Covid 19

Virologe: „Nach diesem Winter ist Schluss“

Der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr erwartet noch einmal eine heftige Virus-Saison, dann dürfte die Pandemie in Mitteleuropa beendet sein.

Klaus Stöhr
Klaus Stöhrimago

Neue Zahlen aus Israel zeigen, dass die Zahl der Antikörper nach Corona-Impfungen vor allem bei älteren Menschen deutlich nachlässt. Israel hat daher beschlossen, mit sofortiger Wirkung mit Auffrischungsimpfungen zu beginnen. Laut Haaretz und der Times of Israel sollen damit zunächst ältere Menschen versorgt werden. Dies sei notwendig, um einen neuerlichen Lockdown zu verhindern, sagte Ministerpräsident Naftali Bennett in den vergangenen Tagen. Aktuelle Zahlen der israelischen Behörden und der Universität Oxford zeigen, dass die Wirkung bei AstraZeneca etwas länger anhält als bei Biontech-Pfizer. Pfizer hat in den USA bereits die Zulassung einer Auffrischungsimpfung beantragt. Bloomberg berichtet, dass mit zunehmendem Alter auch Fälle von schweren Erkrankungen, Hospitalisierungen und Todesfällen beobachtet worden seien. Allerdings gäbe es noch keine wissenschaftlichen Zahlen. Der Abbau der Antikörper sei dagegen eindeutig.

Der Virologe Klaus Stöhr sieht die Entwicklung als vorhersehbar. Er sagte der Berliner Zeitung: „Die Wirksamkeit der Corona-Impfung vermindert sich nach einer gewissen Zeit. Auch die Influenza-Impfung wird über die Zeit immer schwächer. Die Zahlen aus Israel zeigen im Hinblick auf die Covid-19-Impfungen, dass wie erwartet dies vor allem bei älteren Menschen deutlich stärker der Fall ist als bei jüngeren. Für alle über 60-Jährigen könnte daher eine Auffrischung im Oktober sinnvoll sein.“

Dies werde auch so kommen, ist Stöhr überzeugt, zumal die EU, die USA, Großbritannien, Australien und Japan insgesamt zwei Drittel des vorhandenen Impfstoffs gekauft hätten. Stöhr: „Impfstoffmangel gibt es gegenwärtig sicherlich in Mitteleuropa nicht. Allerdings haben es die Zulassungsbehörden versäumt, den Herstellern die Verpflichtung zur Erstellung von Studien zur Dauer des Immunschutzes aufzuerlegen. Hätten wir bei allen über 60-Jährigen solche Studien durchgeführt, wüssten wie jetzt viel genauer, wie die Entwicklung der Antikörper erfolgt. So können wir lediglich sagen, dass eine dritte Impfung für die über 60-Jährigen und andere Vulnerable biologisch plausibel ist.“

Stöhr verweist in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass bei allen anderen vorherigen Pandemien kein Impfstoff vorhanden gewesen sei. „Statistisch gesehen haben wir in den vergangenen 1000 Jahren alle 28 Jahre eine Pandemie. Bisher wurden Pandemien dadurch beendet, dass die ganze Welt durchseucht wurde. Diesmal gibt es erstmals Impfstoffe in großer Menge; allerdings ungleich  verteilt über die Welt. Schon beim Einkauf war von den reichen Ländern, nicht unerwartet, wenig Empathie für den Rest der Welt zu erkennen.“

Aus diesem Grund rät auch die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu, mit den Auffrischungen frühestens im September oder Oktober zu beginnen. Zusätzlich hat sich Deutschland allein schon 220 Millionen Impfdosen für 2022 gesichert, sagt Stöhr. Hinzu kämen noch die neuen Impfstoffe von Novavax, Sanofi und Valneva. Stöhr: „Es wird in Deutschland keinen Mangel an Impfstoffen geben.“ Der Virologe geht davon aus, dass die Pandemie am Ende dieses Winters in Europa beendet sein werde: „Der Winter wird noch einmal heftig werden. Wir haben in Deutschland geschätzt noch mehr als vier Millionen über 60-Jährige, die nicht geimpft sind. Das wir noch mal zu einer starken Belastung des Gesundheitssystems führen. Aber nach diesem Winter ist Schluss.“

In den Entwicklungsländern dürfte die Pandemie dagegen noch zwölf bis 18 Monate dauern. Bei den Nebenwirkungen, die bei den aktuellen Impfungen beobachtet werden, sieht Stöhr ein Überwiegen der positiven Effekte im Vergleich zu den Risiken: „Es sind noch nie so viele Menschen gegen eine Erkrankung in so kurzer Zeit geimpft worden. Die Aufmerksamkeit darauf und auf mögliche Nebenwirkungen könnte nicht grösser sein im Vergleich zu allen bisher eingeführten Impfstoffen. Die wissenschaftlichen Daten sind umfangreich und sprechen für eine hohe Sicherheit und Wirksamkeit. Deshalb hat sich auch die ständige Impfkommission entsprechend geäußert.“

In Israel hat der Run auf die dritte Impfung auch bei jungen Menschen begonnen: So berichtet die Times of Israel, dass es auch zahlreichen unter 40-Jährigen bereits gelungen sei, eine dritte Impfung zu erhalten – obwohl die staatlichen Vorgaben die Auffrischung eigentlich nur für ältere Menschen vorsehen. Die WHO hat unterdessen weltweit zu einem Moratorium aufgerufen, um eine weltweit gerechtere Verteilung der Impfstoffe zu erreichen.