Wie viel Mode braucht der Mensch? Das ist eine Frage, die sich angesichts der aktuellen Debatten auf der am Dienstag zu Ende gegangenen Pariser Modewoche stellte. Gerade dem Luxus wird ja gemeinhin nachgesagt, der Gipfel verschwenderischen Konsums zu sein. Doch kann man das auch anders sehen. Mal abgesehen davon, dass die Langlebigkeit hochwertig hergestellter Produkte zum Teil enorm ist, wird bei vielen großen Labels derzeit mit neuen, innovativen Materialien experimentiert.
So war auch die Balenciaga-Show am Sonntag eine Ansage in Richtung Zukunft, doch das war nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Denn zunächst sah man die Vergangenheit des Kreativdirektors Demna an sich vorbeiziehen; unter anderem in Gestalt eines Mechanikers, einer Professorin, eines Personal Trainers, einer Journalistin und sogar seiner eigenen Mutter. Der Cast schien wie einem Biopic des Modemachers entsprungen – das alles waren Menschen, die in seinem bisherigen Leben eine Rolle gespielt, ihn inspiriert und unterstützt hatten. Nur wenige von ihnen waren professionelle Models.
Und diese „ganz normalen Menschen“ schlenderten, schlurften oder stapften durch die blutrote Kulisse, dass es nur so eine Freude war. Der Dôme des Invalides, ein entkerntes ehemaliges Lazarett im 7. Pariser Arrondissement, war komplett mit dunkelrotem Samt ausgekleidet worden. Die Szenerie, die vom Berliner Architekturstudio Sub gestaltet wurde, erinnerte ein wenig an den Raum aus Coopers Träumen in „Twin Peaks“. Nur hier saß in der Mitte Publikum, darunter Paris Hilton, Juergen Teller (in Turnhose), Erykah Badu oder Offset; und ein Runway führte bühnenartig an den Wänden entlang.
Während Isabelle Huppert über die Lautsprecher dramatisch die Nähanleitung einer maßgeschneiderten Jacke rezitierte, präsentierten nun also Demnas Kollegen, Freunde und Familie die typischen Balenciaga-Looks, die man nur hassen oder lieben kann. Diejenigen, die sie lieben, wurden mit einer Mischung dystopischer wie witziger Momente erfreut. Es schien, als habe der Modemacher zu seiner alten Form zurückgefunden – als erlaube er sich nach den traumatischen Ereignissen des Medienskandals endlich so langsam wieder jene Frechheiten, mit denen er Balenciaga zu einer der einflussreichsten Modemarken unserer Zeit machte. Die Beliebtheit Balenciagas allein auf den Straßen Berlins kann bis heute kaum ein anderes Luxuslabel toppen.

Doch was zeichnet Demnas neue Kollektion nun insbesondere aus, mit ihren Mantel-Hybriden, den Hosen mit zwei verschiedenen Beinen, den Kleidern aus Tischdecken, den schlüsselbehangenen Taschen, Portemonnaies in Reisepassoptik oder Taschen in Form ultraspitzer Pumps? Zum einen ist es der Spaß, den vor allem die Accessoires versprechen. Schon allein die Vorstellung, man stellt während eines feinen Dinners einen Schuh auf den Tisch. Das Entsetzen der Leute – und dann die Erleichterung: Es ist eine Tasche!
Das eigentlich Innovative aber eröffnet sich erst auf den zweiten Blick. Viele Stücke der neuen Kollektion können als Vision einer nachhaltigeren Welt verstanden werden, in der es vor allem die Aufgabe der Luxusindustrie sein wird, in die Weiterentwicklung ressourcenschonender Prozesse zu investieren. Gerade die großen Konzerne sind in der Lage, das, was viele kleine, junge Labels bereits mit geringen finanziellen Mitteln versuchen, im großem Stile anzugehen.



Mit neuen Materialien wird bei Balenciaga schon seit geraumer Zeit experimentiert. So wurde für einen riesigen Mantel, den der Londoner Künstler Zhuo Chen auf dem Runway präsentierte, ein Stoff namens Lunaform verwendet. Das Material, das wie leichtes, knittriges Leder daherkommt, wird aus fermentierter Nanocellulose hergestellt. Ella Gvasalia, die Mutter des Designers, präsentierte unterdessen ein upgecyceltes Gewand, das aus insgesamt drei alten Kleidungsstücken gefertigt wurde – und der beigefarbene Trenchcoat, den die Künstlerin Renata Litvinova trug, wurde komplett aus Secondhand-Teilen zusammengenäht.


