Wirtschaft

Die Ampel regiert kopflos: Wie lange geht das noch gut?

Chaos-Umlage für Gaskunden, Mega-Gewinne für Energieriesen: Die Regierungskrise der Ampel wird teuer für Verbraucher, meint unser Kolumnist Maurice Höfgen.

Das Heizkraftwerk Linden spiegelt sich im Fluss Ihme.
Das Heizkraftwerk Linden spiegelt sich im Fluss Ihme.dpa/Julian Stratenschulte

Sie sieht schlecht aus, bekommt kaum noch einen klaren Gedanken formuliert und läuft orientierungslos durch die Presse – man muss sich Sorgen machen um die Ampel. Sie ist als Fortschrittskoalition gestartet und wollte für eine neue politische Kultur sorgen. Dieser Tage wirkt sie eher wie eine Chaoskoalition ohne Kompass. Ausbaden müssen es die Verbraucher.

Breitseite für Gaskunden

Man sieht das an der Gasumlage. Alle Gaskunden müssen ab Oktober bis zu 5 Cent pro Kilowattstunde mehr bezahlen – unabhängig von ihrem Vertrag. Mit der Umlage soll den Gasversorgern unter die Arme gegriffen werden. Deren Problem: Sie bekommen durch Putins Machtspielchen am Gashahn weniger geliefert und müssen die Mengen teuer am Weltmarkt nachkaufen. Ein Minusgeschäft, weil sie Verträge mit Industrie und Haushalten im laufenden Jahr nicht erhöhen dürfen. Rund 90 Prozent der Extrakosten sollen Firmen wie Uniper und RWE mit der Umlage erstattet bekommen. Wie teuer es genau wird, muss Habecks Ministerium noch ausrechnen. Aufs Jahr werden es aber wohl „einige hundert Euro pro Haushalt“ werden, so Habeck. Bei vier Köpfen im Haushalt auch schnell 1000 Euro.

Chaos-Club Ampel

Es gibt noch mehr Fragezeichen. Zum Beispiel, ob auch Mehrwertsteuer auf die Umlage anfällt und der Staat mitverdient. Das Gesetz sieht das vor, die Ampel hatte das anscheinend nicht auf dem Schirm und will das jetzt nochmal prüfen. Unklar ist auch, wer die Umlage letztlich erhebt. Eigentlich sollten das die Gasversorger machen. Das Energiesicherungsgesetz erlaubt das aber für Kunden mit Festpreisverträgen nur dem Staat. Wie sollte der das aber machen? Wenn die Ampel das Gesetz im September nochmal ändert, können die Versorger ihre Kunden nicht rechtzeitig über die Preiserhöhung informieren. Sechs Wochen im Voraus muss das geschehen. Chaos, wohin man nur blickt!

Die Umlage wird zum Bürokratiemonster. Und sie entwertet die ersten beiden Entlastungspakete. Man muss sich das vorstellen: Im September kommt die bürokratische Energiepreispauschale aufs Konto, und einen Monat später dürfen Gaskunden das Geld mit der ebenso bürokratischen Gasumlage gleich wieder abdrücken. Für das Hin und Her werden Firmen, Steuerberater und Beamte mit lästigem Papierkram aufgehalten. Wollte die Ampel nicht weniger Bürokratie, einen modernen Staatsapparat und mehr Gerechtigkeit? Die Umlage ist das komplette Gegenteil.

Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Lindner hätte die Umlage einfach aus dem Haushalt zahlen können. Noch ist Schuldenbremse ja ausgesetzt, ein paar Milliarden hätte er also lockermachen können. Konjunktiv! Stattdessen wird’s jetzt teuer, nervig, kompliziert – und die Debatte um Entlastungen geht von vorne los. Die Ampel dreht sich im Kreis. Wann setzt der Schwindel ein?

Gnade für Krisengewinner

Vielleicht beim Thema Übergewinnsteuer. Die jüngst Zahlen belegen: Energiekrise haben nicht alle. Europas größter Ölkonzern Shell steigerte seinen Gewinn im zweiten Quartal auf über 17 Milliarden US-Dollar. Das ist fünfmal mehr als im Vorjahresquartal! Auch der deutsche Energieriese RWE schraubte seine Gewinnprognose nach oben: von vier auf 5,5 Milliarden Euro. Seit Monaten wird diskutiert, diese Gewinnsteigerungen in der Krise mit einer Sondersteuer zu belegen. Grünen-Chefin Lang und SPD-Chefin Esken wollen damit ab dem nächstem Jahr weitere Entlastungen finanzieren. Dann steht die Schuldenbremse nämlich wieder im Weg und macht den Spielraum klein. Woher also nehmen?

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Zur Person
Unser Kolumnist Maurice Höfgen (26) ist Ökonom und Betriebswirt und derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist Autor des Buches „Mythos Geldknappheit“, akademischer Vertreter der Modern Monetary Theory und YouTuber mit „Geld für die Welt“.

Neue Schulden und höhere Steuern lehnt Lindner kategorisch ab. Die Übergewinnsteuer schimpft er sogar als „Populismus“ nieder. Das sei Gift für Investitionen und die Marktwirtschaft. Moment! Shell nutzt allein sechs Milliarden, um Aktien zurückzukaufen und plant eine höhere Dividende. Ein Segen für die Aktionäre, aber keine Investitionen. RWE verdient mit totgesagten Kohlekraftwerken plötzlich am Strommarkt wieder viel Geld, weil der teure Gaspreis den Strompreis bestimmt – und RWE fette Kohlegewinne beschert. Das Irre: RWE selbst kann dafür nichts. Ohne Krieg und teuren Gaspreis hätten sie die Gewinne am Strommarkt nicht gemacht. Mit Wettbewerb und Marktwirtschaft hat das also wenig zu tun. Zufall kann kein Anreiz sein. Lindner versteckt sich hinter billigen Ausreden.

Der Koalitionsvertrag ist hinfällig

Und hinter dem Koalitionsvertrag. Da stünde nämlich: „Keine Steuererhöhungen“. „Gasumlage“ oder „höhere Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung“ aber auch nicht. Die Geschäftsgrundlage für den Koalitionsvertrag hat sich mit Putins Invasion erledigt und führt die Ampel gerade schnurstracks in die Regierungskrise. Symbolisch dafür steht der Kanzler. Scholz duckt sich vor den Koalitionskonflikten weg, lässt sich dafür derweil demonstrativ mit der lieferbereiten Nord-Stream-Turbine fotografieren, die Russland als Alibi für die Gaskürzungen nimmt. Eine peinliche Inszenierung. Niemandem musste er beweisen, dass Putin blufft. Stattdessen aber sollte er den Millionen von Krisenverlierern in diesem Land beweisen, dass er das Chaos am Kabinettstisch bald in den Griff bekommt.