Sind Frauen jetzt die neuen Männer? Wie ließe sich sonst erklären, dass ausgerechnet beim „Men of the Year“-Award am Donnerstagabend in den Charlottenburger Kantgaragen mehr weibliche als männliche Gewinner auf der Bühne standen? Düzen Tekkal, Martine Rose und Diane Kruger wurden vom Männermagazin GQ, das den Preis jährlich vergibt, freilich nicht als „Männer des Jahres“ geehrt. Die Journalistin Tekkal hat einen Sonderpreis für ihr Menschenrechtsengagement bekommen, Martine Rose ist Designerin des Jahres, Schauspielerin Diane Kruger ist die „Woman of the Year“.
Dass ihnen lediglich zwei männliche Gewinner gegenüberstehen – Eddie Redmayne als Schauspieler, David Alaba als Sportler des Jahres – ist dennoch ein interessantes Signal. Eines, das gut zur Neuausrichtung von Deutschlands bekanntestem Männermagazin passt, wie uns Chefredakteur Tobias Frericks wenige Tage vor der Preisverleihung in einem exklusiven Interview erklärt.
Herr Frericks, mit Ihrem Antritt als Chefredakteur vor ziemlich genau einem Jahr wollten Sie das Männerbild, das die GQ zeichnet, bewusst verändern. Ist Ihnen das gelungen?
Ich hoffe doch. Ich bin schon seit 17 Jahren bei GQ, war allerdings immer nur für Mode zuständig. Dort hatte ich schon damals mehr Spielraum für Neues. Das starre Bild eines Zigarre rauchenden, Porsche fahrenden Gentleman finde ich längst nicht mehr zeitgemäß. Und ich finde schon, dass wir dieses Bild um eine neue, facettenreichere Maskulinität ergänzt haben.
Wie denn?
Wir wollen nicht mehr bloß die tollsten neuen Sportwagen vorstellen und erklären, wie sich der beste Martini zubereiten lässt oder welche Socken zu welchem Anzug passen. Statt Trends zu diktieren, wie es bei Lifestyle-Magazinen lange Usus war und teilweise noch ist, wollen wir viele verschiedene Möglichkeiten abbilden. Und dann können sich unsere Leser und Leserinnen aussuchen, was am besten zu ihnen selbst passt.

Also findet auch der Zigarre rauchende Porschefahrer bei Ihnen noch etwas, das ihn interessiert?
Klar, wir wollen ihn ja nicht ausschließen. Aber neben ihm wollen wir eben viele andere unterschiedliche Männer erreichen. Das entspricht ja der Welt, in der wir leben. Und das entspricht eben auch den Marken, mit denen wir zusammenarbeiten. Wenn Labels wie Prada oder Gucci neue, facettenreiche Männerbilder prägen, wollen wir nicht hinterherhinken. Darin stimmen wir übrigens international bei GQ überein. Auch die vielen anderen weltweiten GQ-Ausgaben arbeiten in diese Richtung.
Gibt es in der jüngeren Zeit eine Geschichte, die diese Neuausrichtung für Sie am besten beschreibt?
Ich erinnere mich noch gut an die erste Ausgabe, die mein Kollege Will Welch, Global Editorial Director GQ, in den USA herausgebracht hat. Auf dem Titel war Pharrell Williams in einem Moncler-Kleid von Pierpaolo Piccioli. Mir hat das sehr gut gefallen, eben weil es dabei gar nicht um Fragen der Sexualität ging, sondern um eine Männlichkeit, die jetzt generell freier interpretiert wird. Pharrell hat als heterosexueller Mann, als Vertreter des Hip-Hop-Genres obendrein, kein Problem damit, sich auch mal auf diese Weise zeigen zu lassen. Das finde ich toll.

Wird dieser Facettenreichtum, wie Sie ihn beschreiben, auch im Rahmen der diesjährigen „Men of the Year“-Awards sichtbar?
Ich finde schon. Als Designerin haben wir zum Beispiel Martine Rose ausgezeichnet, die für sehr legere Mode bekannt ist. Sie ist vielen von unseren alten Leserinnen und Lesern wahrscheinlich gar kein Begriff, aber wir wollen ihnen zeigen, dass Mode eben ein großes Spektrum ist, das mehr hergibt als den klassischen Doppelreiher von Ralph Lauren. Unser Schauspieler des Jahres ist Eddie Redmayne, ein wahnsinnig freundlicher, bodenständiger, reflektierter Typ.
Und das ist wichtig, wenn man einen Schauspielpreis vergibt?
Natürlich zeichnen wir Eddie Redmayne in erster Linie für seine aktuelle Rolle in „The Good Nurse“ aus. Aber uns geht es auch um die vielen Facetten, die ihn als Menschen ausmachen und die natürlich in seine Arbeit einfließen. Eddie ist eben auch für seine spannende, mutige Darstellung der transsexuellen Malerin Einar Wegener in „The Danish Girl“ vor ein paar Jahren bekannt. Auch daran will ich gerne noch mal erinnern. Ganz wichtig ist mir allerdings in diesem Jahr noch ein anderer Preis.
Nämlich?
Ich freue mich sehr, dass wir der Journalistin Düzen Tekkal einen Sonderpreis für ihr Engagement als Menschenrechtsaktivistin überreichen dürfen und dem Abend damit eine gewisse Note verleihen können. Denn natürlich stand auch für uns die Frage im Raum, wie wir aktuell überhaupt eine Award-Gala veranstalten können: nach fast drei Jahren Pandemie, in einer Zeit, in der es Krieg in Europa gibt und Gewalt gegen Demonstrierende im Iran. Wir wollen zeigen, dass man durchaus optimistisch bleiben und auch die schönen Momente feiern kann. Aber dass man sich zugleich der Lage der Welt bewusst sein und diese diskutieren muss.

Neben Rose, Redmayne und Tekkal werden außerdem Diane Kruger als „Woman of the Year“ und David Alaba als „Sportler des Jahres“ ausgezeichnet. Damit werden ausgerechnet bei einer Preisverleihung, die durch ein Männermagazin initiiert wird, mehr Frauen als Männer geehrt.
Ja, was für uns überhaupt keine Rolle spielt und doch unserer neuen Richtung entspricht. Wir schauen uns an, was in diesem Jahr passiert ist, was wir besonders gut fanden, wer uns begeistert hat. Ob es sich dann um eine Frau oder einen Mann handelt, spielt keine Rolle. Das soll der Abend schon auch deutlich machen.



