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Artenschutz durch Tourismus: Eine neue Studie hinterfragt den Mythos vom „grünen Reisen“

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Der Tourismus gilt seit Jahren als Verbündeter des Naturschutzes. Einnahmen für Schutzgebiete, Arbeitsplätze in ländlichen Regionen und Bildungsangebote werden dafür gern als Belege genannt. Eine aktuelle Meta-Studie zieht nun jedoch eine differenzierte Bilanz. Reisen schützt nämlich tatsächlich gefährdete Arten, es kann aber unter gewissen Umständen auch schaden. Was wirklich wirkt, wo Risiken liegen und welche politischen Voraussetzungen für einen wirklich nachhaltigen Tourismus nötig sind, bleibt eine Frage, deren Antwort komplexer ausfällt als häufig angenommen.

Datenbasis und Methode

Die Untersuchung der aktuellen Meta-Studie von Natürlich Reisen zu den Zusammenhängen zwischen Tourismus und Artenschutz bündelt Erkenntnisse der letzten Dekade aus internationalen Fachpublikationen, Berichten und Reviews. Erfasst wurden dabei Finanzierungsströme, ökologische Effekte, Bildungsprogramme sowie Verwaltungs- und Managementstrukturen. Zusätzliche Praxisfälle aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Inselökosystemen ergänzen das Bild.

Auch wenn die Verfügbarkeit von Daten je nach Region variiert und nicht alle Effekte ohne Weiteres übertragbar sind, lassen sich deutliche Zusammenhänge und globale Parallelen erkennen.

Potenzial und Verwundbarkeit durch Finanzierungen

Der Tourismus finanziert vielerorts einen erheblichen Anteil des Schutzgebietmanagements. Insbesondere die Corona-Pandemie und das dadurch reduzierte Reiseaufkommen haben allerdings gezeigt, wie verwundbar dieses Modell ist.

Besucherrückgänge führten zu massiven Einnahmeverlusten und zu Einschnitten beim Monitoring. Haushalte in Pufferzonen litten unter Jobausfällen und nutzten wieder verstärkt natürliche Ressourcen. Die Studie empfiehlt daher stärker diversifizierte Finanzierungsquellen. Ausschlaggebend bleibt in diesem Kontext auch, dass Einnahmen vor Ort verbleiben und nicht im allgemeinen Haushalt versickern.

Ökologische Nebenwirkungen sind messbar

Die Erkenntnisse zu Störungen von Wildtieren sind eindeutig. So verändert beispielsweise das beliebte Whale-Watching Aktivitätsmuster und Atemintervalle der beobachteten Meeressäuger. Auch im Gorillatourismus werden klare Regelungen zur Distanz häufig unterschritten, wodurch Stress, Krankheitsrisiken und Konflikte steigen.

Selbst eine als „leicht“ eingestufte Freizeitnutzung beeinflusst dabei die Tagesaktivität und Raumnutzung verschiedener Arten. Straßenbau und Wasserentnahmen fragmentieren zusätzlich Lebensräume und verschieben ökologische Prozesse.

Der touristische Druck konzentriert sich typischerweise auf artenreiche, gut erreichbare Gebiete. Wenn hier keine bewusste Lenkung erfolgt, steigt darum die Belastung für die Tierwelt, auch wenn einzelne Anbieter umsichtig agieren.

Was unter welchen Bedingungen wirkt

Damit nachhaltige Effekte beim Schutz von Ökosystemen entstehen, müssen mehrere Stellschrauben zugleich greifen. Konsistente Erfolgsfaktoren sind unter anderem

  • verbindliche Obergrenzen für Besucherzahlen und entsprechende Kontrollen
  • sensible Ruhezonen ohne Zugang
  • geschulte Guides mit Sanktionsbefugnissen bei Verstößen
  • direkte Reinvestition der Einnahmen im Schutzgebiet
  • gemeinschaftliche Verwaltung von Schutzgebieten mit klaren Rechten der Gemeinden
  • transparente Erfassung von Daten und regelmäßige Veröffentlichung
  • anpassungsfähige Managementpläne mit Evaluationszyklen
  • Zertifizierungen mit unabhängiger Prüfung statt Selbsterklärung

