Aiwanger-Skandal

Sigmar Gabriel stellt sich hinter Hubert Aiwanger: Wann verjähren Jugendsünden?

Der Ex-SPD-Chef nimmt den bayerischen Wirtschaftsminister in der Affäre um das antisemitische Flugblatt in Schutz und spricht von „öffentlicher Brandmarkung“.

Sigmar Gabriel zeigt Verständnis für Hubert Aiwanger
Sigmar Gabriel zeigt Verständnis für Hubert AiwangerBritta Pedersen/dpa

Hubert Aiwanger steht weiter unter Druck. Der Chef der Freien Wähler in Bayern und stellvertretender Regierungschef im Freistaat hat sich zwar in der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt entschuldigt – aber reicht das aus?

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kann nicht allein über den Verbleib Aiwangers in seinem Kabinett entscheiden. Das geht nur mit einer Mehrheit im bayerischen Landtag, der Aiwanger abwählen müsste. Dennoch erhöhte Söder am Freitag den zeitlichen Druck auf Aiwanger, den an ihn übermittelten Fragebogen schnellstmöglich zu beantworten. „Für mich ist wichtig, dass die 25 Fragen jetzt umfassend und glaubwürdig beantwortet werden, und zwar zeitnah“, sagte Söder. Zeitnah heiße „am besten noch heute, im Laufe des Tages“.

Bericht: Lehrer an Aiwangers Schule kandidierte für die SPD

Von Nathan Giwerzew, Maximilian Both

31.08.2023

Jetzt hat Aiwanger unvermutete Unterstützung erhalten: Sigmar Gabriel, früherer SPD-Chef und Bundesaußenminister, sieht durch den Umgang mit der Affäre die „ganzen Aussteigerprogramme“ in Frage gestellt. „Warum sollen junge Neonazis aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, wenn sie am Beispiel Hubert Aiwanger erleben, dass man auch 35 Jahre später noch für den Wahnsinn der eigenen Jugend öffentlich gebrandmarkt wird?“, fragt Gabriel via Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter.

Als einer der ersten reagierte Volker Beck auf Gabriel. Wie viele andere Kommentatoren auch fragt der Grünen-Politiker danach, ob Aiwanger jemals in einem Aussteigerprogramm war. In diesem Fall könnte er über „seinen Ausstieg“ reden und dafür Respekt erwarten. Wohlgemerkt behauptet Gabriel in seinem Tweet nicht, dass Aiwanger in einem solchen Programm gewesen sei.

Nach Meinung von Becks Parteifreund Jürgen Trittin kann Aiwanger keine Nachsicht „mit der ‚Jugendsünde‘ des 17-jährigen Hubert erwarten“. Das wäre nur möglich, wenn er nicht mehr „jede ernsthafte Auseinandersetzung über Inhalt und Wirkung des antisemitischen Flugblatts vermeidet“, schreibt der Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesumweltminister.

Kritik kommt auch von Bayerns Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle (CSU). „Staatsminister Hubert Aiwangers bisheriges Verhalten entspricht nicht der besonderen Verantwortung und Vorbildfunktion, die ihm als Träger eines hohen Staatsamtes zukommen“, sagte Spaenle in einer Mitteilung am Freitag in München. „Eigenartig ist die von Herrn Aiwanger wiederholt vorgetragene Umkehrung von Ursache und Wirkung. Ursache und Anlass für die gesamte Debatte sind das unerträgliche Flugblatt und weitere Vorhalte, nicht die Fragen nach deren Aufklärung.“

Als „schwierig“ bezeichnete Spaenle zudem Aussagen Aiwangers im Interview der „Welt“ vom Donnerstag. Der Freie-Wähler-Chef hatte gesagt, in seinen Augen werde mit den Vorwürfen vor der Landtagswahl am 8. Oktober eine Kampagne gegen ihn gefahren. Dafür werde „die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht“.

Bayerns Antisemitismusbeauftragter: Shoa-Bezug „fehl am Platze“

Mit dieser Aussage habe Aiwanger „einen Fehler begangen“, sagte Spaenle. „Die sicher subjektiv im Einzelfall noch so unangenehmen Fragen und Klärungsbedarfe mit der Nennung der Shoa in Beziehung zu setzen, ist fehl am Platze.“ Er hoffe, dass sich Aiwanger der Problematik seiner Aussagen inzwischen bewusst sei, sagte Spaenle. Aiwangers „erste Aufgabe“ bestehe „in umfassender Aufklärung“ der Vorwürfe.