Philosophische Kolumne

Untersuchungsaussch(l)uss?

Nur die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses „Corona“ und seine kritische öffentliche Begleitung können die Gewaltenteilung in Deutschland rehabilitieren.

Michael Andrick
Michael AndrickKarolina Kovac

Obwohl es von Anfang an fachkundige Stimmen gab, die für Deutschland auf Mäßigung und weitgehende Entwarnung drangen, wurde die deutsche Pandemiepolitik auf Angstmache und somit auf Betäubung der Reflektionsfähigkeit gebaut. Diese Politik war von Beginn an im Wortsinne unverantwortbar. Die Stillstellung der hunderttausend vielfältig verflochtenen Vollzüge einer Industriegesellschaft im „Lockdown“ (ein Begriff aus der Psychiatrie) musste ein Geschehen auslösen, das zahlreiche sichere Schäden und im Übrigen ganz unvorhersehbare Ergebnisse zeitigt. Und was sicher schadet und ansonsten unvorhersehbare Folgen für alle hat, das ist genau deshalb unverantwortbar und darf nicht getan werden.

Wussten wir das wirklich nicht?

Die Verfertigung und das Offenbarwerden der selbst gemachten Katastrophe deutscher Pandemiepolitik konnten nur verängstigte Menschen zeitweise übersehen oder verdrängen.

Oder wussten wir wirklich nicht, dass Kinder missbräuchlicher Eltern diesen bei Schulschließungen schutzlos ausgeliefert sind? Dass das Ausschalten der Mimik durch Masken auf Kinderseelen deprimierend wirkt? Das wussten wir, und ich war fassungslos ob dieser staatlichen Kindswohlschädigung und ihrer breiten Hinnahme als angeblich „notwendig“.

Wussten wir wirklich nicht, dass die Isolierung Hochbetagter auch gegen ihren Willen ein Menschenrechtsverstoß und oft lebensverkürzend ist? Wir wussten das, und ich war fassungslos ob dieser staatlichen Brutalität und ihrer breiten Hinnahme als angeblich „notwendig“.

Wussten wir wirklich nicht, dass der Kundenstamm vieler Freiberufler einfach weg ist nach monatelangem Berufsverbot – die wirtschaftliche Existenz vernichtet, das Lebenswerk zerstört, die Depression quasi abonniert?

Wir könnten noch viele Seiten so füllen. Das alles und mehr wussten wir, niemand kann ehrlich auf Ahnungslosigkeit plädieren. Nur im Trommelfeuer der Angstpropaganda, die unser Staat bis heute auf löchrig-inkonsistenter Datengrundlage betreibt und die von den Leitmedien lange unkritisch durchgereicht wurde, konnten wir so einfache Tatsachen jemals „vergessen“. Nur unter der Angstglocke konnten wir nicht vor uns selbst erschrecken.

Untersuchungsausschuss!

Allein die Prüfung auch aller Indizien für schuldhaftes Verhalten der Handelnden kann klären, ob wir es seit März 2020 noch mit redlich bemühtem Fehlermachen im Verbund mit dem Unwillen zu tun haben, diese einzugestehen, oder aber mit staatlichem Unrecht. Jeder Abgeordnete sollte deshalb die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordern und betreiben.

Oder Untersuchungsausschluss?

Aber wird dieser Bundestag, dessen große Mehrheit aus Lockdown-Verhängern und -Verlängerern besteht, überhaupt erforschen wollen, wer wann was wusste oder hätte wissen müssen – und wer (dennoch) was wann zum Schaden (oder Nutzen) von wem tat? Wo sich diese größte Große Koalition aller Zeiten doch eindeutig abgesprochen hatte, die Pandemiepolitik im Wahlkampf totzuschweigen?

Es gibt kritisch denkende Abgeordnete, die nicht vor ihren Parteioberen und etablierten Narrativen kuschen. Stärken wir dieser Minderheit den Rücken und fordern wir selbst als Bürger vehement die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Kommt er, und wird er von einer machtkritischen Presse begleitet, dann gibt es Hoffnung für die Wiederherstellung der Gewaltenteilung in unserer Republik.

Bürger oder Untertan?

Kommt der Untersuchungsausschuss aber nicht – und das heißt eigentlich: entscheiden sich unsere Repräsentanten dafür, wider besseres öffentliches Wissen so zu tun, als stünde der Verdacht massiven staatlichen Unrechts, begangen durch die Exekutive und all ihre Verwaltungsapparate, gar nicht im Raum – so hätten wir als Bürger eine bittere Lektion zu lernen: Wir müssten dann erkennen, in unserer aktuellen Ordnung einem Netzwerk von Parteifunktionären und regierungshörigen Leitmedien ausgeliefert zu sein.

Dieser politisch-mediale Komplex, so müssten wir konstatieren, stiftet ganz einfach „seine“ Wirklichkeit und verhängt sie über uns Untertanen wie ein Fatum: ganz einfach durch Allgegenwart in Rundfunk und Fernsehen sowie durch Diffamierung abweichender Positionen mit moralischen Schmähbegriffen.

Ist unsere Freiheit und Selbstbestimmung schon in dieser Weise zu Tode medialisiert? Kann der politisch-mediale Komplex in einem journalistischen Regierungskorridor seine eigene Unangreifbarkeit organisieren? Oder werden aufrechte Abgeordnete die Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber der Bevölkerung durchsetzen? Es gibt für uns kein Leben in Würde ohne diese Pflicht der Regierung, ohne diese kollektive Bemühung um Wahrhaftigkeit.

Der promovierte Philosoph Michael Andrick lebt in Berlin. Sein letztes Buch „Erfolgsleere“ ist zugleich Gegenwartsdiagnose der Industriegesellschaft und Heranführung ans Philosophieren.