Die Profis hatten sichtlich ihren Spaß gegen die müden Regionalliga-Fußballer. Drei-eins, vier-eins, fünf-eins. Auf 6:1 (2:1) schraubte das Personal des TSV 1860 München das Ergebnis beim Test gegen den 1. FC Dynamo Dresden im Stadion des Bezirksligisten TV Altötting 1864.Ronny Ernst, 20, der hoffnungsvolle Neuzugang des TSV 1860 aus Deutschlands Osten, hockte da längst geduscht auf der Reservebank, ausgewechselt nach 45 Minuten. Ein bißchen enttäuscht wirkte er. Der Schiedsrichter hatte ihn um den Ruhm gebracht, mit präziser Flanke einen Kopfballtreffer des Polen Peter Nowak vorbereitet zu haben - ungerechterweise, wie er fand: "Das war kein Abseits." Außerdem hätte er gegen die alten Kameraden gerne länger gespielt. Aber 1860-Trainer Werner Lorant verteilt keine Geschenke. Rauf und runter, runter und rauf rennen soll Ronny Ernst auf der rechten Außenbahn des TSV 1860, aus der Defensive heraus den Ball schnell nach vorne tragen und flanken, flanken, flanken. Doch nach Meinung des Trainers hat er das an diesem Abend nicht ausreichend umgesetzt: "Mit der rechten Seite war ich nicht zufrieden."In Wirklichkeit ist Lorant der größte Fürsprecher des jungen Ernst. Er hat Ronny Ernst bei Dynamo Dresden entdeckt, er empfahl Ernst dem DFB-Trainer Hannes Löhr, der den Amateur darob zweimal ins U-21-Nationalteam berief. "Ronny Ernst ist der Beste seines Jahrgangs", sagt Lorant. Wenn ihn sein Fußballverstand nicht trügt, wächst in Ernst ein Spieler mit besten Aufstiegschancen heran. Endlich. Zwar haben sich aus der ehemaligen DDR etliche gute Spieler in die freie Marktwirtschaft hinübergerettet, aber außer dem ehemaligen Dresdner Matthias Sammer (Borussia Dortmund) hat noch keiner langfristig im deutschen Fußball eine herausragende Rolle gespielt.Im erfolgreichen deutschen EM-Kader fanden sich außer Sammer nur noch zwei Ostdeutsche: Der Dauerreservist Rene Schneider aus Rostock und der Brandenburger Steffen Freund (Borussia Dortmund), den der Ostfriese Dieter Eilts (Werder Bremen) aus der Stammelf drängte. Im internationalen Geschäft hatten bisher die Westdeutschen den längeren Atem. Thomas Doll, Ulf Kirsten, Andreas Thom oder Dirk Schuster, allesamt ehemals Protagonisten der DDR-Auswahl, waren bei Bundestrainer Berti Vogts nur für begrenzte Zeit gefragt. Alexander Zickler (FC Bayern) wartet auf die Länderspiel-Premiere."Die Gründe dafür müssen im mentalen Bereich liegen", sagt Karl Herzog, der Geschäftsführer von Dynamo Dresden. An ihren athletischen und technischen Voraussetzungen gibt es jedenfalls keinen Zweifel. Denn sie alle haben zu DDR-Zeiten eine umfassende fußballerische Ausbildung in den Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) genossen. Auch Ronny Ernst besuchte vor der Wende die KJS. Zweimal täglich trainierten die Kinder dort im Rahmen des Schulunterrichts. Herzog und auch Ernsts letzter Trainer in Dresden, Udo Schmuck, sind sich einig: "Das kommt ihm jetzt zugute."Lorant interessiert wenig, wie Ernst seine Fähigkeiten einst schulte ("Was weiß ich, auf was für einer Schule der war."). Auf den ersten Blick offenbarte sich ihm das Talent des jungen Ernst, hurtig trat er in Verhandlungen mit Dynamo. Das machte auch den steinreichen Rekordmeister FC Bayern München hellhörig. Doch Lorant überzeugte Ernst, daß sich beim TSV 1860 leichter eine Karriere starten läßt als beim von Spitzenspielern überfrachteten Weltklub. Vor weiteren Lockungen mußte Lorant seine Neuerwerbung nicht verteidigen. Allein der wenig betuchte Zweitligist SpVgg Unterhaching bekundete noch Interesse. Die Ablöse von einer knappen Million zahlte schließlich 1860.Ronny Ernst hat viel vor. Er will Stammspieler werden in München, "noch in dieser Saison". Jens Jeremies dient ihm als Vorbild; der kam 1995 aus Dresden zu 1860 und schaffte gleich den Sprung in Lorants Erlesenenkreis. Aber Ernst ist klug genug, keine Ansprüche zu stellen: "Ich brauche die Klappe nicht aufreißen, ich habe noch kein Bundesligaspiel gemacht." Das erhöhte Trainingspensum hat er schnell verkraftet, seine Schnelligkeit und Ballfertigkeit bisher am anschaulichsten im UI-Cup-Spiel gegen LKS Lodz demonstriert. Eine halbe Stunde durfte Ernst nur spielen, das reichte ihm, um vier Tore beim 5:0-Sieg der 60er vorzubereiten. Daß er sich nicht überschätzt, dafür sorgt schon Trainer Lorant. Der sagte zu Ernsts Auftritt nur: "Für mich ist das normal." +++