Es klingt wie eine bange Frage: „Sind wir jetzt out?“ Gestellt hat sie Burkhard Kieker, Geschäftsführer des landeseigenen Tourismusportals Visit Berlin. Würde der Berlin-Tourismus nicht mehr aus der tiefen Corona-Delle herauskommen? Hat Berlins Attraktivität gelitten?
Die Antworten lauten: Nein und nein und nein. Die Besucher kehren seit dem Ende der Pandemie in großer Zahl zurück nach Berlin. Und für die Stadt lohnt es sich.
Berlin-Tourismus: Die Corona-Krise ist fast überwunden
Im ersten Halbjahr dieses Jahres besuchten rund 5,7 Millionen Menschen die Hauptstadt. Das teilte die Tourismusgesellschaft Visit Berlin auf Basis von Zahlen des Amts für Statistik mit. Das war ein Zuwachs von mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bei den Übernachtungen stiegen die Zahlen in den ersten sechs Monaten des Jahres um knapp 24 Prozent auf 13,8 Millionen. Wichtiger noch: Der Tourismus sei damit bei 86 Prozent des Vorkrisenniveaus angekommen. Die Krise, das waren – nicht nur für den Tourismus – die Corona-Jahre 2020 bis 2022.
Für Berlin ist die Tourismus- und Kongressindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Das Unternehmen Econ, eine Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hat zuletzt 2019 detaillierte Untersuchungen angestellt. Demzufolge gaben die Berlin-Besucher alles in allem 16,9 Milliarden Euro aus. Volkswirtschaftlich entspricht dies einem Anteil von 6,6 Prozent an der gesamten Wirtschaftsleistung Berlins. Wie stark die Pandemie das Geschäft der Branche vermiest hat, beweisen Vergleichszahlen von 2020, als die touristischen Ausgaben nur noch 8 Milliarden Euro betrugen.
Das sah im Boomjahr 2019 ganz anders aus. Damals wurde etwa die Hälfte des Umsatzes (8,1 Milliarden Euro) von inländischen Gästen generiert, ausländische Touristen trugen rund 23 Prozent (3,8 Milliarden Euro) bei. Der Rest entfiel auf die Nachfrage von sogenannten Binnentouristen, also zum Beispiel Berlinern, die von ihrer Heimatstadt aus touristische Produkte buchten.
Doch wie sieht es heute aus? Was sagen die Zahlen? Aktuelle Angaben zum Konsum gibt es nicht. Die detaillierten Untersuchungen seien zu aufwendig und teuer, um sie jährlich vornehmen zu lassen, heißt es von Visit Berlin.
Besucherstatistik: Die meisten Berlin-Touristen sind aus dem Inland
Einfacher und billiger ist es, das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg die groben Übernachtungszahlen aufarbeiten zu lassen. Demnach kam auch in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 der Großteil der Touristen aus Deutschland. Knapp 39 Prozent aller Besucher kamen aus dem Ausland, die meisten von ihnen aus anderen europäischen Ländern. Hauptherkunftsland war im ersten Halbjahr demnach Großbritannien. Stark zugenommen habe aber etwa die Nachfrage aus Polen.
Relativ klein ist dagegen der Anteil von Touristen aus Übersee (10,5 Prozent). Dieser kleine Anteil gilt in der Branche als großer Nachteil. Schließlich lassen diese Gäste traditionellerweise mehr Geld in der Stadt als Deutsche oder Besucher aus dem europäischen Ausland.
Tourismusbranche leidet an zu wenigen Langstreckenverbindungen
Vor allem die oft zahlungsbereiten Russen und Asiaten zeigen der deutschen Hauptstadt die kalte Schulter. Bei den Russen ist der Grund der Ukraine-Krieg. Für die Asiaten ist der Weg nach Berlin oft zu beschwerlich – es gibt schlicht zu wenige Direktverbindungen von und nach Berlin.
Berlin-Werber Kieker wartet dazu mit einer vielsagenden Zahl auf. Nach seinen Worten gebe es täglich 180 Langstreckenflüge von und nach Deutschland, die meisten von und nach Frankfurt am Main und München – nur sechs davon entfielen auf Ostdeutschland. „Da ist eine gewisse Schlagseite erkennbar“, sagte Kieker.
Es ist kein Geheimnis, dass zum Beispiel das lange Zeit CSU-geführte Bundesverkehrsministerium Lobbyarbeit für den Flughafen München betrieben hat. Einigermaßen ernüchtert muss die Berliner Landespolitik nun feststellen, dass sich das auch unter der Ampel nicht geändert hat. Frankfurt als Nummer eins unter Deutschlands Airports ist ohnehin unantastbar. Für den BER bleibt vorerst nichts, als mit Düsseldorf und Hamburg um den ersten Platz unter „ferner liefen“ zu konkurrieren.
Berlins Hotels verfügen über 145.000 Betten
Insgesamt lässt sich dennoch sagen, dass sich die Tourismusbranche in der Stadt stabilisiert hat. So boten die Ende Juni 2023 in Berlin geöffneten 735 Beherbergungsstätten mit mindestens zehn Betten zusammen 145.940 Schlafplätze an. Das sei zwar ein leichter Rückgang gegenüber 2019, so Kieker, aber ihm zufolge auch kein Drama. „In dieser Branche ist ohnehin alles ein Werden und Vergehen“, sagt Berlins oberster Touristiker und klang dabei ein bisschen wie Berlins oberster Botaniker.
Und noch ein wirtschaftlicher Aspekt lässt den Stellenwert des Tourismus in einer Dienstleistungsstadt wie Berlin erkennen. Im Jahr 2019 bot die Tourismuswirtschaft direkte Arbeitsplätze für rund 188.000 Erwerbstätige. Das sind 9,1 Prozent aller in Berlin erwerbstätigen Personen. Damit war die Tourismuswirtschaft hinsichtlich ihrer Beschäftigungswirkung die fünftgrößte Branche in Berlin. Von indirekten Effekten profitieren 39.900 Erwerbstätige. So trug die Branche mit insgesamt 227.900 Arbeitsplätzen sogar elf Prozent zur Gesamtbeschäftigung in Berlin bei.
Doch was sagen all diese Zahlen? Zunächst einmal, dass die Tourismusbranche einen Beitrag zu den weiterhin vergleichsweise positiven wirtschaftlichen Rahmendaten der Hauptstadt leistet. Während Ökonomen 2023 für das gesamte Land einen Rückgang der Wirtschaftskraft von 0,3 Prozent und damit eine Rezession vorhersehen, wird für Berlin mit einem Wachstum von 1,5 Prozent gerechnet.
Und was hat es mit nun mit Burkhard Kiekers banger Frage nach einer möglicherweise geschwundenen Attraktivität auf sich. Kieker beantwortet sie selber. „Die Marke Berlins als Stadt der Freiheit, Toleranz und jetzt der Technologie funktioniert immer noch“, sagt er. Man kann es laut Kieker aber auch so sagen: „Berlin ist weder Bielefeld noch Nancy.“
