Leichtathletik

Verletzungspech plagt das deutsche Team bei der Leichtathletik-WM in Budapest

Am Samstag startet die Leichtathletik-WM und Deutschland hat kaum Medaillenkandidaten. Könnten Carbon-Schuhe ein Grund für die vielen Verletzungen sein?

Rebekka Haase (l.) und Gina Lückenkemper (r.) nehmen an der WM in Budapest teil. Viele andere Athleten fallen aus.
Rebekka Haase (l.) und Gina Lückenkemper (r.) nehmen an der WM in Budapest teil. Viele andere Athleten fallen aus.Sören Stache/dpa

Am Samstag beginnt in Ungarns Hauptstadt Budapest die Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Das Aufgebot des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) macht sich bereit für eine Woche voller Wettkämpfe in den Sprung-, Wurf- und Laufdisziplinen. Jedenfalls die, die überhaupt antreten. Nach und nach melden sich immer mehr nominierte Athleten ab. Viele erfolgreiche deutsche Sportler können bei der WM nicht glänzen.

Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo kuriert einen Muskelfaserriss aus. 3000-Meter-Hallen-Europameisterin Hanna Klein verzichtet wegen eines Achillessehnenrisses. 5000-Meter-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen sagt ihren Start wegen Fußproblemen ab. Mittelstrecken-Ass Robert Farken kämpft mit einer Verletzung der Achillessehne und der EM-Zweite im Stabhochsprung, Bo Kanda Lita Baehre, kann wegen einer Verletzung nach einem Sturz nicht antreten.

Die Chancen, bei dieser WM deutlich besser abzuschneiden als bei der vorigen WM, einer historisch schlechten für den DLV, erscheinen daher gering.

Woher kommen die Verletzungen?

Die Berliner Sprinterin Gina Lückenkemper glaubt, dass die modernen Lauf- und Sprintschuhe mit ein Grund für die Vielzahl an Verletzungen sein könnten. „Diese ganze Entwicklung mit den Carbon-Schuhen und diesen Bouncer-Spikes ist mit ein bisschen Vorsicht zu genießen“, sagte die 100-Meter-Europameisterin. Ihrer Meinung nach sei es „echt extrem, wie viele Athleten aktuell mit irgendwelchen Achillessehnenproblemen oder Fußproblemen zu tun haben“.

Konstanze Klosterhalfen (l.) und Hanna Klein (r.) konkurrierten bei der Hallen-EM über 3000 Meter – bei der WM in Budapest fallen beide aus.
Konstanze Klosterhalfen (l.) und Hanna Klein (r.) konkurrierten bei der Hallen-EM über 3000 Meter – bei der WM in Budapest fallen beide aus.Oliver Weiken/dpa

Nicht nur im deutschen Team fallen viele Topathleten aus. Auch die belgische Siebenkämpferin und Olympiasiegerin Nafissatou Thiam verzichtet wegen ihrer Achillessehne auf eine Titelverteidigung in Budapest. Ebenso fehlt die amerikanische Weltrekordhalterin über 400 Meter Hürden, Sydney McLaughlin-Levrone.

Glück und Unglück durch Carbon-Schuhe

Was also steckt hinter dem Hype um die Carbon-Schuhe, die Sprint-Ass Lückenkemper als Teil des Problems sieht? Innerhalb von etwa zwei Jahren hagelte es in der Leichtathletik Rekorde, Bestzeiten und die Spitze wurde so breit wie nie zuvor. Während der Corona-Pandemie lieferten Topläufer regelmäßig außergewöhnliche Leistungen – trotz mangelnder Wettkämpfe. Während 2017 noch vier Männer den Marathon unter zwei Stunden und fünf Minuten liefen, waren es 2019 bereits 17. Bei den Frauen ist die Entwicklung ähnlich. Die vor wenigen Jahren durch erfolgreiche mediale Vermarktung populär gewordenen Carbon-Schuhe „lassen die, die sie tragen, im Durchschnitt zwei bis vier Prozent schneller laufen als die Sportler, die normale Schuhe tragen“, sagt Olaf Ueberschär, Professor für Mensch-Technik-Interaktion und Biomechanik.

