Design

Erlebt Mitte eine Renaissance? Ein neuer Laden am Gendarmenmarkt setzt darauf

Berlins Zentrum ist über den abgeschmackten Brutalismus-Berghain-Stil noch immer nicht hinweg. Im neuen Concept-Store The Square ist man da schon weiter.

Im Store mit seinen deckenhohen Torbögen fühlt man sich in ein Gemälde Giorgio de Chiricos versetzt.
Im Store mit seinen deckenhohen Torbögen fühlt man sich in ein Gemälde Giorgio de Chiricos versetzt.Mark Seelen

Eigentlich fehlen nur die surrealistischen Elemente. Die kopflosen Figuren und überproportionierten Objekte etwa. Ansonsten fühlt sich, wer The Square betritt, tatsächlich in ein Gemälde Giorgio de Chiricos versetzt: Wie der Hauptvertreter der Pittura metafisica, der „metaphysischen Malerei“, zeigt sich auch der Concept-Store von deckenhohen Torbögen geprägt, von Fluchten, Fluren, Perspektiven.

Ein modernes „Arkadien“, nennen das die Betreiber, ein „großes Sanktuarium für zeitgemäßen Luxus“. Seit wenigen Tagen können sich Besucherinnen und Besucher, die dem Willen Emmanuel de Baysers und Josef Voelks nach hoffentlich schnell zu Kundinnen und Kunden werden, von dem neuen Gewand des Design-Tempels am Gendarmenmarkt überzeugen. Seit 2008 hatten de Bayser und Voelk an selber Stelle ihren Concept-Store The Corner geführt; nun haben sie ihren Laden neu aufgestellt.

Wer nicht erst seit gestern in Berlin lebt, bleibt bei solchen Nachrichten ja erst mal skeptisch. Eine Neuerfindung, Neuaufstellung, alles neu und alles anders: Mit solchen Meldungen spielen sich Gastronomien und Geschäfte in der Stadt gern mal auf – nur um dann auf eine neue Wandfarbe und zwei neue Lampen in den eigenen Räumen zu verweisen. Nicht so Emmanuel de Bayser und Josef Voelk. Sie haben ihrem Store einen wirklich völlig anderen Charakter samt neuem Namen verliehen.

Auf dem Tisch stehen Keramiken von Kirsten Landwehr; de Bayser sitzt auf einem Sofa von Pierre Augustin Rose.
Auf dem Tisch stehen Keramiken von Kirsten Landwehr; de Bayser sitzt auf einem Sofa von Pierre Augustin Rose.Mark Seelen

Man wolle weg von dem zum Berliner Klassiker verklärten Brutalismus-Berghain-Stil, so de Bayser, den dominierenden Betonwänden und Neonröhren etwas Eigenes, Elegantes entgegensetzen. Also ist der Store am Gendarmenmarkt, zuvor eher als karge Halle inszeniert, mit Betonböden und Neonlichtern eben, zu einer wohnlichen Wohlfühloase geworden: Üppige Sitzgruppen, die sich auf Wunsch auch für das eigene Heim ordern lassen, stehen beieinander wie in einem privaten Apartment. Einem „Appartement“, eigentlich.

Gips-Leuchten erinnern an Entwürfe von Alberto und Diego Giacometti

Denn es sei ein durchaus französischer Stil, so de Bayser – nicht bloß der eigenen französischen Herkunft wegen ein echter Fachmann dafür –, den das Pariser Studio Pierre Augustin Rose für The Square entwickelt hat. Wenig Berlinesque zeigen sich indes auch die zeitlichen Abläufe der Renovierungsarbeiten: Ende August erst gestartet, ist der Concept-Store keine drei Monate später fertig, von kleinsten Details mal abgesehen. Ein Tempo, das Berlin in Bezug auf umfassende Umbauten lange nicht gesehen hat.

Im neuen Concept-Store gibt es auch Interior-Objekte von Ann Demeulemeester, Chiara Catrani und Rick Owens.
Im neuen Concept-Store gibt es auch Interior-Objekte von Ann Demeulemeester, Chiara Catrani und Rick Owens.Mark Seelen

Von den denkbar hohen weißen Wänden strahlen nun bauchige Gips-Leuchten, die an ähnliche Entwürfe der Künstlerbrüder Alberto und Diego Giacometti erinnern; auch Warentische und Regale mit Lamellen-Dekor und Travertin-Platten leben von runden Formen und sanften Kurven. Selbst Wände und Winkel sind hier abgerundet – Ecken und Kanten sucht man, was das Interior betrifft, vergeblich. Für die aber, die Störfaktoren und Irritationen, sorgt das vielseitige Modeangebot.

Bouclé-Sessel und -Sofas entsprechen dem Stil des Franzosen Jean Royère

Wie schon in The Corner zuvor gehören weiterhin exaltierte Megamarken wie Balenciaga und Bottega Veneta zum Sortiment, dazu aber auch prägnantere Labels wie Alaïa, Coperni und Courrèges, die vor allem einem anspruchsvolleren Insider-Publikum gefallen dürften. Neu hinzukommen sollen bald die Marken Loro Piana und Diesel, die zuletzt beide interessante Entwicklungen durchgemacht haben.

Die Skulpturen des Künstlers Nicolas Lefebvre, hier auf dem Tisch, sehen wie verfremdete Schachfiguren aus.
Die Skulpturen des Künstlers Nicolas Lefebvre, hier auf dem Tisch, sehen wie verfremdete Schachfiguren aus.Mark Seelen

Die Möbel, die Bouclé-Sessel und -Sofas etwa, die in ihrer aufgeplusterten Form an die Arbeiten des Franzosen Jean Royère erinnern, kommen von Pierre Augustin Rose. Dazu gibt es Interior-Objekte von Ann Demeulemeester, Chiara Catrani und Rick Owens. Und auch Kunst gibt es in The Square zu sehen und zu kaufen: Wie verfremdete Schachfiguren sehen zum Beispiel die kleinen Skulpturen des Künstlers Nicolas Lefebvre aus. Im Store stehen sie geschickt platziert den ebenso farbintensiven Duftkerzen von Loewe gegenüber.

So viel Eleganz, Dekadenz geradezu – das soll Emmanuel de Bayser nach bald besonders nach Mitte gut passen. Denn wie sein Laden erfinde sich doch auch Berlins Zentrum gerade neu. Die Chancen stünden gut, hofft er, dass das eben erst eröffnete Château Royal um die eine und das Hotel Telegraphenamt, das ab Dienstag seine Pforten öffnet, um die andere Ecke, dem Bezirk ein neues, prachtvolles Gesicht verleihen.

Wünschenswert wäre das allemal, ist doch gerade Mitte über den abgeschmackten Beton-und-Neon-Kram längst noch nicht hinweggekommen. Wer in Berlin was auf sich hält, treibt sich aktuell denn auch eher woanders rum, in Schöneberg, Charlottenburg. Dabei lohnt sich jetzt auch ein Besuch am Gendarmenmarkt wieder.

The Square. Französische Straße 40, 10117 Berlin, Mo–Sa 10–19 Uhr. Auch die Charlottenburger Dependance des ehemals The Corner genannten Stores wird bald als The Square West neu gelauncht. www.thesquareberlin.de