Für Jahresrückblicke ist es ein wenig spät. Im Fall des 1. FC Union vielleicht aber nicht. Allein die Wahl zum Tor des Jahres gestattet es, noch einmal von vergangenen Schönheiten zu schwärmen. Die Tradition, aus den Toren des Monats (mit Andreas Voglsammer aus dem Pokalspiel bei Hertha BSC und dem Duo Sven Michel/Kevin Behrens aus der Partie um Punkte in Leipzig sind die Eisernen doppelt dabei) das wirklich beste zu küren, macht einen Rückblick selbst kurz vorm Bundesliga-Wiederbeginn der Eisernen mit dem Spiel am Sonnabend in der Alten Försterei gegen die TSG Hoffenheim salonfähig. Andererseits gibt es im Fußball für Vergangenes nur ganz selten Meriten, vom Ticket für den Start auf einer der Bühnen Europas in der nachfolgenden Saison mal abgesehen.
1. FC Union: In einem Kalenderjahr können im Fußball merkwürdige Dinge passieren
Ab dem Wochenende gilt das alte, aber immer wieder neue Motto zu Beginn eines neuen Abschnittes, das vom neuen Spiel und vom neuen Glück. Im Fußball wird bis auf wenige Ausnahmen nicht im Rhythmus eines Kalenderjahres abgerechnet, klar doch. Allein in solch einer kurzen Zeitspanne können dennoch die merkwürdigsten Dinge passieren. An eine Sache werden sich wahrscheinlich diejenigen der Eisernen erinnern, die zum ersten und zum zweiten Bundesliga-Jahrgang in Köpenick gehörte: an Schalke. Nach der Hinrunde in der eisernen Premierensaison lagen die Königsblauen auf Rang fünf (keine Bange, die aktuelle Union-Platzierung ist nur rein zufällig diese) punktgleich mit Borussia Dortmund und nur drei Zähler hinter dem FC Bayern. Der Rest ist Grusel.
Damit ist es auch gut mit einer möglichen Schwarzmalerei. Erstens ist der 1. FC Union nicht Schalke und zweitens ist Eisern nicht Königsblau. Deshalb lohnt die Sicht auf die Dinge innerhalb eines Kalenderjahres im Nachhinein doch, zumindest dafür, es so gut zu packen wie zuletzt oder zumindest so ähnlich. Auch wenn die sieben Spieltage als Tabellenführer herausragen, das Überwintern in Europa ein absoluter Höhepunkt in der Vereinshistorie und das weitere Mitmischen im DFB-Pokal alles andere als alltäglich sind, ist es das Gesamtpaket, das selbst diejenigen staunen lässt, die es nicht mit dem Verein aus Köpenick halten.
2022 war einerseits ein Jahr mit vielen Verlusten gerade für den Fußball im Osten. Dixie Dörner ist ebenso gestorben wie Joachim Streich. Bernd Bransch, langjähriger Kapitän der DDR-Nationalelf, ist gegangen wie Werner Heine, der einst auch in der Alten Försterei spielte, der Rostocker Torhüter Jürgen Heinsch, Horst Wruck, dessen Bruder Wolfgang zu den eisernen 1968er-Pokalsiegerhelden gehört, und zuletzt Jürgen Nöldner, eine Berliner Atze durch und durch.
Der 1. FC Union ist die viertbeste Mannschaft im Jahr 2022
Es ist jedoch auch das Jahr, das in die eisernen Annalen eingeht als ein ganz besonderes. Noch einmal langsam, zum Mitschreiben, zum Merken und zum Genießen: 57 Punkte haben die Eisernen im vorigen Jahr geholt. Das ist Rang vier im 2022er-Jahresranking hinter den Bayern (68), Leipzig (64) und Dortmund (60), aber vor Freiburg (56), Leverkusen (54), Mönchengladbach (48) und dem großen Rest. Nur ist das, welcher Fußballer wüsste das nicht, längst Schnee von gestern.
Dass es wie geschmiert lief, ist also einerseits Segen, andererseits aber Fluch. Ein Fluch der guten Tat. Manchem klappte der Unterkiefer nach unten, als es im Spätherbst Gegentore hagelte und es in zwei Halbzeiten in Leverkusen und danach in Freiburg zusammen neun waren, so viele wie insgesamt in den ersten zwölf Runden.



