Bisher war es mit Balenciaga in diesem Jahr nur bergauf gegangen: Neben den gefeierten Schauen des Kreativdirektors Demna sorgten die Solidaritätsaktionen für ukrainische Flüchtlinge und iranische Frauen sowie das demonstrative Löschen des Twitter-Accounts auch außerhalb der Fashionbranche für Zuspruch. Außerdem wurde das nachträgliche Herausschneiden von Kanye West aus dem Video der viel besprochenen Schlamm-Show, die Anfang September in Paris stattgefunden hatte, allseits für gut befunden. Und das, obwohl man sich von West wegen seiner langjährigen Freundschaft mit Demna erst auf den letzten Drücker verabschiedete. Gap und Adidas hatten das schon viel früher getan.
Nun sorgten zwei Kampagnen für Unmut in der Achtsamkeitsblase. Für die neue „Objects“-Linie wurden Kinder fotografiert, umringt von Kissen, Kerzenständern, Schmuck, Tellern und Besteck – Produkten, die es aktuell im sogenannten Gift Shop auf der Website der Luxusmarke zu kaufen gibt. Die Bilder stammen von Gabriele Galimberti, der dafür bekannt ist, Menschen in genau jener Ästhetik mit ihren persönlichen Gegenständen zu fotografieren – darunter Amerikaner mit ihren Waffensammlungen und eben Kinder mit ihrem Spielzeug. Auf den Fotos, die Galimberti für Balenciaga machte, halten einige der Kinder Taschen aus der aktuellen Kollektion in den Händen: zerrupft aussehende Teddys, die nietenbesetzte Lederriemen und Ketten tragen. Elemente von Fetisch und SM sind wiederkehrende Stilmittel bei Balenciaga, in diesem Kontext dürften auch die Teddy-Taschen entstanden sein.
Isabelle Huppert und bedenkliche Dokumente
Dass auf den Fotos nun Kinder in Verbindung mit diesen Teddys, die augenscheinlich sexuell konnotiertes Geschirr tragen, zu sehen sind, war der erste Stein des Anstoßes. Der zweite folgte einige Tage später in Form der Kampagne zur neu in den Boutiquen erhältlichen „Garde-Robe“-Linie. Die Schauspielerin Isabelle Huppert sitzt in einem Balenciaga-Look am Schreibtisch und wirbelt wütend mit Papieren um sich (Videos: Rosie Marks, Fotos: Joshua Bright). Aufmerksame Zuschauer nahmen die Dokumente unter die Lupe und lasen: „Ashcroft v. Free Speech Coalition“. Ein Fall, in dem es vor etwa fünfzehn Jahren darum ging, Restriktionen bezüglich vermeintlicher Darstellung von Kinderpornografie zu prüfen und gegebenenfalls zu lockern. Dünnes Eis, sehr dünnes Eis!
Die kurz hintereinander gelaunchten Kampagnen gaben einigen Beobachtern Anlass zur Vermutung, es handle sich dabei um eine zusammenhängende ausgeklügelte Inszenierung des für Modeskandale bekannten Belenciaga-Kreativdirektors. Doch schaut man sich die in den vergangenen Monaten von der Marke an den Tag gelegte Wokeness bezüglich des Weltgeschehens an, ist es kaum vorstellbar, dass die negative Presse gerade zu diesem Thema gewünscht ist. Und schon gar nicht zu Weihnachten. Salopp gesagt: Hier haben wahrscheinlich einfach nur einige Verantwortliche geschlafen.

Balenciaga hat sich inzwischen auf Instagram dafür entschuldigt, die Teddy-Taschen Kindern in die Hand gegeben sowie fragwürdige Ausdrucke im Set-Design der „Garde-Robe“-Kampagne übersehen zu haben. Gestern äußerte sich auch die vierfache Mutter Kim Kardashian, die eng mit der Marke verbandelt ist, via Instagram zu den Ereignissen. Sie schätze die Entschuldigung von Balenciaga, dennoch knüpfe sie an eine zukünftige Zusammenarbeit Bedingungen wie die Gewährleistung des Schutzes von Kindern. Parallel zu Kardashians Posts ist in der Boulevardpresse von einer Klage die Rede: In der Daily Mail heißt es, Balenciaga fordere angeblich 25 Millionen Dollar von dem für das Set-Design verantwortlichen Team. Ob das den Imageschaden abdeckt, den die Kering-Marke jetzt ausbügeln muss?
Update: Am Montagabend veröffentlichte Balenciaga erneut ein offizielles Statement, in der die Marke die volle Verantwortung für die Kampagnen übernimmt. Diesmal wird man deutlich konkreter: „Wir verurteilen Kindesmissbrauch zutiefst. Es war nie unsere Absicht, Kindesmissbrauch in unser Narrativ aufzunehmen. Die beiden fraglichen Kampagnen zeigen eine Reihe schwerwiegender Fehler, für die Balenciaga die volle Verantwortung übernimmt.“ Von internen und externen Untersuchungen ist die Rede sowie von Konsequenzen, eigene Prozesse und Arbeitsweisen zu überdenken. Man wollte sich gegen den Missbrauch von Kindern einsetzen und aus den Fehlern lernen. So zügig, wie Balenciaga in der Regel auf aktuelle Ereignisse reagiert, so schnell dürften diese Schritte nun auch umgesetzt werden. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Wogen bald wieder glätten und man zur Tagesordnung zurückkehren kann. Denn wenn eine Luxusmarke sich dauerhaft für Minderheiten und Menschen in Not einsetzt, dann ist das Balenciaga. Doch Erfolg erhöht die Angriffslust der anderen – diese altbekannte Lektion dürften der Modemacher Demna und sein Team dieser Tage besonders schmerzlich gelernt haben.



