Den ersten Moment der Aufregung in Okinawa verschlief Moritz Wagner. Um 3.54 Uhr in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag schallte Alarm durch den ersten WM-Spielort der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Lautsprecherdurchsagen auf den Straßen und eine japanische Push-Nachricht auf dem Handy warnten vor einer nordkoreanischen Satellitenrakete. Moritz Wagner schlief – auch, als 13 Minuten später auf gleichem Wege die Entwarnung kam. „Ich habe seit Jahren mein Handy nachts im Flugmodus“, sagte der Berliner am nächsten Tag mit einem Lachen.
Der 26-jährige Big Man ist dieser Tage sehr gut gelaunt. Kein Wunder: Nachdem Wagner vor knapp einem Jahr verletzt zuschauen musste, wie die deutsche Nationalmannschaft bei ihrer Heim-EM die Bronzemedaille gewann, ist er diesen Sommer fit. Er wird also auf dem Parkett stehen, wenn seine Mannschaft am Freitag (14.10 Uhr, Magenta Sport) in der Okinawa Arena gegen Gastgeber Japan in die Weltmeisterschaft startet. Mehr noch: Er könnte zu einem X-Faktor auf dem Weg zur anvisierten Medaille werden.
Moritz Wagner ist ein wichtiger Teil des deutschen Puzzles
Zunächst allerdings galt es, sich zu akklimatisieren. Etwas über 30 drückend schwüle Grad empfingen Wagner und seine Mannschaft am Montag auf der japanischen Urlaubsinsel Okinawa. Dazu ein Zeitunterschied von immerhin sieben Stunden. „Ich habe ein bisschen mit dem Jetlag zu kämpfen gehabt, aber mittlerweile gewöhnen wir uns alle daran“, sagt Wagner. Verkürzte Mittagsschläfe, ein wenig Melatonin und prompt haben selbst japanische Warnsysteme keine Chance mehr gegen den Wagner’schen Tiefschlaf.
Die deutsche Mannschaft wird also ausgeruht in das Auftaktspiel gegen den Gastgeber gehen. Ausgeruht, angefixt durch die Medaille im Vorjahr und mit einem noch besser aufgestellten Kader. Sowohl der 2022 verletzte Aufbauspieler Isaac Bonga als auch Wagner können und sollen der Mannschaft von Bundestrainer Gordon Herbert Impulse geben. „Moe ist ein sehr wichtiges Teil unseres Puzzles“, sagte Herbert so am Donnerstag in der Lobby des deutschen Teamhotels: „Er hat eine enorme Energie, einen enormen Enthusiasmus und schlichtweg Fähigkeiten, die viele Spieler nicht haben.“
Besagte Energie und besagter Enthusiasmus fallen auf, wenn man Wagner beim Spielen zusieht. Egal ob im NBA-Trikot der Orlando Magic oder bei der Nationalmannschaft – der 2,11 Meter große Berliner hat auf dem Parkett stets eine Präsenz, die von viel Einsatz, Spielfreude und Selbstvertrauen geprägt ist. Ein Selbstbewusstsein, das Wagner auch nach außen trägt, sei es durch Gestik und Mimik oder in Form von Trash Talk in Richtung seiner Gegenspieler. In letzterem sei er teamintern unübertroffen, sagen seine Mitspieler. „Das ist ja eigentlich nur fake, man meint das ja nicht persönlich“, sagt Wagner.
Das Wort „fake“ bietet dabei die perfekte Überleitung zu den spielerischen Stärken Wagners. So sind sogenannte Pump-Fakes, die im Basketballjargon Täuschungen bezeichnen, ein wichtiger Teil seines Spiels. Wenngleich Wagners Wurf in der sommerlichen Vorbereitung noch nicht mit der gewohnten Konstanz fiel, ist er doch wichtig in seinem offensiven Werkzeugkasten. Lassen seine Verteidiger ihm in diesem Wissen zu viel Platz an der Dreierlinie oder in der Mitteldistanz, wirft Wagner also. Verteidigen sie ihn zu eng, werden sie anfällig für seine Täuschungen, denen er oft einen ebenfalls soliden Zug zum Korb folgen lässt. In Kombination mit Wagners teils etwas wilden, insgesamt aber sehr versierten Spiel im Pick-and-Roll und in der Zone, ergibt dies ein Offensivpaket, von dem die deutsche Mannschaft profitieren dürfte.
Moritz Wagner läuft an der Seite seines Bruders Franz Wagner auf
Wagner selbst wiederum profitiert davon, dass er den vergangenen EM-Sommer trotz seiner Verletzung mit dem Nationalteam verbracht hat. Sowohl in Köln als auch in Berlin weilte er beim Team, war bei jedem Training, bei jedem Spiel, bei jedem Essen dabei. Ein Jahr später sagt er: „Einen 13. Spieler im Locker-Room und im Hotel anzunehmen, ist nicht selbstverständlich. Das macht es mir natürlich viel einfacher, Anschluss zu finden.“ Gleiches gilt für den Umstand, dass Wagner bei der WM an der Seite seines jüngeren Bruders auflaufen wird. Der 21-jährige Franz ist nicht nur Moritz’ Mitspieler und Mitbewohner in Orlando, sondern als zweiter Star im deutschen Team hinter Dennis Schröder einer der spannendsten Spieler der gesamten WM. „Natürlich geht er mir ab und zu auf den Keks, aber wir haben eine so gute Beziehung, dass ich mich frei fühle, das zu sagen“, sagt Moritz mit einem Schmunzeln über seinen Bruder und ergänzt: „Dadurch, dass wir zusammenspielen, haben wir eine gewisse Chemie, müssen gewisse Dinge nicht sagen und verstehen uns auch in einem neuen Spielstil sehr gut.“


