vorreiter. Nachhaltigkeit hat viele Facetten, die ökologische ist eine davon. Bei der Diskussion über Nachhaltigkeit würde ich mir eine stärkere Berücksichtigung der anderen Dimensionen wünschen, etwa der wirtschaftlichen und soziokulturellen. Die ökologische Nachhaltigkeit geht über die Emissionen hinaus und umfasst auch den Umgang mit Abwasser und die Auswirkungen auf die Meeresfauna.
Wann planen Sie Ihre nächste Schiffsreise?


