Brutal Berlin

Ab ins Dorf: Wie mein Landleben zum Desaster wurde

Unser Autor ist mit reichlich Frust im Gepäck aufs Land gezogen. Mitten in der Natur hätte alles so schön werden können – wurde es aber nicht.

Der Hof lag außerhalb des Dorfes, man blickte in alle Richtungen nur in die sanft wellige, wunderschöne Natur.
Der Hof lag außerhalb des Dorfes, man blickte in alle Richtungen nur in die sanft wellige, wunderschöne Natur.Roshanak Amini für die Berliner Zeitung am Wochenende, Hintergrundfoto: imago

Wenn’s am schönsten ist, soll man gehen. Doch Berlin fand ich schon länger nicht mehr schön. Wer wie ich Berlin in den 90er-Jahren erlebt hat, weiß, was ich meine: Das Wilde, das Anarchische, das Morbide, die positive Energie an jeder Ecke – wo ist das alles hin im Berlin von heute? Mir fehlte das.

Dabei wohnte ich, nach 28 (!) Umzügen, auf der Roten Insel in einem Altbau, also nicht in der schlechtesten Wohnlage der Stadt. Doch ich hatte genug und castete also verschiedene Wohnungen im 80-Kilometer-Radius um die Stadt. Dabei stellte ich schnell fest, dass kleine Wohnungen in Brandenburg, jedenfalls in Hauptstadtnähe, ziemlich dünn gesät sind.

Anstrengende Feriengäste

Ich fuhr nach Althüttendorf, um mir eine Haushälfte mit Garten anzusehen, samt Messie-Familie nebenan. In Lunow zeigte mir ein Tischler eine umgebaute Stallanlage aus Backstein, in der schon einige Stadtflüchtlinge wohnten. Und in Steinhöfel besichtigte ich einen Hof, in dem alle Bewohner zusammen kochten, was mir gut gefiel.

Die Wahl fiel schließlich auf einen alten Hof im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, wundervoll gelegen auf einer Anhöhe am Rande eines der größten Waldgebiete in Deutschland. Okay, Spätis gibt es in dieser Region nicht, zum nächsten Supermarkt waren es rund sechs Kilometer, aber ich wollte ja aufs Land.

In der Küche gab es kein Warmwasser. Auch eine Antenne zum Fernsehen müsste ich auf eigene Kosten unter dem Dach einbauen.

Im März 2020, bei strömendem Regen, zog ich ein. Der Vermieter war Musiker und stellte auch Instrumente her. Ein Künstler also, was mich auf interessante Menschen auf dem Hof hoffen ließ. Meine Wohnung, eine von fünf oder sechs, die er vermietete, hatte zwei Zimmer, zwei Bäder und eine Küche in der alten Feldsteinscheune, die ansonsten als Lager für einen riesigen, feuerspuckenden Drachen diente. Aber dazu später mehr.

Es war eine ehemalige Ferienwohnung. Doch jetzt sollte sie, so der Vermieter, auf Dauer vermietet werden, weil die Sache mit den Feriengästen sehr anstrengend sei; die wollen ja richtig betreut werden. Weil es vor Jahren ein Feuer gab, wurde die Scheune saniert, wobei wegen des Brandschutzes die Fenster zugemauert wurden. Das hieß: kein Ausblick auf die wunderbare Landschaft, nur durch die Dachluken drang Licht.

Ansonsten war die Wohnung tadellos, der Preis mit 350 Euro kalt völlig in Ordnung. Heizen war sowieso nur durch die beiden Öfen möglich, was für mich einen großen Pluspunkt bedeutete. Eine Landwohnung mit Ofenheizung! Ich bestellte einen Riesenhaufen Brennholz und heizte den ganzen kalten Winter ordentlich ein. Das Spiel der Flammen im Ofen ersetzte oft das Fernsehprogramm, der Duft des Buchenholzes füllte die Wohnung mit einem anheimelnden Odeur.

Neben der Scheune gab es noch das Haupthaus mit mehreren Wohnungen, einen riesigen Garten mit Obstbaumwiese und einen ehemaligen Stall, den eine Mieterin gerade aufwendig renovierte. Der Hof lag außerhalb des Dorfes, man blickte in alle Richtungen nur in die sanft wellige, wunderschöne Natur. Ab und zu liefen Kühe vorbei. Auch Störche landeten dann und wann auf dem Dach. Zu einem einsamen Waldsee mit Sandstrand konnte man laufen, er war nur einen Kilometer entfernt.

