Telefonierend läuft die Berliner Künstlerin Eliza Douglas die Avenue George V in Paris entlang. Vorbei an der Hausnummer 10, dem Stammsitz der französischen Luxusmarke Balenciaga. Es ist windig und ein wenig trüb. Die schwere Holztür in der blassen Fassade öffnet sich, ein großer schlanker Mann tritt heraus. Unter seiner aufgezogenen Kapuze schauen giftgrüne Haare hervor. Nach einem langen Blick auf sein Handy eilt er mit wehendem Mantel davon. Die Douglas ist nicht mehr zu sehen.
Jetzt öffnet sich die Tür erneut. Und als eine Frau und ein Mann plaudernd auf die Straße treten, nimmt die Szene Fahrt auf. In dem fünfminütigen Video bleibt unser Blick auf die große Tür gerichtet, die sich öffnet und schließt – und Menschen in eleganten, meist schwarzen Outfits ein- und auslässt. Alle tragen Balenciaga, denn in dem Minifilm von Mau Morgó wird uns die neue Frühjahrskollektion besagter Modemarke präsentiert.
Ein wenig muss man bei diesem virtuos inszenierten Kammerspiel an die Musikvideos von Michel Gondry denken, der Björk einst so verwunschen in Szene setzte. Überhaupt an französische Filmemacher, die eben dieses gewisse Etwas haben, wenn es um poetische Bewegtbilder geht. Auch Morgó scheint das zu haben, auch wenn er aus Barcelona kommt.
So unbarmherzig die Konturen der Balenciaga-Mäntel und -Hosen oft wirken, so verspielt flattern die Kleidungsstücke jetzt im Wind. Die Melancholie, die den Modeinszenierungen des georgischen Kreativdirektors Demna innewohnt, vermittelt sich in dieser anrührenden wie unterhaltsamen Straßenszene aufs Vortrefflichste. Während der weltweiten Corona-Pandemie begannen viele Designer, ihre neuen Entwürfe in Videos zu präsentieren. Dabei entstanden zahlreiche künstlerisch wertvolle Arbeiten. Insbesondere für Zwischenkollektionen verzichten die Marken bis heute gern auf Modenschauen und produzieren stattdessen Videos, die auf YouTube zu sehen sind.

Zurück ins 8. Pariser Arrondissement. Auf dem Trottoir herrscht inzwischen ein reges Begängnis. E-Roller-Fahrer, Essenslieferanten und Hundebesitzer durchqueren die Kulisse. Und dann kommen die Omas. Wie all die anderen sind auch sie komplett in Balenciaga gekleidet. Wie herrlich die seidige Schluppenbluse und das bläulich gemusterte Ensemble doch auch ins Rentenalter passen. Und die übergroße Hourglass-Tasche erst. Solche Grannys braucht die Welt!
Und wieder ist es das Wetter, das die Balenciaga-Kollektion in Kapitel teilt. Es wird immer windiger, dann regnet es. Am Schluss scheint die Sonne. Der Wetterumschwung wird entsprechend musikalisch untermalt. Wie immer von Loïk Gomez a.k.a. BFRND, dem Ehemann Demnas, der Édith Piafs „Sous le Ciel de Paris“ für das Video neu interpretiert hat.
Es lohnt sich wirklich, das kleine Kunstwerk mehrmals zu schauen, denn jede Figur erzählt ihre eigene Geschichte. Insgesamt sind es 44 neue Looks. Neben dem typischen Schwarz gibt es viele Blautöne. Jeans, Trenchcoats, Statement-Schuhe, aus den Säumen heraushängendes kariertes Futter, Rock-Hose-Kombinationen und um die Hüfte geschlungene Handtücher. Außerdem witzige Taschen, die wie Einkaufsnetze aussehen, und eine Stiefeltasche ist auch wieder dabei. Wer genau zählt, wird im Video auf mehr als 44 Personen kommen, denn es gibt auch Statisten in Entwürfen aus vorangegangenen Kollektionen. Die Omas gehören auch dazu.
Zum Ende des Clips werden die Kleider immer eleganter. Mit den Couture-Roben klart der Himmel auf. Der nächste Balenciaga-Frühling kann also heiter werden.



