WM 2022

Nach der WM-Katarstrophe: Was die Männer jetzt von den Frauen lernen sollten

Nicht nur beim Umgang mit nichtsportlichen Themen sind die DFB-Frauen viel besser als ihre Kollegen. Hätte der Bundestrainer doch nur den Austausch gesucht.

Deutsche Frauen Nationalmannschaft bejubelt das 1:0. Deutschland vs. Frankreich. (Archiv)
Deutsche Frauen Nationalmannschaft bejubelt das 1:0. Deutschland vs. Frankreich. (Archiv)IMAGO/Eibner-Pressefoto/Bert Harzer

Immer wenn die neue Akademie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zu einer Veranstaltung lädt, wird besonders betont, wie wichtig der Zusammenhalt und das Zusammenwachsen von Männern und Frauen unter dem neuen, teuren Dach auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurter Galopprennbahn sind. Doch rückblickend sind viele Lippenbekenntnisse dabei. Wenn sich nämlich die A-Nationalmannschaft (Männer) für die WM in Katar nur eine winzige Scheibe von der Haltung abgeschnitten hätte, mit der die A-Nationalmannschaft (Frauen) zuletzt die EM in England bestritt, wäre das Turnier wahrscheinlich anders gelaufen.

Rückblende: Im Sommer waren die deutschen Fußballerinnen über Nacht zu Heldinnen geworden. Trotz eines unglücklich verlorenen Endspiels. Aber ihr besonderer Spirit, ihre totale Hingabe, ihr gelebter Zusammenhalt und ihr erfolgreiches Spiel verzückten die Nation. Sie stießen in das Vakuum verlorener Glaubwürdigkeit. 18 Millionen schalteten am 31. Juli beim EM-Finale gegen England ein. Mehr als am vergangenen Sonntag beim WM-Gruppenspiel gegen Spanien. Verweise auf solche Tatsachen spielen (männliche) DFB-Angestellten schon mal herunter. Alles nicht vergleichbar. Warum eigentlich nicht?

Noch immer wirkt die Verzahnung im größten Sportverband an vielen Stellen alibihaft. Besonders beim für alle Nationalmannschaften zuständigen DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Auch Bundestrainer Hansi Flick erweckte im Vorfeld nicht den Eindruck, als hätte er sich mal mit den Frauen ausgetauscht, deren positive Erfahrungen vielleicht auch ihm hätten helfen können. Sonst hätte nicht auch der 57-Jährige mit seinem respektlosen Verhalten, nicht mal seinen Ersatztorwart Marc-André ter Stegen zur Pressekonferenz vor dem Spanien-Spiel mitzubringen, so viel falsch gemacht.

Der Umgang mit den nichtsportlichen Themen gelingt den DFB-Frauen deutlich besser. Schon in der Vorbereitung in Herzogenaurach wurde das komplexe Thema Equal Pay immer wieder an die Spielerinnen herangetragen. Darauf gab es stets die gleiche Antwort: Equal Play sei ihnen wichtiger als Equal Pay. Erst gleiche Bedingungen, dann vielleicht bessere Bezahlung. Was Kanzler Olaf Scholz nicht abgehalten hat, vor dem wichtigen Gruppenspiel gegen Spanien einen Tweet abzusetzen, um das Thema populistisch zu befeuern. Doch über dieses Stöckchen sind die Protagonisten glücklicherweise nicht gesprungen. Am Tag danach richtete die erst 22-jährige Ergänzungsspielerin Lena Lattwein, Einser-Abiturientin und angehende Wirtschaftsmathematikerin, in der Pressekonferenz aus: „Es ist leicht, so etwas zu fordern, ohne die Hintergründe zu kennen.“ Der Konter saß. Das Thema verlor an Fahrt. Und der Fokus war für das Team um Torjägerin Alexandra Popp gewahrt.

Mit ihrem intellektuellen Background können die Spielerinnen gesellschaftlich relevante Themen anbringen

Das Team um Manuel Neuer glaubte, es würde besonders gut rüberkommen, wenn es sich an der One-Love-Binde festkrallt – und verlor zur Unzeit die Konzentration. Die Frauen stehen allesamt mitten im Leben, 15 der 23 EM-Spielerinnen haben studiert oder studieren noch. Sie verdienen ein Bruchteil dessen, was die Männer verdienen, doch ersparen sie sich neidische Kommentare. Mit ihrem intellektuellen Background können sie gesellschaftlich relevante Themen anbringen, ohne dass eine konzertierte Verbandsaktion aus PR-Zwecken dahintersteht.

Längst nicht allen, aber einigen Nationen gelingen die geschlechterübergreifenden Doppelpässe bereits besser. Beim deutschen Gruppensieger Japan hat Nationaltrainer Hajime Moriyasu in der Nacht zu Freitag gesagt, dass die Frauen allein deshalb eine Inspiration für ihn wären, weil sie 2011 Weltmeister wurden – in Deutschland übrigens. Der kanadische Verband hat mal einfach John Herdman zum Männer-Cheftrainer gemacht, nachdem der als Frauen-Nationalcoach so gute Arbeit leistete. Und in den USA kommt der ehemalige Bundesligaprofi Gregg Berhalter an Orientierungspunkten mit den US-Girls gar nicht vorbei, weil deren Titelliste so lang ist. Der Verband bezahlt nach einer Klage von Megan Rapinoe und Co. inzwischen die gleichen Prämien wie an Tyler Adams und Gefährten.

Der DFB beschäftigt mit Martina Voss-Tecklenburg eine Bundestrainerin, die (fast) immer den richtigen Ton trifft. Gerade in Fragen, die oft sehr weit über den Fußball hinausreichen. Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist um ein Vielfaches besser als die von Flick. Die 54-Jährige punktet auch als Expertin beim ZDF. Wenn der DFB irgendwo eine heimliche Liste von möglichen Kandidaten für die Flick-Nachfolge aufstellen sollte, müsste ihr Name draufstehen. Keine Angst: Voss-Tecklenburg würde den Wechsel aktuell nicht vollziehen. Bis zur Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland ist es nicht mehr lange hin – und diese Mission will sie leiten. Das enttäuschende Abschneiden der Männer dürfte dafür sorgen, dass die Rückendeckung für die Frauen bis dahin weiter steil steigt. Weil sie jetzt endgültig die wahren Vorbilder im deutschen Fußball sind. Auch wenn es viele Männer noch immer nicht wahrhaben wollen.