Jahrelang wurde der Chef der extrem rechten FPÖ in Österreich, Herbert Kickl, gedemütigt, verspottet, verachtet. Eine ORF-Show zeigte ihn einmal wegen seiner geringen Körpergröße als Zwerg. Er wurde ausgegrenzt, was sachlich zwar berechtigt war – immerhin hat die FPÖ über Jahre die Ausländer zu Sündenböcken erklärt und beispiellos hetzerische Kampagnen gefahren. Doch Kickls politische Gegner haben nicht erkannt, dass die Lösung einer Anti-Ausländer-Stimmung nicht darin bestehen kann, noch mehr Ausländer ins Land zu lassen. Österreich muss ein 18-Milliarden-Euro-Haushaltsloch stopfen und hat keine Spielräume mehr – weder für In- noch für Ausländer.
Nach dem Zusammenbruch der Brandmauer der anderen Parteien gegen die FPÖ hat Kickl am Dienstag eine Pressekonferenz gehalten, um vorzustellen, wie er den Auftrag zu Regierungsbildung mit der ÖVP auszufüllen gedenkt. Alle, die gedacht hatten, Kickl würde seinen oftmals brachialen Rhetorik-Stil etwas zügeln, sah sich getäuscht: Kickl sagte, ungewohnt kühl, ja eiskalt, er erwarte von der ÖVP nun eine „Unterwerfung“, wie der Standard schreibt. Kickl sagte, die FPÖ werde, wenn die Verhandlungen nicht in ihrem Sinn laufen, ohne Zögern in Neuwahl gehen. Die FPÖ liegt bei 37 Prozent, die ÖVP würde vernichtend geschlagen. In dem etwa 25 Minuten dauernden Statement waren keine Journalistenfragen zugelassen. Kickl hasst die Journalisten, weil vielen von ihnen jahrelang nicht viel mehr eingefallen ist, als Kickl einen Nazi zu nennen. Der ORF bot in diesen Tagen ein trauriges Bild: Kein einziger FPÖ-Spitzenmann erschien seit dem Kollaps am Bildschirm etwa der populären Nachrichtensendung ZIB2, sodass die Österreicher stundenlang zwei wackeren Politologen lauschen mussten. Der ORF hatte die FPÖ jahrelang geschnitten oder erfolgreich vorgeführt. Seither kommunizieren die Freiheitlichen – wie schon Sebastian Kurz und Karl Nehammer – über ihre eigenen Medien. Sein Statement übertrug Kickl auf FPÖ-TV.

Die FPÖ hat keine Angst vor Neuwahlen
Kickl sagte nicht, dass er rasch eine Regierung bilden werde. Er sagte, dass Österreich „nach 100 verlorenen Tagen rasch Klarheit“ brauche, ob eine Koalition möglich sei. Kickl forderte von der ÖVP ein Eingeständnis, dass sie an den aktuellen Problemen schuld sei: „Es gehört dazu die Einsicht, wer die Fehler der Vergangenheit zu verantworten hat, die unser Land in eine ganz, ganz schwierige und in eine herausfordernde Situation gebracht haben.“ Dafür müsse sich die ÖVP ändern, ihr Versagen eingestehen und den Führungsanspruch der FPÖ anerkennen: „Wenn das nicht gewährleistet ist, dann war es das schon wieder.“ Er werde „keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage, keine Quertreiberei, keine Politik des Machterhalts“ akzeptieren.
Kickl sagte, seine Partei sei auch für Neuwahlen „gerüstet“. Er traue sich und seiner Partei zu, die guten Umfragewerte „in einem Wahlkampf entsprechend in Stimmen und Prozente zu materialisieren“.
Kickl sagte, es falle ihm nicht leicht, mit der ÖVP zu sprechen – zumal die ihn erst vor wenigen Jahren im Zug der Ibiza-Affäre aus dem Amt gejagt hatte. Die Rachegelüste waren in dem Statement nicht zu überhören. Und es ist durchaus vorstellbar, dass Kickl jetzt gar nicht Kanzler werden will, sondern auf Neuwahlen setzt. Angesichts des Komplett-Versagens aller anderen Parteien ist es nicht auszuschließen, dass die FPÖ weiter in Richtung 40 Prozent steigen könnte. Die Töne gegenüber der ÖVP hören sich jedenfalls als knallharte Erpressung an.
In der ÖVP dürfte der Kickl-Auftritt den Funktionären einige kalte Schauer über den Rücken gejagt hatten. Aus Oberösterreich kamen schon warnende Stimmen. Der ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl bezeichnete auf Phoenix eine Minderheitsregierung der ÖVP und der Liberalen in Österreich als mögliche Variante. Aus Deutschland kommen erste Stimmen, dass die Zusammenarbeit der Geheimdienste mit einer Regierung unter Kickl eingeschränkt werden solle. Es ist nicht auszuschließen, dass in den kommenden Wochen als belastend eingestuftes Material gegen Kickl lanciert wird.
Nach dem Auftritt lässt sich sagen: Ein Kanzler Herbert Kickl ist keine ausgemachte Sache. Kickl sagte selbst, es gehe ihm nicht um den Posten. Das dürfte stimmen: Es geht ihm um einen Systemwechsel. Bereits 1995 arbeitete Kickl unter Jörg Haider an einem „Vertrag mit Österreich“. Dieser sollte „die Weiterentwicklung der Zweiten zur Dritten Republik, der Bürgerrepublik“ bringen, wie die Gernot Bauer und Robert Treichler in ihrer sehr lesenswerten Kickl-Biografie schrieben. Dieses Denke ist heute der Zeitgeist, nicht nur in Österreich. Am Dienstagabend stimmt das FPÖ-Parteipräsidium zu, die Gespräche mit der ÖVP aufzunehmen: „Es werden in einem ersten Schritt Gespräche im sehr, sehr kleinen Rahmen sein, um grundsätzliche Bedingungen und Voraussetzungen und Stoßrichtungen abzustecken“, sagte Kickl. „Wir brauchen rasche Klarheit, ob eine solche Koalition des neuen Typus machbar ist oder nicht mit der ÖVP.“
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