Nachruf

Man nannte ihn den „Fritz Walter des Ostens“: Zum Tod von Jürgen Nöldner

Als Fußballer und Sportjournalist war der gebürtige Berliner eine Ausnahmeerscheinung. Am Montag ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.

Jürgen Nöldner (M.) geht bei einem Länderspiel gegen Rumänien ins Dribbling.
Jürgen Nöldner (M.) geht bei einem Länderspiel gegen Rumänien ins Dribbling.imago/Schulze

Am 31. Oktober 1965, einem Sonntag, drängten sich um 14 Uhr unglaubliche 95.000 Menschen im Leipziger Zentralstadion. Die DDR-Fußballnationalmannschaft traf in der WM-Qualifikation auf Österreich. Bevor der Sekundenzeiger eine volle Minute erreicht hatte, gelangte eine Flanke zum offensiven Mittelfeldspieler Jürgen Nöldner, damals 24 Jahre jung. Der Edeltechniker fackelte nicht lange und überwand mit einem straffen Schuss den österreichischen Keeper Gernot Fraydl. Es blieb damals in Leipzig beim 1:0 und Nöldners Blitz-Treffer auch das schnellste Tor in der Länderspielgeschichte der DDR.

„Das war ein Supertor, vor allem, weil ich es mit meinem schwachen rechten Fuß geschossen habe“, erzählte Nöldner später immer wieder gern. Der Autor dieser Zeilen erlebte als 13-jähriger Junge das Spiel und ahnte natürlich nicht, dass der exzellente Spieler viele Jahre später ein hochgeschätzter Journalistenkollege würde.

Fünfmal Meister mit FC Vorwärts Berlin

Der Name Nöldner ist in Berlin ein Begriff und gehört im Osten zum Stadtbild. Jürgen Nöldners Vater Erwin, ein Kommunist, wurde 1944 von den Nazis ermordet. Der Nöldnerplatz in Lichtenberg und die S-Bahn-Station Nöldnerplatz erinnern an ihn. Sohn Jürgen begann seine Karriere bei den Knaben von Sparta Lichtenberg, ein ganz Großer des Fußballs wurde er beim FC Vorwärts Berlin. Für den Armeeklub, in den 1960er-Jahren das Nonplusultra im DDR-Klubfußball, absolvierte er 285 Oberligaspiele, in denen er 88 Tore schoss. Fünfmal wurde er zwischen 1960 und 1969 DDR-Meister.

Jürgen Nöldner als Journalist auf der Pressetribüne
Jürgen Nöldner als Journalist auf der Pressetribüneimago/Camera 4

Nöldner, der 30 Länderspiele bestritt, hielt es gern mit einem Bonmot des berühmten ungarischen Fußballstars Ferenc Puskas: „Ein gutes linkes Bein ist besser als zwei schlechte rechte!“ Als Nöldner mit der DDR-Auswahl 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio die Bronzemedaille errang, betitelte ihn die Bild-Zeitung wegen seiner Führungsspielerqualitäten und seiner oft genialen Pässe gar als den „Fritz Walter des Ostens“. Der oft eigenwillige Nöldner nannte seine Spielweise immer „schlau“ und erklärte: „Ich bin nie einem Ball hinterhergerannt, der nicht zu erreichen war.“

1966 wurde er als „DDR-Fußballer des Jahres“ geehrt und beendete mit 31 Jahren seine Laufbahn. Danach studierte er Journalistik. Trainer wollte er auf keinen Fall werden. „Dafür hätte man an der DHfK in Leipzig Sport studieren müssen. Ich hätte schwimmen und im Winter von einer Schanze springen müssen. Nein, das war nichts für mich“, begründete er seine Absage an den Trainer-Job.

Chefredakteur der Neuen Fußball-Woche

Als Journalist beim Deutschen Sportecho beurteilte er lieber fachmännisch das Auftreten seiner Nachfolger auf dem Platz („Mir konnte ja keiner etwas vormachen“), war später Chefredakteur der Neuen Fußball-Woche und leitete nach der Wende die Nordost-Redaktion des Sportmagazins Kicker.

Der Autor dieser Zeilen hat Jürgen Nöldner als äußerst kompetenten und hilfsbereiten Kollegen schätzen gelernt, als liebenswerten und bescheidenen Menschen, mit dem man beim Bier wunderbar fachsimpeln konnte. Fußball spielte er schon lange nicht mehr. Die Gelenke ließen es nicht zu. Sein Platz in seiner Stammkneipe in Lichtenberg – diesen Stadtbezirk hat er nie verlassen – bleibt nun für immer leer. Jürgen Nöldner ist am Montag in Berlin im Alter von 81 Jahren gestorben.