Andreas Rettig entschied sich zur Vorstellung bei seinem neuen Arbeitgeber für gedeckte Farben. Bloß nicht zu aggressiv wirken am ersten echten Arbeitstag in Diensten des Deutschen Fußball-Bundes. Dazu gesellte der 60-Jährige eine Sprache der zurückhaltenden Diplomatie, die so gar nicht dem Naturell des meinungsfreudigen Rheinländers entspricht, sehr wohl aber dem seiner neuen Dienststelle. Dort, im DFB-Campus im Herzen von Frankfurt, hatte der neue Sport-Geschäftsführer mit Vertrag bis 31. Dezember 2026 schon die Nacht in einem der 33 Athletenzimmer verbracht. Genau da pflegt im Übrigen auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf zu nächtigen, wenn er sich in Frankfurt aufhält. Für die Nationalspieler gelten die Unterkünfte dagegen als zu schlicht.
Vielleicht will man denen auch das ersparen, was dem Neuen gerade widerfahren ist: Er hat sich erst einmal in dem weitwinkligen Haus verlaufen. Das sollte ihm im Job fortan besser nicht passieren, ganz im Gegenteil: Rettig soll den DFB wieder aufs Gleis hieven und dessen verblichenen Beliebtheitswerte steigern. „Er steht für einen Perspektivwechsel, den wir hier im DFB wollen“, sagte Neuendorf auf der eigens einberufenen Pressekonferenz. Der streitbare Rettig sei ihm für all das bekannt, was vom DFB gebetsmühlenartig verlangt würde: „Mut und Courage und Offenheit und Veränderungswillen.“
Rummenigge und Mintzlaff treten aus DFB-Taskforce aus
Bis vorgestern hatte sich Kommerzialisierungskritiker Rettig noch getraut, mit ungefähr jedem in der Nomenklatura der Bundesliga anzulegen. Entsprechend wenig Begeisterung löste seine Benennung in der Oberklasse aus. Die Herren Rummenigge und Mintzlaff traten umgehend sauertöpfisch aus der erst vor neun Monaten gegründeten DFB-Taskforce zur Rettung des deutschen Fußballs aus, in der somit nach dem bereits erfolgten Rückzug von Oliver Kahn nur noch Matthias Sammer übriggeblieben wäre. Somit ist das Gremium abgeschlossene Vergangenheit.
Man weiß ja längst, dass der Red-Bull-kritische Rettig, der Leipzig die Lizenz zum Bundesligafußball seinerzeit am liebsten verwehrt hätte, und den schneidigen RB-Boss Mintzlaff eine formvollendete gegenseitige Abneigung verbindet. Aber auch mit den Bayern ist es schwierig. Die waren ihm oft gram, weil Rettig das Verteilungsmodell der TV-Gelder notorisch an den Pranger stellte und mehr Geld für die Kleinen zuungunsten der Reichen einforderte.
Rettig berichtete am Montag, er habe Rummenigge und auch Uli Hoeneß vor der Bekanntgabe seiner Personalie am vergangenen Freitag vergeblich versucht, vorab fernmündlich zu erreichen. Weder auf eine Mailbox-Nachricht noch auf eine SMS hätte es „Resonanz gegeben“. Eine ziemlich deutliche non-verbale Botschaft aus Bayern: Den Rettig schätzen sie dort nicht.
Der bestens vernetzte Frankfurter Vorstandsprecher Axel Hellmann mochte sich zur Personalie Rettig auf Anfrage nicht öffentlich äußern, was mindestens als Ausdruck von Skepsis gewertet werden darf. Rettig seinerseits will sowohl mit Rummenigge/Hoeneß als auch mit Hellmann das Gespräch suchen: „Ich werde auf alle konstruktiv zugehen.“ Angesichts mancher krisenhafter Entwicklung sei es von Bedeutung, „dass alle, die es gut meinen mit dem deutschen Fußball“ zum „Guten des Ganzen“ voranschreiten würden. „Ich würde mich freuen, wenn sich auch der FC Bayern einbringt. Wir brauchen den FC Bayern. Ich würde es bedauern, wenn wir wichtige Protagonisten verlieren.“ Er selbst werde „in der Tonalität etwas leiser werden“ und verbal „den Fuß vom Gas nehmen“. Das war in der Tat unüberhörbar im pickepacke vollen Medienraum des DFB.
Auch DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke hat vor, den Chefkritiker des deutschen Profifußballs und diejenigen Ligamanager, die auf den Namen Rettig zuletzt arg genervt reagiert hatten, gedanklich wieder näher zusammenzubringen. Er kenne „Andreas Rettig seit vielen Jahren“, sagte Watzke im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, „in manchen Themenbereichen waren unsere Ansichten deckungsgleich – zum Beispiel, was unsere Haltung zur 50+1-Regel betrifft. In anderen Themenbereichen hingegen waren unsere Ansichten sehr konträr. Dennoch haben wir nie den Gesprächsfaden verloren.“


