Die Luft ist dick in Mailand. Aber nicht im sprichwörtlichen Sinne, sondern tatsächlich: Die Stadt wird von Smog geplagt, der wie eine riesige, graugelbe Wolke über den Dächern hängt. Doch was für die Lunge schlecht ist, schmeichelt dem Auge.
Der Dunst wirkt wie ein Weichzeichner, der Straßen und Menschen in dieses ganz bestimmte Licht taucht und Fotos immer gelingen lässt. Auch jene von den italienischen Männern, um die es hier gehen soll. Die sind nämlich in der ganzen Welt berühmt für ihren Stil. Gut sitzende Anzüge, nach hinten gegeltes Haar, ein bisschen Macho-Macho. So sind sie, die Italiener. Oder ist das alles nur ein Klischee?
Um dieser Frage nachzugehen, sind wir in Mailand angetreten. Passenderweise ist gerade Fashion Week und es geht sowieso in allen Ecken der Stadt um Mode. Gelegenheiten, darüber zu sprechen, gibt es also viele.
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Erstes Gebot: Du sollst nicht langweilen
Erst einmal sind wir auf der Show von Prada, eine der weltweit führenden Luxusmarken. Sie befindet sich noch in Familienhand – auch so ein typisch italienisches Ding übrigens, diese Familienunternehmen. Inzwischen hat sich die 75-jährige Kreativchefin Miuccia Prada zwar den Belgier Raf Simons an ihre Seite geholt, doch die Mode bleibt unverwechselbar Prada – und damit italienisch.

Die neuen Entwürfe, die wie immer in einem von Rem Koolhaas gestalteten Show-Set in der Fondazione Prada präsentiert werden, erinnern an Trompe-l’Œil-Gemälde. Krägen, die aus V-Ausschnitten herausschauen, sind bei näherer Betrachtung Teil des Pullovers. Was wie ein echtes Halstuch aussieht, ist nur auf den Stehkragen gedruckt. Doch was ganz real und unmissverständlich ins Auge fällt, ist der virtuose Umgang mit Farben. Verschiedene Grün- und Blautöne mischen sich mit Cognacbraun und meliertem Grau. Pink und Rosa werden mit Gelb und Schwarz kombiniert. Eine kunterbunte Collage, die dennoch niemals schrill oder gar geschmacklos wirkt. Wie kann das sein?
Tatsächlich ist diese Treffsicherheit beim Umgang mit Kolorit eine Säule des italienischen Stils. Schon die Kinder lernen das von ihren Eltern, erklärt uns Stefano Gaudioso Tramonte. Er ist Style Director bei Corneliani, einer Mailänder Marke für klassische Herrenmode, die es seit den 1930er-Jahren gibt. „Im Vergleich zu Männern, die man auf den Straßen in New York, Berlin oder Istanbul sieht“, sagt Tramonte, „erkennt man die Italiener daran, dass die Farben in ihren Outfits perfekt zusammenpassen.“ Tramonte spricht dabei nicht von Krawatte, Einstecktuch und Socken in der gleichen Farbe. Das wäre nämlich Overmatching und ein fatales Statussignal.

