Die Sonne beginnt bereits rötlich zu glühen, als am Montagabend die ersten Limousinen den Vorplatz der Neuen Nationalgalerie erreichen. Den polierten Karossen entsteigen schmale Menschen in schwarzer Kleidung. Stoffe und Haare wehen sanft im Wind, auf vielen Gesichtern liegt ein Lächeln. Der Staub, den die warme Abendluft von der benachbarten Baustelle herüberträgt, legt sich wie ein Weichzeichner über die Szene auf dem modernistischen Plateau des Museums. Fast wirkt es wie das Treffen einer freireligiösen Gemeinschaft, die sich hier bei Sonnenuntergang zu einem Festakt versammelt.
Und in der Tat hat das Geschehen etwas Unfassbares. Zusammengetrommelt wurden die schönen Menschen nämlich von Anthony Vaccarello, dem Kreativdirektor der Modemarke Saint Laurent – der heute in dem ikonischen Mies-van-der-Rohe-Bau seine neue Männerkollektion für den Sommer 2024 präsentieren wird. Der schwarze Schick ist eine Referenz an das französische Modehaus, das vor über 50 Jahren vom großen Yves Saint Laurent gegründet wurde und heute eine der berühmtesten Marken der Welt ist.
Deswegen ist es auch so eine Sensation, dass ausgerechnet Berlin der Austragungsort einer Saint-Laurent-Modenschau ist. Normalerweise veranstalten Fashionlabels dieser Größenordnung ihre Shows auf der Paris Fashion Week. Auch wenn Vaccarello bezüglich der Ortswahl gerne aus der Reihe tanzt; in die modisch stets etwas unbeholfen wirkende Spreemetropole trauen sich die internationalen Modedesigner nur in Feierkontexten.

Bis kurz vor Ereignisstart waren nur wenige Informationen über die Show-Location durchgesickert. Der Buschfunk unter den Berliner K-Pop-Fans hatte jedoch im Vorfeld ausgezeichnet funktioniert. So versammelten sich hinter der Absperrung, mit der das Gelände weiträumig umstellt war, auch hauptsächlich minderjährige Mädchen. Sie alle wussten, dass sie heute ihre Stars hier sehen werden.
Jetzt beginnen die Teenager zu schreien. Köpfe wenden sich. Nur wenige Erwachsene kennen die K-Pop-Sternchen hierzulande. Für die Luxusmode jedoch sind Jeonghan, Mark Tuan oder Tenlee effiziente Markenbotschafter. Die Videos von ihrem Eintreffen in Saint-Laurent-Looks verbreiten sich über Social Media in Windeseile auf der ganzen Welt. Schreien, Fotos, Winken, Reingehen. So läuft das ab. Peu à peu treffen weitere Gäste ein, wie die Schauspielerin Charlotte Gainsbourg, das Model Anja Rubik, die Künstlerin Anne Imhof und die Kunstsammlerin Julia Stoschek. Der Hausherr, der Museumsdirektor Klaus Biesenbach, postiert sich am Eingang zum Händeschütteln. Champagner wird ausgeschenkt und viele Zigaretten werden geraucht. Als Juergen Teller eintrifft, sorgte das bei vielen für Amüsement. Der Fotograf wählte für den Abend ein graues Margiela-T-Shirt, dazu schrillgrüne Turnhosen, Sportsocken und Sneaker. Den inoffziellen schwarzen Dresscode so zu ignorieren, das muss man sich erlauben können. Teller kann es, zumal der Insider weiß: Sportshorts sind Tellers Signature-Look.

Die Show beginnt gegen 21 Uhr. Die Luft im Inneren des ikonischen Mies-van-der-Rohe-Baus ist mit einem komplex-luxuriösen Duft erfüllt. Zwischen schwarzen Stoffbahnen gelangt man in den gläsernen Saal, der von langen Zweierreihen schwarzer Barcelona-Bänke umrahmt wird. Darauf werden die Gäste in wenigen Minuten Platz nehmen. Die für das Event installierten Vorhänge, die das Fitting-Areal vom Runway trennen, intensivieren die vertikale Dimension des Gebäudes. Dazu die schwarzen Stahlträger, die untergehende Sonne, die den Raum in ein heiliges Orange einfärbt – ein Moment, der zeigt, wie perfekt sich das Gebäude für ästhetische Inszenierungen wie diese eignet.
Die Vertikale ist es, die Anthony Vaccarello auch in seinen Entwürfen feiert. Wie klassische Modeskizzen laufen die Männermodels jetzt in Looks für den kommenden Sommer zwischen graugrünem Marmor, Stahl und Stoff entlang: Endlos lange Beine, auf denen filigrane Körper mit breiten Schultern sitzen. Schmale schwarze Hosen und Lackschuhe mit Blockabsätzen strecken die Silhouetten. Darüber der Saint-Laurent-Smoking, trapezartig, in überzeichneten Linien. Dessen tiefen Ausschnitt bis unter den Solarplexus wiederum nimmt das Unterhemd aus Seide auf. Dieser impertinent überzeichnete Chic erfüllt einerseits den zeitgeistigen Wunsch nach Eleganz und addiert mit den übertriebenen Schnittkanten an den Schultern gleichzeitig einen fast untragbaren Edge.

Überhaupt nicht untragbar sind dagegen die Oberteile, mal durchsichtig, mit Polkadots, mal mit Leopardenmuster, mal mit diagonaler Knopfleiste. Knoten von Neckholder-Tops sitzen am Schlüsselbein, Schluppen wehen an den Hälsen, Schleppen streicheln den Boden aus Epprechtsteiner Granit. Zwar erinnert die Kollektion an die hochgelobte der Frauen, die vor einigen Monaten in Paris zu sehen war. Dennoch vermag es Vaccarello, die Männer maskulin erscheinen zu lassen. Das liegt auch am Typ Mann, den er zitiert und der an Jim Morrison oder den jungen Mike Jagger erinnert.

Als Inspiration diente dem Saint-Laurent-Designer Rainer Werner Fassbinders letzter Film „Querelle“ aus dem Jahr 1982, in dem sich gemäß der Romanvorlage von Jean Genet die Figuren in ambivalenten Konstellationen wiederfinden. Licht und Schatten: Wie diese Figuren, die zerbrechlich sind und dennoch viel auf dem Kerbholz haben, laufen die Models zum dramatischen Soundtrack des französischen Musikers SebastiAn durch den immer dunkler werdenden Raum.

Zum Anbruch der Nacht endet diese Modenschau, und die Gesellschaft geht in den typischen Berliner Feiermodus über. Im entkernten Betonpalast des Kraftwerks wird zunächst zu einem Dinner geladen. Auch hier hat die Inszenierung wieder etwas Religiöses. Die klerikal hohen Decken des Industriebaus wie in einem Kirchenschiff, der riesige Tisch mit unzähligen Kerzen, der am Eingang steht wie ein orthodoxer Altar. Der Nebel über dem Boden, der das gelbe Licht diffus streut und an dampfenden Weihrauch erinnert.



