Parlamentarier decken auf

Terror am Breitscheidplatz: Vielzahl von Fehlern machte den Anschlag möglich

Der Abschlussbericht zum Amri-Attentat hat 1233 Seiten. Auch nach fast fünf Jahren bleiben viele Fragen offen.

20. Dezember 2016: Auch am Tag nach dem Anschlag war die Schneise der Verwüstung auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche klar zu erkennen.
20. Dezember 2016: Auch am Tag nach dem Anschlag war die Schneise der Verwüstung auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche klar zu erkennen.dpa/Bernd von Jutrczenka

Berlin-Der islamistische Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 war nur durch eine Vielzahl von Fehlern in den Sicherheitsbehörden möglich. Zu diesem Schluss kommt der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, der am Montag seinen Abschlussbericht vorstellte. Nach mehr als vier Jahren wurde aber auch deutlich, wie unterschiedlich Vertreter der einzelnen Parteien die Arbeit von Sicherheitsbehörden und Polizei einschätzten.  

Man habe „keinen einzelnen Schuldigen“ gefunden und „keine Einzelfehler“ aufgedeckt, die direkt zum Anschlag geführt hätten, sagte der Ausschussvorsitzende Stephan Lenz (CDU). Allerdings habe der Ausschuss zahlreiche Fehler vor allem der Polizei und des Verfassungsschutzes festgestellt. „Und es ist die Summe dieser Fehler und Versäumnisse, die den Anschlag möglich gemacht haben.“

Entscheidende Fehleinschätzung im Sommer 2016

Tatsächlich war der spätere Attentäter Anis Amri bei vielen deutschen Behörden in mehreren Bundesländern aktenkundig, auch mit wechselnden Namen. Entscheidend sei vor allem die Fehleinschätzung des abgelehnten Asylbewerbers aus Tunesien im Sommer 2016 gewesen. Dieser sei als gewaltbereiter und möglicherweise hochgefährlicher Islamist bekannt gewesen. Im Sommer sei Amri aber nicht mehr weiter gründlich observiert und abgehört worden, weil das Landeskriminalamt (LKA) seinen Fall nicht mehr als so brisant einstufte. 

Am 19. Dezember 2016 steuerte Amri einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz und tötete zwölf Menschen. Er selbst entkam und wurde Tage später in Italien von der Polizei erschossen.

Ausschuss kann Einzeltäterthese der Behörden nicht widerlegen

Ob der Attentäter entgegen der Beteuerung der Ermittler möglicherweise doch Mittäter gehabt habe, konnte der Ausschuss nicht herausfinden. Ein „Netzwerk oder eine Zelle“ sei nicht zu erkennen, sagte SPD-Obmann Frank Zimmermann. Es gab und gebe zwar durchaus „ein Geflecht von Islamisten und Salafisten in Berlin“, aber es habe „keine gemeinschaftliche Tat“ gegeben. 

Uneins waren sich die Politiker vor allem in der Bewertung der Zusammenarbeit mit den Behörden. Der Ausschussvorsitzende Lenz berichtete von „Schwierigkeiten“, als geheim eingestufte Akten vom Bundeskriminalamt und der Bundesanwaltschaft einsehen zu können. Insgesamt aber zog Lenz den Schluss: „Das, was wir sehen wollten, haben wir gesehen.“ 

Dazu gehörten auch gravierende Schwachstellen, so Lenz. So habe beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) Personal gefehlt, viele seien überlastet gewesen. Dies habe man auch gewusst. So hatte der auch für Terrorismusabwehr zuständige Staatsschutz 2015 etwas mehr als 380 besetzte Personalstellen. Im Laufe der Jahre, auch als Konsequenz auf den Terroranschlag, kamen 587 neue Stellen beim LKA dazu - größtenteils für den Staatsschutz. Hinzu komme ein „nicht optimaler Informationsaustausch“ von mindestens 16 unterschiedlichen Behörden, so Lenz. 

Auch SPD-Obmann Frank Zimmermann erkannte zwar „strukturelle und Kommunikationsprobleme zwischen Land und Bund“, seitdem jedoch seien viele dieser Probleme behoben worden. In Berlin habe sich die Terrorabwehr seither sogar „deutlich verbessert“, sagte Zimmermann, der auch innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Es gebe nicht nur mehr Personal, sondern mit der Einrichtung des neuen Anti-Terrorzentrums in Tempelhof sei auch eine verbesserte Zusammenarbeit gewährleistet.

Grüne und Linke bemängeln Umgang mit Akten und fordern Veränderungen

Während CDU und SPD vor allem die positiven Veränderungen herausstellten, kamen vor allem von Grünen und Linken kritische Töne. Benedikt Lux (Grüne) kritisierte die Hinhaltepolitik vieler Behörden beim Aushändigen der Akten. Und er ärgerte sich über die Vertreter von CDU und SPD, die sich davon hätten „einlullen“ lassen. Insgesamt, so Lux, müsse es innerhalb der Behörden mehr Kontrollmechanismen geben. Notwendig sei auch ein Gesetz auf Bundesebene, das die Arbeit des in Berlin-Treptow ansässigen GTAZ – das gemeinsame Terror-Abwehrzentrum, zu dem mehr als 40 Behörden gehören – regelt.

Auch Linken-Obmann Niklas Schrader ging mit den Behörden hart ins Gericht. So fühle er sich in seiner Kritik an der Arbeit des Nachrichtendienstes bestätigt. Besonders schwierig sei die Aussage des damaligen Verfassungsschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen gewesen, der von einem „reinen Polizeifall“ gesprochen hatte. Das sei er mitnichten, so Schrader.

Am Ende jedoch waren sich alle einig: Nach der Wahl am 26. September sollte kein neuer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Auch bei einer Neuauflage kämen wohl keine neuen Erkenntnisse heraus.