Es gab Tage, da hat Greenpeace das Brandenburger Tor erklommen oder ist mit einem Gleitschirm durch die Allianz Arena gesegelt. Erst vor wenigen Wochen besetzten die Umweltschützer das Dach der SPD-Parteizentrale.
Verglichen damit ist die Aktion am Donnerstagmorgen vor dem Bundeswirtschaftsministerium eher bescheiden, ja brav: ein Cocktailstand, eine Handvoll Aktivisten. Sie sind wegen Robert Habeck gekommen, dem Wirtschaftsminister. „Stoppen Sie den Giftvertrag EU-Mercosur“, steht auf einem Plakat.

Greenpeace-Untersuchung zeigte gefährliche Stoffe an Limetten
Hintergrund ist ein Freihandelsabkommen, über das die EU mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay verhandelt: „Mercosur“, benannt nach der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Greenpeace meint, dass der Handel mit Pestiziden durch das Abkommen zunehmen würde. Minister Habeck hatte erst vor rund einem Monat in Brasilien für „Mercosur“ geworben.
Dass die Pestizid-Belastung bereits heute hoch sei, soll eine neue Studie von Greenpeace zeigen. Sie liegt der Berliner Zeitung vor. Dazu hatte die Organisation im März brasilianische Limetten in Supermärkten acht europäischer Länder gekauft, auch in Deutschland.
Zu den Ergebnissen teilte Greenpeace mit: Alle bis auf eine der 52 Proben hätten Rückstände von Pestiziden enthalten; sechs der gefundenen Wirkstoffe seien in der Europäischen Union entweder nicht zugelassen oder sogar verboten; auch das Pflanzenschutzmittel Glyphosat sei in einem Drittel der Proben gefunden worden.
Die Studie stellte zwar fest, dass in allen Fällen die gesetzlichen Grenzwerte für einzelne Chemikalien eingehalten wurden. Allerdings seien allein in einer Probe sieben verschiedene Pestizide gefunden worden, sagt die Greenpeace-Handelsexpertin Lis Cunha. Ein „Giftcocktail“, meinen die Aktivisten.
Deshalb also der Cocktailstand: Robert Habeck habe die Wahl, so die Umweltschützer, ob er ein Gemisch mit konventionellen oder mit Bio-Limetten trinken wolle.
Greenpeace wirft Regierung Heuchelei vor
Greenpeace und die Grünen, das passte lange zusammen. Die Organisation setzt sich seit Jahrzehnten für Umwelt- und Klimaschutz ein, sie wurde von Friedensaktivisten gegründet. Es gibt also viele Parallelen zwischen ihren Leitlinien und dem Grünen-Programm. Jetzt aber, wo die Partei wieder Regierungsverantwortung trägt, entfernt man sich offenbar voneinander.
„Uns geht es um die Heuchelei der EU, der Bundesregierung und der Grünen“, sagt Cunha. Es gebe in Deutschland klare Regeln für die Reduktion des Einsatzes von Pestiziden. Darüber hinaus gäbe das Abkommen deutschen Chemie-Konzernen Anreize, die Chemikalien nach Südamerika zu liefern – weil Zölle wegfallen würden. Die Gifte seien eine Gefahr für die Bienen und Menschen vor Ort.
Sollte Habeck sich für einen Cocktail mit Bio-Limetten entscheiden, so Cunha, müsste er „Mercosur“ konsequenterweise ablehnen. Allerdings warten die Aktivisten auch noch eine Stunde nach Beginn der Aktion vergeblich auf den Minister.
Ist Greenpeace zu zahm geworden?
Überhaupt: So richtig scheint sich niemand für die Aktion zu interessieren. Während in Berlin andernorts Klimaaktivisten von Straßen gezerrt werden, schenken die Passanten dem Cocktailstand vor dem Ministerium ein Lächeln. Solange sich keiner irgendwo festklebe, sei das grundsätzlich in Ordnung, witzelt ein Polizist. Vielleicht ist Greenpeace auch einfach zu zahm geworden? Und der Kampf um Aufmerksamkeit zu schrill für die über 50-jährige Truppe?