„Ich sage immer“, fährt er fort, „zwei Farbtöne zu kombinieren ist einfach, zum Beispiel ein weißes Shirt zum blauen Anzug. Aber drei bis vier Farben in einem Look, das ist anspruchsvoll! Und italienische Männer können das.“ Warum sie dazu in der Lage sind, weiß Tramonte auch: „Mode und Schönheit haben in unserem Land eine Bedeutung. Die Kinder lernen das von den Erwachsenen, wenn sie aufwachsen, und imitieren das. Wir entwickeln dafür ein Gefühl von Kind an.“
Gebot Nr. 2: Du sollst deinen Körper lieben
Mit der Muttermilch saugen die Italiener also ihr Gefühl für Farben auf. Aha! Für den deutschen Mann heißt das: Nachsitzen. Fotos von Italienern studieren, probieren, üben. So kann man seine Intuition für farbliche Harmonie schärfen. Doch Tramonte, der bei unserem Treffen ein weißes T-Shirt zum dunklen, locker geschnittenen Zweiteiler trägt, ist noch nicht fertig: „Die zweite Sache ist die Silhouette“, sagt er. „Das Spiel mit Volumen. Wir haben einmal den klassischen Mann mit engen Hosen und einem körpernahen Blazer, oder den mit dem leichten Look, mit weiter geschnittenen Hosen und Jacketts. Diese Elemente in der richtigen Art zusammenzubringen, das macht den Unterschied und die italienische Eleganz aus.“
Bilderstrecke
Ja, auch das entspricht ganz klar dem Klischee: Die italienischen Männer sind stolz auf ihre Körper, deswegen wollen sie sie nicht verstecken. Ihre Kleidung muss die physischen Konturen nachzeichnen und gebührend betonen. Auch wenn manche Italiener das ein bisschen übertreiben: Das Oberteil ein wenig zu eng, die Hosen etwas zu schmal, Hals und Handgelenke überdekoriert mit Goldschmuck – auch sie sind nicht unfehlbar. Einem Deutschen würde so etwas kaum passieren, selbst wenn er modeinteressiert ist. Vor allem in Berlin freut man sich stattdessen über den Oversized-Trend und versteckt sich in riesigen Hosen und Shirts.
Auch die Männer in der Modemetropole Mailand kennen diese Looks, doch sie gehen mit weiter Kleidung umsichtiger um und gleichen die Vertuschung ihrer Körperformen mit sexy Einblicken aus. Ein weites Shirt hat dann einen sehr tiefen Ausschnitt, die lässig geschneiderte Hose eine 7/8-Länge für die Sichtbarkeit des Knöchels im sockenlos getragenen Lederschuh.

Sina Braetz ist Fashion Director des Magazins Numéro Berlin und pendelt regelmäßig zwischen Mailand, Paris und Berlin. Auch sie weiß um diese Besonderheit: „In der italienischen Mode gibt es diesen Körperkult. Im direkten Vergleich hat man das so selbst in Paris nicht, dort geht es eher um das Intellektuelle. Italien feiert die Schönheit des Körpers, entsprechend sieht man das in den Silhouetten.“
Und weil ja in Mailand gerade Fashion Week ist, verweist Braetz gleich auf ein paar aktuelle Kollektionen: „Diese extrem nostalgische, maskuline Eleganz war auf der Dolce & Gabbana-Show ganz deutlich zu sehen. Bei Prada oder auch bei jüngeren italienischen Designern wie Magliano geht es dann eher um deren Zerstörung. Aber trotzdem steht der Körper immer im Mittelpunkt.“
Gebot Nr. 3: Du sollst Qualität ehren
Farben und Formen also, wobei Zweiteres sicher das schwierigste Kapitel dieses kleinen Stil-Kompendiums darstellt. Doch es gibt da noch eine andere Sache, und die ist wohl am schnellsten zu begreifen. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Italiener oft Poloshirts oder T-Shirts aus feinem Strick statt aus Baumwolljersey tragen? Damit wären wir beim dritten Punkt, nämlich dem Material. Auch das ist ein Kriterium, dem der italienische Mann deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als seine Ländernachbarn. Denn wofür steht „Made in Italy“ auf der ganzen Welt? Richtig, es ist das Nonplusultra textiler Könnerschaft, der Produktion innovativer und qualitativ hochwertiger Stoffe.
Das weiß auch Mumi Haiati, CEO von Reference Studios. Mit seiner in Berlin gegründeten Beratungsagentur betreut er viele wichtige Modemarken; inzwischen gibt es einen Reference-Zweitsitz an bester Adresse im Mailänder Stadtzentrum, ab Herbst ein drittes Büro in Paris. Bei unserer Stippvisite in Mailand sagt Haiati: „Stilsicherheit ist hier Teil der DNA. Genauso wie Essen wird Mode als ein Kulturgut betrachtet. Tailoring ist fest verankert in der italienischen Geschichte.“ Haiati bezieht sich auf die viele Jahrhunderte zurückreichende Textiltradition mit Produktionsstätten vor Ort, die es den italienischen Marken ermöglicht, so intensiv wie ressourcenschonend an der Entwicklung immer neuer, spannender Stoffe zu arbeiten. So können sie weltweit ganz vorne mitspielen.

