Acht Uhr morgens, Stadtautobahn. Für manch einen ist allein diese Kombination aus Uhrzeit und Ort womöglich von körperlichen Auswirkungen begleitet. Zeitdruck, Stau, Stress – Hindernisse lösen dann fast zwangsläufig körperliche Reaktionen aus.
Seit Mitte Juni geht das jetzt so. Klimaaktivisten machen im Namen der Gruppe Aufstand Letzte Generation mit täglichen Blockadeaktionen in Berlin und bundesweit auf eine eskalierende Klimakatastrophe aufmerksam. Neben Pumpstationen, Zufahrten zu Gasanlagen und dem Kanzleramt ist die Berliner Stadtautobahn Protestgebiet.
Die Körper der Autofahrer erleiden allerdings hier nur Kollateralschäden. Ziel sind ihre Autos als klimagefährdende Verbrenner, neue Ölbohrungen in der Nordsee, die diese Form der Mobilität weiter möglich machen, und ein Kanzler, der das verhindern soll. Wenn Olaf Scholz doch nur erklärte, neue Ölbohrungen abzusagen, hörten sie auf, sagen sie. Kostenlosen ÖPNV und ein Tempolimit auf Autobahnen wollen sie auch.
Es geht ums Klima und nicht um die Körper der Autofahrer. Und doch ist dieser Protest wirklich körperlich. Die Aktivisten setzen sich auf die Straße, sie blockieren die Durchfahrt mit ihren Körpern. Sie kleben sich mit Sekundenkleber auf dem Asphalt fest, damit Polizisten sie nicht einfach wegtragen können und die Blockade länger andauert. Sie riskieren ihre eigene Gesundheit. Denn natürlich können sie nicht sicher wissen, ob nicht ein Autofahrer durchdreht und sie einfach über den Haufen fährt oder ein Polizist die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit ignoriert und ihre festgeklebte Haut bei der Auflösung der Blockade von der Straße reißt.
Die Aktivisten wirken radikal. Sie ordnen ihr eigenes Wohlbefinden höheren Zielen unter. Allerdings haben sie, was den Umgang mit ihrem eigenen Körper angeht, viel radikaler begonnen als beim täglichen Drama auf der Stadtautobahn: mit Hungerstreiks nämlich. Das allerdings nervte nicht so wie die aktuellen Blockaden im Berufsverkehr. Die normale Bevölkerung konnte die Aktionen gut oder schlecht finden, war aber nicht unmittelbar betroffen von den Störmanövern. Jetzt sind zumindest die Autofahrer als Teil des Problems eines der Ziele.
Und so eskaliert gerade die öffentliche Debatte in Berlin ein wenig. Weil zwar Hunderte Anzeigen wegen Nötigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt aufgenommen wurden, aber bisher kein Verfahren zu einer Anklage geführt hat, stellen erste Politiker die Gewaltenteilung in Frage und fordern die Senatorinnen für Justiz und Inneres zum Eingreifen auf. Die Angesprochenen weisen solcherlei Ansinnen zurück und auf die Unabhängigkeit der Justiz hin. Aber auch hier steigt der Druck täglich.
Was macht die Sitzblockade strafbar?
Sitzblockaden sind nichts Neues. Es existiert eine ausgefeilte Rechtsprechung zum Thema. Es geht um Nötigung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Gefährdung des Straßenverkehrs, Sachbeschädigung. Allerdings müssen Straftatbestände auch sauber nachgewiesen werden. Wurde wirklich jemand gefährdet, etwas beschädigt, Gewalt ausgeübt?
Körperlicher Protest hat eine lange Geschichte. Immer wieder wird der eigene Körper zur Kampfzone erklärt. Im politischen Aktivismus wird er eingesetzt, weil er das einfachste Mittel zum Protest ist. Weil sich so der Eindruck von Notwehr verstärken lässt. Weil sich wirksame Effekte erzielen lassen, auch ohne Sachbeschädigung – und weil es relativ schwer ist, strafrechtlich dagegen vorzugehen. Und weil auch die Aktivisten natürlich ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit haben.
Die jüngere Geschichte ist voll davon. Mutlangen, Baden-Württemberg, 1983: Friedensketten gegen die Stationierung nuklearer Waffen. Gorleben, Niedersachsen, 1980: Sitzblockaden gegen atomares Endlager. Würgassen, Nordrhein-Westfalen, 1996: AKW-Gegner schweißen sich an Schienen fest, um Castor-Transporte zu verhindern. Hambacher Forst, Nordrhein-Westfalen, 2018: Sitzblockade gegen die bevorstehende Räumung des Baumhaus-Dorfs gegen den Braunkohle-Tagebau. Oder auch ganz anders. Femen, Ukraine, 2010: Frauen protestieren mit nacktem Oberkörper für mehr Rechte.




