Berliner Parteien zu Thüringen

Rot-rot-grün sieht „Dammbruch“- CDU und FDP  zeigen Verständnis

Einmal mehr zeigen die Meinungs- und Überzeugungsunterschiede, wie tief die Gräben zwischen Regierung und Opposition in der Hauptstadt sind.

Berlin-Am Donnerstag, um 13.38 Uhr, war Thomas Kemmerich in Erfurt Geschichte. In Berlin dagegen wird selbst auf Landesebene so schnell keine Ruhe einkehren. Einmal mehr zeigen die Auseinandersetzungen, wie tief die Gräben zwischen Regierung und Opposition in der Hauptstadt sind. Während Rot-Rot-Grün in der Erfurter Wahl einen „Dammbruch“ ausmacht, geben sich CDU und FDP in Berlin verständnisvoll.

Berlins FDP-Chef Christoph Meyer musste schnell reagieren. Noch am Mittwoch gratulierte er Parteifreund Kemmerich zur Wahl. Am Donnerstag sagte Meyer, Kemmerich habe viel riskiert, „um einen Ministerpräsidenten von den Rändern zu verhindern“ – aber „der Preis war zu hoch“. Dennoch gebühre ihm „Respekt, der lähmenden Stille der einstmaligen Volksparteien ein demokratisches Angebot gegenübergestellt zu haben“.

„Rechtfertigen, wenn AfD für unsere Anträge stimmt?“

Noch am Mittwoch waren führende Kräfte der CDU bemüht, die so offensichtlich abgekartete Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen als „ganz normale demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist“, darzustellen, wie es Fraktionschef Burkard Dregger formulierte. Einen Grund für Neuwahlen mochte er nicht sehen. Am Tag danach war Dregger – ein wenig – auf dem Rückmarsch: „Wenn sich keine Mehrheit gegen die AfD abzeichnet, sind Neuwahlen unumgänglich.“… „Aber müssen wir uns dafür entschuldigen oder rechtfertigen, wenn künftig die AfD für unsere Anträge stimmt?“

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Ohnehin ist und bleibt für die bürgerliche Opposition die rot-rote Koalition im Jahr 2001 der eigentliche politische Dammbruch.

Thüringen vor Augen richtete FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja dann auch den Blick strikt auf Berlin. „Für uns ist klar, dass die Berliner Linkskoalition nur durch eine starke Koalition der Mitte abgelöst werden kann“, sagte er. „Aus diesem Grund gilt für uns nach wie vor, dass eine Regierungsbildung mit AfD oder Linken nicht infrage kommt.“

Juso-Bundes-Chef Kevin Kühnert, als Bezirksverordneter von Tempelhof-Schöneberg auch in der Berliner Landespolitik zu Hause, griff auf Twitter FDP und CDU wegen dieser Haltung an: „Der ganze Irrsinn findet seinen Ursprung in der ahistorischen Gleichsetzung von AfD und die Linke durch CDU und FDP. Konservative und Liberale haben sich damit handlungsunfähig gemacht.“

Auch Berlins Regierender Bürgermeister und Noch-SPD-Chef Michael Müller zeigte sich am Tag danach „entsetzt“ über die Berliner CDU. „Dass Burkard Dregger von einer demokratischen Entscheidung sprach, die nicht zu kritisieren sei, ist für mich ein Skandal – besonders auch angesichts der Entwicklung, zu der Herr Dregger, aber auch Herr Czaja nichts Positives beigetragen haben.“

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Er fürchte, so Müller, „dass Herr Dregger in ähnlichen Situationen auch mit der AfD paktiert hätte.“ Für Müller beweise die Berliner CDU damit „einmal mehr, wie weit entfernt sie von der Realität der liberalen, vielfältigen und weltoffenen Metropole Berlin ist. Wer bei der Geschichte unserer Stadt leichtfertig dem Tabubruch der Kollaboration mit der AfD des juristisch attestierten Faschisten Höcke zu Munde redet, der disqualifiziert sich selbst.“ CDU-Chef Kai Wegner solle sich nun von Dreggers Einlassungen distanzieren und eine Entscheidung über die weitere Führung der CDU-Fraktion treffen.

Linke Fraktionsvize Kittler sieht Rechtsruck bei der CDU

Die CDU wird auf Müllers ungebetene Personalratschläge verzichten. Dennoch hat der SPD-Politiker offensichtlich einen Punkt getroffen, wird dabei aber im Ton von seinem linken Koalitionspartner mühelos übertroffen. „CDU und FDP in Berlin weigern sich offensichtlich, die Tragweite des Dammbruches zu erkennen“, sagte Linke-Fraktionsvize Regine Kittler. „Und bei der Berliner CDU manifestiert sich der Rechtsruck, der seit Monaten im Abgeordnetenhaus zu beobachten ist. Anstatt für Demokratie und Rechtsstaat einzustehen, biedert man sich der AfD an, wo es nur geht.“

Ausgerechnet diese AfD hat für die Schadensbegrenzung von CDU und FDP jedenfalls nur vernichtende Kritik übrig. „Merkel, Lindner und Co. setzen sich über das einstimmige Votum der eigenen Abgeordneten und damit auch der Wähler in Thüringen hinweg“, sagte AfD-Fraktionschef Georg Pazderski. Wie es aussehe, werde jetzt „die Einheitsfront mit den Kommunisten wiederbelebt. Merkel hat mit ihrem Befehl aus Berlin, die Wahl rückgängig zu machen, zum wiederholten Mal ihren Willen über Recht und Verfassung gestellt. Ich nenne das Demokratienotstand“, sagte Pazderski.