Manchmal tönten aus dem Haupthaus traurige Weisen auf dem Dudelsack, ansonsten war es meist sehr still. Den Hof nebenan bewirtschaftete noch ein „echter“ Bauer, der Hühner, Gänse und Ziegen hielt, dort holte ich jede Woche frische Eier und hätte sogar eine Weihnachtsgans bekommen, wenn ich sie gewollt hätte. Es hätte wunderbar werden können.

Nicht der Einzige, der Trouble mit dem Vermieter hatte

Doch nach und nach stellte sich heraus, dass ich es mit einem, sagen wir mal, schwierigen Vermieter zu tun hatte. In der Küche gab es kein Warmwasser. Auf die Frage nach einem Warmwasserboiler entgegnete der Vermieter, dass ich den selbst einbauen müsste, Kaltwasser fände er in der Küche ausreichend. Auch eine Antenne zum Fernsehen müsste ich auf eigene Kosten unter dem Dach einbauen, wer brauche denn einen Fernseher?

Und so ging es weiter zur Telefon- und Internetfrage. Im Haupthaus, wo der Vermieter wohnte, gab es Wlan. Doch das Passwort dazu wollte der Mann nicht rausrücken, da könne ja jeder kommen. Ein Festnetztelefon gab es in der Scheune nicht, also musste ich mich mit Internet per Funk begnügen, eine wacklige Angelegenheit. Ein Segen, dass ich im nahen Eberswalde einen Coworking-Schreibtisch mit schnellem Internet hatte, wo ich gut arbeiten konnte.

Einen Briefkasten musste ich mir selber kaufen, der gehörte nicht zur Wohnungsausstattung. Dann die Frage mit der Katze. Ich durfte keine Katze in meiner Wohnung halten, weil sie die Vögel draußen im Garten fressen würde. Dass der Vermieter selber eine Katze hatte, tat nichts zur Sache. Den Garten durfte ich laut Mietvertrag nur benutzen, wenn ich mich zu angemessener Mitarbeit verpflichtete. Das tat ich auch, doch offenbar nicht so, wie es recht war. Wenn ich Unkraut jätete oder Beete mulchte, machte ich immer etwas falsch. Bis ich dann eines Tages „Gartenverbot“ erhielt. Der Vermieter zeigte mir im Garten eine imaginäre Linie, die ich nicht übertreten durfte. Zu meiner Wohnung durfte ich immerhin noch gehen.

Über mir wohnte ein junger Mann, angeblich Ex-Junkie. Ihm verdankte ich, dass mein Motorroller zweimal nachts von einem Auto umgefahren wurde

Bei den Mittelalter-Festen, die auf dem Hof jedes halbe Jahr stattfanden, musste ich 20 Euro Eintritt zahlen wie jeder andere Besucher auch. Dass ich mitten in dem Trubel wohnte, tat nichts zur Sache. So sah ich den riesigen, feuerspuckenden Drachen aus meiner Scheune auch mal in Aktion. 

Ich war allerdings nicht der einzige Bewohner, der Trouble mit dem Vermieter hatte. Wie ich von Nachbarn erfuhr, hielt es kaum ein Mieter länger als drei Monate auf dem schönen Hof aus. Julia, die Mieterin unter mir, erhielt ebenfalls „Gartenverbot“, weil sie rauchte und ein Katzenjunges in ihrer Wohnung hielt. Weil Julia eine Tür von ihrer Küche direkt in den Garten hatte, verrammelte der Vermieter diese von außen mit Brechstangen.

Über mir wohnte ein junger Mann, angeblich Ex-Junkie. Ihm verdankte ich, dass mein Motorroller vor dem Haus zweimal nachts von einem Auto umgefahren wurde. Irina, die den ehemaligen Stall sanierte und innen eine wunderbare Wohnung schuf, wurde anschließend herausgeekelt, ohne für ihre Mühen Entschädigung zu erhalten. Nach einem Jahr „idyllischem“ Dorfleben langte es mir dann auch. Ich kündigte. Meine letzte Begegnung mit dem Vermieter war vor Gericht.

Ich klagte, weil ich meine Kaution nicht zurückbekam. Der Richter gab mir recht, was der Vermieter mit dem Satz quittierte: „Ich akzeptiere die ungerechte Entscheidung des Gerichts.“