Wir besuchen die Modenschau von Zegna, dessen deutscher Markenbotschafter übrigens der Berliner Daniel Brühl ist. Klar, dass er in der ersten Reihe Platz nimmt. Die Show-Location ist eine riesige Halle, in der ein abstrahiertes Flachsfeld aufgebaut ist. Denn aus Flachs wird Leinen gemacht, die „Oasi Lino“-Faser, wie sie bei Zegna genannt wird - und darum dreht sich alles in der neuen Kollektion für 2025. Für die elegant an den Körpern der Models flatternden Zweiteiler wurden eine Vielzahl neuartig verarbeiteter Leinenstoffe verwendet. Darunter auch erstmals Leinen, das weniger knittert.
Diese Anzüge wirken wahnsinnig wertvoll und elitär, ein Zweiteiler kostet mehrere Tausend Euro. Alessandro Sartori, künstlerischer Leiter bei Zegna, macht daraus keinen Hehl, wenn er die Show folgendermaßen kommentiert: „Diese Kollektion hat etwas typisch Italienisches an sich. Sie suggeriert eine aristokratische Welt, in der Männer Spaß daran haben, mit ihrem Aussehen spielen.“ Der pure Luxus, ganz unverhohlen. Made in Italy eben.
So wie bei Zegna wird bei vielen italienischen Marken gerade mit Materialien und ihrer Fertigung experimentiert. Ein Pionier auf dem Gebiet war Massimo Osti, der mit C.P. Company und Stone Island in den 1970ern und frühen 1980ern zwei der bis heute wichtigsten Outdoor-Marken Italiens gründete. Als sein Nachfolger bei C.P. Company (Stone Island gehört inzwischen zu Moncler) trat später sein Sohn Lorenzo Osti an. Bei der Präsentation auf der Milan Fashion Week erzählt er von einer Modenschau, die 1988 mal im Berliner Reichstag stattgefunden haben soll. „Man findet sie noch auf YouTube“, sagt Osti, während ein minderjähriges Mitglied seiner famiglia an ihm herumturnt. „Danach ging das mit den Goggle-Jackets los.“ Er meint damit die Jacken, in deren Kapuzen Schutzbrillen wie bei Schweißern eingenäht sind; ein Signature Detail, mit dem C.P. Company weltberühmt wurde.
Last but not least: Das Wetter
In der italienischen Mode mischt sich Hightech oft mit Sartoria, also traditionellem Schneiderhandwerk. Sei es für den Sportbereich oder für ein paar wenige kältere Tage in der Stadt. Apropos das Wetter. Das ist ja meistens schön in Italien. Aber es ist auch ein Aspekt, der für den Stil des italienischen Mannes von großer Bedeutung ist. Das weiß der Berliner und Italienkenner Klaus Stockhausen, seines Zeichens Fashion Director beim Zeit-Magazin und Gast auf jeder wichtigen Modenschau.

Auf dem Weg zum Aperitivo sagt Stockhausen: „So ein weißer Leinenanzug funktioniert an einem normalen deutschen Mann einfach nicht. Hier in Mailand ist das immer so ein bisschen Professore, Signore, Conte; ein bisschen dandyesk, gerne mit farbigem Einstecktuch und Halstüchern. Das ist italienisch. Es geht eben am Ende auch ums Wetter. Das Wetter ist ein wichtiger Punkt.“ Richtig, denn was wäre der Italiener ohne sein Bräune und die edle Sonnenbrille?









