Berlin-Zum letzten Mal hielt die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag in Halle (Saale) ihre Rede zum Tag der Deutschen Einheit. Merkel erinnerte an die Kämpfe, die aus ihrer Sicht vor 31 Jahren zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands führten und die Errungenschaften, die daraus hervorgingen. Sie mahnte, dass Demokratie kein Selbstverständnis sei. Sie forderte von der Bevölkerung „Veränderungsbereitschaft und Solidarität“.
Die 340 Gäste, die vorrangig aus der Spitzenriege der politischen Landschaft bestanden, hörten zum Anlass des Nationalfeiertages in der Georg-Friedrich-Händel-Halle der scheidenden Kanzlerin andächtig zu. Für sie selbst dürfte es ein gewichtiger persönlicher Moment gewesen sein. Zum ersten Mal hatte sie in der Funktion als Kanzlerin am 3. Oktober 2006 öffentlich gesprochen, damals in Kiel, 16 Jahre nach der beschlossenen Wiedervereinigung. Ebenso lang sollte ihre Amtszeit dauern.
Nicht umsonst nannte der Ministerpräsident des gastgebenden Landes Sachsen-Anhalt, Rainer Haseloff (CDU), Merkels Auftritt wenige Tage zuvor ihre „letzte große Schlussrede“. Sie blieb dabei nicht in ihrer gewohnten Rolle - der diplomatischen, einenden und doch mahnenden Staatsfrau. Sie offenbarte deutlicher als sonst etwas, das sie früher weitaus bedeckter hielt: ihre Person.
Als „angelernte Bundesdeutsche“ sei sie von einem Journalisten mal bezeichnet worden, sagte Merkel. Ihr Ton verrät: Das hat sie mehr als irritiert. „Welches Bild von Wiedervereinigung wird darin sichtbar?“ - eine Frage, die ihre Art zu sagen ist: Da muss noch viel passieren.
Merkel über den „Ballast ihrer DDR-Biografie“
Angela Merkel sprach als eine Kanzlerin, die sich nicht beklagen will, bei „so viel Glück“, das sie selbst hatte – doch diesmal will sie die Geschichte auch als „Bürgerin aus dem Osten“ erzählen.
Den bundesdeutschen Umgang mit der DDR-Erfahrung illustrierte sie mit einer zweiten Anekdote: In einem von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Artikel über sie sei ihr der „Ballast ihrer DDR-Biografie“ attestiert worden. Als zähle ihr Leben vor 1990 nicht, so ihre Interpretation. Es würde bis heute nicht gesehen, dass nach der Wiedervereinigung in Westdeutschland alles weiterging wie zuvor – und sich im Osten fast alles änderte, sagte sie.
Um solch eine Bilanz in ihrer Gänze zu verstehen, hilft es, noch einmal an die Fakten zu erinnern. An die erst eine Woche alten Wahlergebnisse und ihre Unterschiede in den Ländern etwa: die großen Gewinne der AfD in Sachsen und in Thüringen. Oder an die fortwährenden Einkommens- und Vermögensunterschiede; die Kinder- und Altersarmut, die Arbeitslosenquote, die Schulabbrecher. Der Osten schneidet bei all diesen Faktoren schlechter ab als der Westen. Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass manche Stimme die Einigung von 1990 noch heute lieber als den „Anschluss“ der DDR an die BRD bezeichnet.
Weniger überraschend als Merkels Deutlichkeit war das musikalische Programm der Staatskapelle Halle, mit Bach und Händel fast so vaterlandsbetonend wie die Video-Einspieler zwischendurch, die 32 sogenannte „Einigungsbotschafter“ präsentierten. Jedes Bundesland hatte zwei Personen ausgewählt. Sie erzählten, welches persönliche Ereignis den Jeweiligen nicht ohne die Einigung widerfahren wäre. Sie sollten die Vielfalt der Bundesrepublik abbilden – eine Auswahl, die auf den ersten Blick Fragen hinterließ, wirkten die „Einigungsbotschafter“ doch deutlich weniger divers als die Gesellschaft.
Allzu oft münden verbale Attacken in Gewalt.
Zu Merkels Worten applaudierte das Publikum zweimal. Das eine Mal, mitten im Text, als die Kanzlerin sagte: „Allzu oft münden verbale Attacken in Gewalt“. Sie beobachte Angriffe auf die Demokratie, sie sehe Ressentiments und Hass, „ohne Hemmungen und ohne Scham“.
„So weit darf es gar nicht erst kommen“, sagte die CDU-Politikerin mit Blick auf die rechtsextremen Anschläge der vergangenen Legislatur und den Mord an Walter Lübcke, die Attentate von Halle und Hanau. Diese Radikalisierung dürfe nicht nur von denen ausgehalten und bekämpft werden, die direkt davon betroffen seien.

