Fußball

Champions League: Die Deutschen sind selten dabei, weil sie so moralisch sind

England  kontrolliert den Spitzenfußball. Das Problem ist: Die Bundesliga will es so. Ein Plädoyer zur Abschaffung der „50+1“-Regel

Sieht gut aus, ist aber nicht so erfolgreich wie der englische: deutscher Fußball.
Sieht gut aus, ist aber nicht so erfolgreich wie der englische: deutscher Fußball.Imago

Kommende Woche findet das Halbfinale der Champions League statt, aber die Zusammensetzung erinnert eher an Pauschalurlaub in Magaluf, der britischen Touristenhochburg auf Mallorca: England tritt gegen Spanien an, und die Deutschen schauen aus sicherer Entfernung zu.

Manchester City gegen Real Madrid und Liverpool gegen Villarreal – Premier League und La Liga kontrollieren diese Saison die Königsklasse. Und das ist die Ausnahme der Regel. Die Regel lautet: Die Premier League kontrolliert alles, der Rest darf zugucken.

„Wir sind stinkreich“

Warum das so ist, hat nie jemand besser formuliert als die Fankurve des FC Chelsea London, nachdem der Oligarch Roman Abramowitsch 2003 den Klub übernommen hatte: „We're fucking loaded, lalala“, sangen die Menschen. Das bedeutet, abgeschwächt übersetzt, soviel wie: „Wir sind stinkreich.“ Das blieb nicht ohne Folgen. Chelsea gewann fortan einen Titel nach dem anderen. Zweimal war's auch der Henkeltopf, die Champions League.

Eigentlich ist dieser Wettbewerb ja längst ein Fall fürs Kartellamt. Seit 2018 stand in jedem Endspiel mindestens ein Team aus England. Zweimal reisten beide teilnehmende Mannschaften aus dem Königreich zum Finale an. Die Spanier können von Glück sagen, dass sie diesmal im Halbfinale zu zweit dabei sein dürfen.

Wunder werden seltener

Wieso es Villarreal dorthin schaffte, weiß niemand ganz genau. Der Klub verstößt gegen alle Regeln. Der Jahresetat (140 Millionen Euro) würde gerade reichen, um Dortmunds Superstürmer Erling Haaland nach Manchester zu lotsen. Die Stadt hat so viele Einwohner wie München-Untergiesing (50.000), steht in Spanien sagenhafte 26 Punkte hinter Tabellenführer Real und gewann das Viertelfinale gegen Bayern nur, weil die Münchner glaubten, mit der Anreise zur Auslosung sei der schwerste Teil der Arbeit schon getan.

Und damit waren wir beim schönsten, das uns der Fußball zu bieten hat: dem Wunder. Ab jetzt kommt Realität.

Wunder werden seltener, seitdem ihr natürlicher Feind, das Geld, in immer größeren Bündeln auftritt – vor allem in England, der Heimstatt des investorgetriebenen Kickens. Wenn es etwas gibt in der Premier League, dann Geld, weshalb sie in der Champions League künftig die Sache unter sich ausmachen werden.

Deutsche Clubs sind Investorenfeindlich

Die Aussicht ist ärgerlich für die Bundesliga, die seit Jahrzehnten versucht, endlich wieder die beste Liga der Welt zu stellen. Die Spieler der sechs teuersten Klubs hierzulande sind 2,8 Milliarden Euro wert. Klingt nach viel, bis man nach England schaut. Dort erreichen bereits die Top 3 – ManCity, Liverpool und Chelsea – genau diesen Marktwert. Im Monopoly des Fußballs besitzt die Premier League das vollgebaute Schlossallee-Parkstraßen-Viertel. Die Bundesliga hat nur Bahnhöfe und wundert sich, dass man dort keine Häuser bauen darf.

Jedes Dilemma hat aber seine Ursachen, so auch dieses: Die Bundesliga will es so. Das klingt etwas verrückt, stimmt aber. Dass die Premier League furchtbar viel Geld und damit die besten Spieler der Welt eingesammelt hat und die Bundesliga darben muss, hat mit einer einzigen Regel zu tun, die sich der deutsche Fußball selbst auferlegt hat: Sie heißt „50+1“ und ist eine Art Freifahrtschein für alle anderen.

Die Regel besagt, dass die Mehrheit der Anteile eines Vereins immer in den Händen der Mitglieder liegen soll, sprich: dass sich deutsche Profiklubs Investoren verschließen müssen, wie sie anderswo gang und gäbe sind. In England etwa darf jeder einen Klub kaufen, dann nach Belieben sein Geld hineinpumpen, dafür alles bestimmen und schauen, was am Ende rauskommt.

Einige Clubs haben dann doch Investoren im Hintergrund

Bei uns geht das nicht. So viel Macht in einer Hand, das finden wir im fußballromantischen Deutschland unmoralisch. Wir wollen ehrlichen Schweiß, Bratwurst, Halbzeitbier und eingetragene Vereine. Mitgliedergeführte.

Natürlich könnte man über das solidarische „50+1“ stundenlang diskutieren. Dass uns damit Oligarchen, Scheichs und todesstrafenwütige Diktaturen (wie Saudi-Arabien, das im Winter Newcastle United übernahm) erspart bleiben, ist zum Beispiel sehr gut. Ob es aber wirklich stimmt, dass Fußballklubs in den Händen ihrer schlauen Fans grundsätzlich besser aufgehoben sind?

