„Das geht nicht! Diese Inhalte sind nicht zu tolerieren!“, schrie uns ein junger Taliban-Kämpfer mit blonden Haaren entgegen. Er war gerade einmal 18 Jahre jung und hielt das Smartphone meines Kollegen in der Hand. Schauplatz war damals die zentralafghanische Provinz Bamiyan, die wir in jenem Frühling 2023 nach einer vierstündigen Autofahrt erreicht hatten. Aus Angst passierte unserem Fahrer ein fataler Fehler: Während er damit beschäftigt war, die Jukebox auszuschalten – unter den Taliban ist Musik verboten –, hielt er nicht am Checkpoint der Extremisten an, sondern einige Meter entfernt. Im nächsten Moment sprangen mehrere schwer bewaffnete Männer auf und rannten auf uns zu. Nachdem sie uns aus dem Pkw gezogen hatten, wurden unsere Handys eingesammelt. Das iPhone meines Kollegen Zubair hatte eine aktivierte Face-ID, weshalb der junge Talib es einfach öffnen konnte. Er hielt das Smartphone vor das Gesicht meines Kollegen. Kurz darauf landete er bei einem aus seiner Sicht verwerflichen TikTok-Video, ein Musikvideo mit tanzenden Frauen.
Für die Taliban war das Grund genug, um uns stundenlang festzuhalten und zu verhören. Mein Kollege und unser Fahrer waren in Schockstarre. Währenddessen diskutierte ich mit ihrem Rädelsführer, einem grimmigen Mann, den sie Qari nannten, also jemand, der den Koran rezitieren konnte. Vergeblich versuchte ich, dem Qari klarzumachen, dass das Eindringen in die Privatsphäre unislamisch sei und afghanischen Werten nicht entspreche. Doch all das interessierte die Taliban nicht. Sie wollten absolute Kontrolle und waren von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt. „Unislamische Inhalte“ würden nicht geduldet werden. Irgendwann verlor ich die Geduld und griff nach meinem bis dahin unbemerkten deutschen Presseausweis. „Mit dir haben wir kein Problem, es geht nur um deinen Freund“, meinte plötzlich der Qari. Auch die Taliban behandeln ausländische Reporter anders, während sie afghanische Kollegen jagen und wegsperren. Am Ende rettete uns nur der Umstand, dass wir mit den Taliban eine Gemeinsamkeit hatten: Wir stammten alle aus derselben Provinz. Widerwillig, aber auch etwas beschämt, ließ man uns gehen.
Die willkürlichen Kontrollen der Taliban waren damals ein großes Thema in Afghanistan. Die Menschen begannen, sich Zweit- oder Dritthandys zuzulegen, die an Checkpoints ausgehändigt wurden. Sie enthielten meist keine privaten oder sensiblen Daten.

Mit einem Abo weiterlesen
- Zugriff auf alle B+ Inhalte
- Statt 9,99 € für 2,00 € je Monat lesen
- Jederzeit kündbar
Sie haben bereits ein B-Plus? Melden Sie sich an
Doch lieber Print? Hier geht's zum Abo Shop