Ihm zufolge sei es normal, dass man jetzt anfange zu überlegen, ob die Probleme der Athleten vielleicht mit den Schuhen zusammenhängen könnten. „Das ist ein ganz natürlicher Rebound-Effekt, man sieht jetzt auch die negative Seite und schaut, ob die Probleme in der Gesamtbilanz vielleicht tatsächlicher gravierender sind als der Vorteil durch den Carbon-Schuh“, sagt Ueberschär.

2022 läuft Eliud Kipchoge in 2:01:09 Stunden beim Berlin-Marathon Weltrekord – in Carbon-Schuhen.
2022 läuft Eliud Kipchoge in 2:01:09 Stunden beim Berlin-Marathon Weltrekord – in Carbon-Schuhen.Andreas Gora/dpa

Carbon kommt in den Schuhen häufig in Form einer oder mehrerer steifer Platten in der Mittelsohle zum Einsatz. Das Material ist sehr leicht, gleichzeitig aber auch sehr stark belastbar und je nach Verarbeitung mehr oder weniger flexibel. Außerdem ist Carbon in der Lage, große Mengen an Energie aufzunehmen und auch wieder abzugeben. Ein Sportler muss also mit Carbon-Schuhen weniger Energie aufwenden, um genauso schnell zu laufen. „Durch die Schuhe vergrößern wir die Hebelwirkung der Achillessehne, in dem wir ganz bewusst die Fußsohle steif machen“, erklärt Ueberschär. Dadurch aber werde die Achillessehne stärker als normal beansprucht, weil der Hub größer sei.

Was Gina Lückenkemper angesprochen hat, könnte also tatsächlich mit ein Grund für die hohe Anzahl an Verletzungen und Achillessehnenproblemen sein.

Nicht alle können einfach so diese Schuhe tragen

Tatsächlich gibt es, was die Anfälligkeit von solchen Verletzungen betrifft, auch „anatomische Prädispositionen“, sagt Ueberschär. Außerdem sei aus vielen Studien bekannt, dass die mitteleuropäische Ethnie im Durchschnitt längere und dünnere Achillessehnen hätte und sie dadurch auch grundsätzlich anfälliger für solche Beschwerden wäre. „Die Carbon-Schuhe haben genau das als Schwachpunkt, dass sie etwaige Anfälligkeiten für Achillessehnenprobleme oft verstärken, weil der Fuß versteift wird“, meint Ueberschär.

Die Schuhe bringen aber nicht nur Probleme mit sich – viele Profiathleten schwören auf die neuen Technologien. Johannes Motschmann vom Marathonteam Berlin startet bei der WM in Budapest über die Marathondistanz. Er sagt, dass er die Erfahrung gemacht habe, dass die Schuhe bei ihm eher der Verletzungsprävention dienen, da sie besser gedämpft seien und er sich, durch weniger muskuläre Beanspruchung, daher besser erhole. Auch Marc Koch, 400-Meter-Sprinter von der LG Nord Berlin, merkt „einen Riesenunterschied zu normalen Schuhen, weil man viel mehr von der Energie, die man reinsteckt, zurückbekommt“. Sam Parsons vom SCC Berlin, der in Amerika lebt und in Budapest 5000 Meter auf der Bahn laufen wird, sagt, dass definitiv die Fußmuskulatur mehr gestärkt werden müsse, wenn man viel mit Carbon-Schuhen trainiere. Er wüsste auch, dass es „einen Haufen Verletzungen gibt wegen dieser Schuhe“. Für den Sport aber sei diese „Hypertechnologie“ fantastisch: „Ich denke, dass das erst der Anfang ist von dem, was noch passieren wird.“

Ob die deutschen Athleten, die in Budapest am Start sind, trotz oder wegen der Carbon-Schuhe erfolgreich sein werden, wird sich ab Samstag zeigen. Dann beginnen die ersten Vorläufe und Qualifizierungsrunden.