Es ist schon eine seltsame Fessel, die sich der deutsche Fußball um die Knöchel gebunden hat. „50+1“ verstößt gegen wirtschaftliche Prinzipien, auf denen unser Wohlstand beruht, wird aber von vielen Fußballfans gutgeheißen.

Warum wir „50+1“ und gleichzeitig Ausnahmen wie Wolfsburg (Investor: VW), Bayer Leverkusen (Investor: Bayer) oder Leipzig (Investor: Red Bull) haben, kann aber niemand genau erklären. Dass hierzulande gefühlt jeder zweite Bezirksligist seinen Investor hat, also vom örtlichen Top-Unternehmer geführt wird, der nebenbei die Punktprämien zahlt? Spielt in dieser Diskussion auch keine Rolle. Dabei bestimmen im Amateurbereich oft Mini-Mäzene, wo es langgeht. Nur heißen sie eben nicht Glazer oder Scheich Mansour, sondern Bauunternehmer Schulze und Malermeister Müller.

Zurück zum lieben Geld, das die Tore schießt, wenn es gut investiert wird

Die ARD sorgte kürzlich mit der Doku „Milliardenspiel Amateurfußball“ für Aufsehen. 60 Prozent der deutschen Amateurfußballer gaben in einer Umfrage an, schon einmal Geld bekommen zu haben. In einem einzigen Monat sollen 100 Millionen Euro in die unteren Klassen geflossen sein. Im Prinzip hat der deutsche Fußball also das System, das er ablehnt, selbst kreiert.

Im Fußball regiert das Geld. In Deutschland könnte es mehr sein.
Im Fußball regiert das Geld. In Deutschland könnte es mehr sein.Imago

Das Konstrukt funktioniert, solange die zweite Geige als Führungsinstrument anerkannt wird. Also die Fans zufrieden damit sind, international nur ab und zu den Ausreißer à la Villarreal zu stellen.

Der Vorzeigeausreißer heißt bei uns FC Bayern, zuletzt 2013 und 2020 Sieger in der Champions League. Bayern München ist übrigens der Klub, den knapp die Hälfte aller deutschen Fußballfans hasst. Sind wir also alle Masochisten?

Zurück zum lieben Geld, das die Tore schießt, wenn es gut investiert wird. Und das wird es in England, denn die Reichen und Schönen halten sich meist aus dem Tagesgeschäft heraus und überlassen das Management den Experten. Seitdem zum Beispiel Scheich Mansour Manchester City 2008 kaufte, kam er seltener ins Etihad Stadium als früher Bundestrainer Jogi Löw zu Bundesligaspielen.

Die Premier League macht trotz Corona fünf Milliarden Euro Umsatz

Die Folge, wenn immer mehr Geld auf immer größere Kompetenz trifft: Erfolg in der Endlosschleife. Und die Konkurrenz humpelt hinterher. Italiens Serie A, wo in den 90ern das Herz des Weltfußballs pochte, spielt keine Rolle mehr. In Spanien hat sich Barcelona im Kampf um die Krone übernommen – 1,3 Milliarden Miese. Die Katalanen gewinnen zurzeit nicht mal zu Hause gegen Eintracht Frankfurt. Und auch „wir erleben eine beispiellose Zäsur. Die Zeit des nahezu selbstverständlichen Wachstums scheint vorüber“, sagte jüngst die Chefin der Deutschen Fußball Liga, Donata Hopfen.

Das sehen die Engländer anders. Sie sind der See, in den alle Gebirgsbäche fließen. Die Fans zahlen Rekordticketpreise, Fernsehstationen überbieten sich beim Wettlauf um die Überragungsrechte gegenseitig, Investoren schlagen sich darum, Klubs kaufen zu dürfen, und deshalb wollen die besten Spieler alle nach England.

Die Premier League macht trotz Corona fünf Milliarden Euro Umsatz. Während die Bundesliga etwa eine Milliarde Euro jährlich für Übertragungsrechte einnimmt, streichen die Engländer das Vierfache ein.

Wo wenig Geld ist, ist kein Erfolg

Ein Klub, der dort heute in die Premier League aufsteigt, kassiert erst mal 200 Millionen Begrüßungsgeld. Auf Basis dieser Saison entspricht das dem Zwölf-Jahres-Etat von Greuther Fürth. Es flutscht in England.

Die Folgen dieser Schieflage könnten dramatisch sein: Wo wenig Geld ist, ist kein Erfolg. Wo kein Erfolg ist, fehlt bald Nachwuchs. Ohne Nachwuchs kein Erfolg. So beißt sich die Katze am Ende ganz solidarisch in den Schwanz.

Dass dem Fußball hierzulande der Nachwuchs davonrennt, ist also ziemlich logisch. Wer sollte sich für eine Liga begeistern, die der Elite freiwillig hinterherhechelt und sich mit Siegen in der zweitklassigen Europa League tröstet?

Alex Steudel war Chefredakteur von Sport-Bild, heute ist er freier Journalist und Co-Publisher des Fußball-Newsletters „Fever Pit'ch“. Er lebt in Hamburg.