Einkommen und Akzeptanz durch Community-Modelle

Partizipationsmodelle verknüpfen obendrein Artenschutz mit lokalen Einkommen. Fallstudien aus dem südlichen Afrika zeigen zum Beispiel, dass Community-basierte Joint Ventures Arbeitsplätze schaffen und Konflikte mit Wildtieren reduzieren. Einnahmen fließen dabei in Gemeindefonds, Bildung und Infrastruktur.

Ausschlaggebend ist bei solchen Projekten die lokale Entscheidungsgewalt, denn wo Gemeinden Nutzungsrechte besitzen und am Erlös beteiligt sind, steigt die Akzeptanz für Regeln wie Besucherlimits oder Sperrzonen.

Die Studie verweist auf langfristige Populationszuwächse ausgewählter Arten in Regionen mit konsequenter, gemeinschaftlicher Verwaltung. Fehlt die Partizipation, häufen sich hingegen Widerstände und illegale Aktivitäten.

Greenwashing vermeiden mit Standards und Kontrollen

Zertifikate gelten als Orientierung, aber ihre Qualität variiert. Viele Labels lassen sich beispielsweise nicht gut miteinander vergleichen und die Standards sind mitunter missverständlich. Ob eine verlässliche Kontrolle erfolgt, ist in vielen Fällen unklar.

Unabhängige Prüfmechanismen sollten darum klar belegbar und nachvollziehbar sein, um eine Schein-Nachhaltigkeit zu verhindern. Wirklich nachhaltig sind Zertifizierungen schließlich erst, wenn Prüfintervalle definiert, Abweichungen sanktioniert und Ergebnisse öffentlich zugänglich sind. Transparenz ist hierbei eine unerlässliche Voraussetzung für Vertrauen.

Bildung als Hebel für Verhaltensänderung

Bildungsangebote im Zuge des Naturerlebnisses zeigen positive Effekte. Kurzfristig verbessern sich dadurch Wissen und Verhalten und auch langfristig macht sich ein verantwortungsvolleres und ressourcenschonenderes Verhalten bemerkbar.

Besonders wirksam sind situative Interventionen. Dazu zählen Ranger-Ansprachen am Ort des Geschehens, Informationszentren mit konkreten Handlungsregeln und Feedback zu individuellen Auswirkungen. Die Studie verweist auf Programme, die auch ein Jahr nach der Teilnahme eine erhöhte ökologische Sensibilität belegen.

Klare Regulierung ist nicht imstande, Bildung zu ersetzen. Sie verstärkt vielmehr die Wirkung und die Akzeptanz der ergriffenen Schutzmaßnahmen und Einschränkungen.

Optionen für die Politik: Regeln, Daten, Geldflüsse

Aus der Studie ergeben sich klare Prioritäten für den Tourismus in sensiblen Gebieten, darunter

  • rechtsverbindliche Limits und Besuchslenkung in sensiblen Zonen, durchgesetzt durch Kontrollen
  • Einnahmenbindung im Gebiet und Zweckbindung für Monitoring, Ranger und Restaurierung
  • unabhängige Zertifizierung mit transparenten Kriterien, Prüfberichten und Sanktionsstufen
  • Bildungspfade und Informationspflichten für Anbieter
  • diversifizierte Finanzierung jenseits des Ticketverkaufs, darunter Zahlungen für Ökosystemleistungen und Fonds, die Krisen abfedern

Maßgeblich ist obendrein ein anpassungsfähiges Management, das mit öffentlichen Daten zu Störungen, Populationsdynamik, Abfall und Wasserqualität arbeitet. Nur wo Ergebnisse sichtbar sind, lassen sich Maßnahmen schließlich gezielt anpassen.

Die Recherche und Erstellung des Beitrags wurden durch eine externe Redakteurin vorgenommen und stammen nicht aus der eigenen Redaktion.