Sawsan Chebli ist kämpferisch und streitet viel. Sie ist mutig, zäh und nervig. Unentwegt äußert sie sich im Internet, vorzugsweise auf Twitter, zu politischen Themen, streitet für die Rechte von Minderheiten – vor allem Muslime – und wehrt sich gegen Hass und Hetze.
Wer sich nur einen Schritt von dieser Wahrnehmung der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli (gerade ohne Amt) entfernt, kommt vielleicht selbst auf eine naheliegende Frage. Warum scheint sie eigentlich so ganz allein auf weiter Flur zu sein in ihrem Kampf gegen Hetze im Netz?
Sawsan Chebli hat jetzt ein Buch geschrieben, gemeinsam mit der Autorin Miriam Stein. Der Titel „Laut. Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können“ (Goldmann) beschreibt schon recht gut, wie Chebli sich selbst sieht: als jemanden, der sich lautstark wehrt und nicht unterbuttern lässt.
Ganz sicher ist das eine Persönlichkeitsfrage. Chebli, 1978 in Berlin als zwölftes Kind einer geflüchteten, palästinensischen Familie zur Welt gekommen, lebte 15 Jahre lang mit ihrer Familie staatenlos in der Hauptstadt, erst dann erhielten sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Vater wurde mehrfach abgeschoben. Chebli hat das geprägt. Sie boxte sich durch. Im Müller-Senat wurde sie Staatssekretärin.
Beim Thema Hass und Hetze im Internet ärgert sich Chebli aber auch über eine gesellschaftliche Teilnahmslosigkeit. Hass und Desinformation in den sozialen Medien würden immer noch zu oft wie ein Nischenthema behandelt, sagt sie, wenn man sie fragt, warum sie das Buch geschrieben hat: „Noch immer scheint nicht allen klar zu sein, welch gigantische Macht soziale Medien haben – im positiven wie im negativen, konstruktiv wie zerstörerisch. Ich würde mir wünschen, dass Menschen ihr Verhalten in den sozialen Medien überdenken und sehen, dass der Hass gegen einzelne nicht allein die Betroffenen etwas angeht. Er geht uns alle etwas an. Es geht um unser Zusammenleben, um unser aller Sicherheit, um unser aller Leben. Hass im Netz ist digitale Gewalt, die den Kern unserer Demokratie betrifft.“
Beobachterrolle verlassen
Ihr Buch will sie als Aufruf an die Zivilgesellschaft verstanden wissen, die Beobachterrolle zu verlassen und sich ins Netz, zu begeben. „Mehr als Morddrohungen macht mir Sorge, dass zu viele in diesem Land nicht einschreiten, wenn sie sehen, dass Menschen im Netz Gewalt erleben. Digitale Gewalt ist Zeichen einer schleichenden humanitären Krise mit Toten und Verletzten. Neben politischem Handeln und klaren Gesetzen, die durchgesetzt werden, brauchen wir engagierte Menschen, die Zivilcourage zeigen“, sagt Sawsan Chebli. „Laut“ ist ein Aufruf.
Im Buch beginnt Chebli mit einer Erklärung ihrer Schreibmotivation. Als Kind habe sie als vorlaut gegolten, schreibt sie. „Wenn ich das Gefühl hatte, dass jemand in der Schule oder in meiner Klasse ungerecht behandelt wurde, schrie ich los.“ Ihr Grundschullehrer habe sie als verbissen eingestuft. Sie dagegen habe sich nicht so wahrgenommen. Für sie sei der Einsatz für andere Teil ihres Überlebenskampfes gewesen. „Endlich hatte ich eine Stimme, also wollte ich sie auch nutzen. Ich hatte mir fest vorgenommen, Ungerechtigkeiten nicht einfach hinzunehmen, sondern sie mit aller Kraft zu bekämpfen. Der erste Schritt war immer der gleiche: laut sein“, heißt es im Buch.
Chebli beschreibt ihre Wünsche: Blöcke zum Zeichnen, die nicht beim Sozialamt beantragt werden mussten, dass der Vater bei der Familie bleiben durfte und die Eltern von den Behörden mit etwas mehr Würde behandelt wurden. Wurde ein Kind in der Schule schlecht behandelt, schlüpfte sie in die Rolle der Anwältin. Laut sein wurde zu ihrem Werkzeug und später zu einem Bestandteil ihres Berufs.
Soziale Medien und vor allem Twitter nutzte Sawsan Chebli erst aktiv, als sie 2016 Staatssekretärin wurde. Mittlerweile folgen ihr 120.000 Nutzer. „Ich erfahre dort sehr viel Unterstützung und Inspiration, aber auch blinden Hass“, so Chebli. Sie habe aufgehört die Shitstorms zu zählen. Kalt lassen sie sie aber offenbar nicht. „Jedes Mal, wenn sich ein Sturm über mir zusammenbraut, spüre ich das Adrenalin in mir aufsteigen. Mein Herz beginnt zu rasen, mein Puls pocht.“
Chebli beschreibt, wie sie unflätig und rassistisch beschimpft wird. Wie sie eines Tages, auf dem Weg ins Büro im Roten Rathaus sogar körperlich angegriffen wurde. Mittlerweile sei es fast egal, was sie schreibe, Hasswellen rollten auf jeden Fall durch ihre Kanäle.
Laut ist in weiten Teilen eine Beschreibung, von dem, was Sawsan Chebli im Netz erlebt hat. Sie will aber nicht verschwinden – nicht aus Berlin, wie ihr Hetzer immer wieder nahelegen – noch aus Social Media. Verstummen ist keine Option.
Sie wünscht sich, das andere das auch so sehen. Insofern ist „Laut“ auch als Handlungskonzept zu lesen. Für das Netzwerken, für das öffentliche Parteiergreifen und Unterstützen, für politisches Handeln und für unternehmerische Verantwortung seitens der Plattformbetreiber.



