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Zum Start der Berlin Art Week: Künstler sind keine Propagandalautsprecher

Die Forderung nach mehr Politik in der Kunst erhitzt schon lange die Gemüter. Unser Autor sieht die Freiheit der Kunst in Gefahr.

Das umstrittene Großbanner „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta Fifteen
Das umstrittene Großbanner „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta FifteenUwe Zucchi/dpa

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Ob Biennale von Venedig, Documenta in Kassel oder Kunstmessen – wo man hinhört, wird darüber diskutiert, wie politisch die Veranstaltung wird. Ob auch die diesjährige Berlin Art Week von diesen Diskussionen eingeholt werden wird, bleibt abzuwarten.

Die Debatte zur „politischen Kunst“ schwelt jedenfalls schon länger. Beispielsweise sagte der Kulturwissenschaftler Martin Roth 2017 zum Auftakt der Documenta 14, dass Kunst in diesen Zeiten politisch sein müsse und mehr als „Schischi“. Und anlässlich der 7. Berlin Biennale verkündete einer der Kuratoren, der Künstler Artur Zmijewski, bereits 2012: „Unsere Idee ist, dass die Künstler nicht nur ihre Werke zeigen, die das Leben schöner gestalten sollten, sondern darüber hinaus etwas Substanzielleres zeigen, und Prozesse in Gesellschaft und Politik unterstützen, die über reines ästhetisches Handeln hinausgehen.“

In der Tat lassen sich in der zeitgenössischen Kunst viele Beispiele finden, die „politisch“ sind. Als im Jahr 2016 der chinesische Künstler Ai Weiwei die Säulen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt mit Schwimmwesten verkleidete, die von Flüchtlingen stammen sollen, hat niemand in Zweifel gezogen, dass es sich dabei um eine politische Aktion handelt.

Ai Weiwei hüllt die Säulen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Tausende Schwimmwesten.
Ai Weiwei hüllt die Säulen des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Tausende Schwimmwesten.Christina Kratsch/imago

Der amerikanische Streetart-Künstler Shepard Fairey mischt sich momentan abermals in den US-Wahlkampf ein. Weltbekannt wurde er 2008 durch sein nostalgisch-plakatives Porträt Barack Obamas, das er mit dem Untertitel „Hope“ versah. Gerade erst brachte er ein ähnliches Werk mit dem Konterfei der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris heraus, unter das er das Wort „Forward“ setzte.

Picasso als politischer Künstler?

Denkt man hingegen an Pablo Picasso, wird einem kaum in den Sinn kommen, dass er ein politischer Künstler gewesen sei. Dabei hat er eines der bedeutendsten politischen Kunstwerke überhaupt geschaffen: „Guernica“. Was wäre die Kunstgeschichte ohne dieses monumentale Gemälde! Jasper Johns’ „Flag on Orange Field“ von 1957, das die amerikanische Nationalfahne auf orangefarbenem Hintergrund zeigt, war seinerzeit ein politischer Affront. Und Robert Indianas Textbild „A divorced man has never been President“ war im Jahr 1962 nicht minder kontrovers. Wer kennt nicht Andy Warhols legendäres Porträt von Richard Nixon, dem er toxisch gelbe Augen verpasste und mit „Vote McGovern“ untertitelte. Auch Johns, Indiana und Warhol gelten nicht als politische Künstler, haben aber kunsthistorisch wichtige Werke geschaffen, die sich mit politischen Inhalten beschäftigen.

Nicht nur einzelne Künstler, sondern ganze Künstlergruppen sind politischer, als es auf den ersten Blick erscheint, wenngleich sie als solche nicht vermarktet werden. Die abstrakten Expressionisten beispielsweise wandten sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges bewusst vom Gegenstand ab, um sich vom Personenbild, das von den Nazis propagiert und missbraucht wurde, abzugrenzen. Künstler der Arte Povera nutzten „arme“, das heißt gewöhnliche und alltägliche Materialien, wie Erde, Holz und Bindfäden, um daraus Werke zu schaffen. Auch die Pop-Art der Fünfziger- und Sechzigerjahre war nicht lediglich bunt, plakativ und laut. Es handelt sich um eine gesellschaftskritische Bewegung, die beispielsweise den Massenkonsum und seine Folgen thematisierte oder konservative Moralisten provozierte. Tom Wesselmanns „Great American Nudes“ und Allen Jones’ fetischhafte Darstellungen von Frauen als Hutständer, Sessel und Tischgestell taugen bis heute als Aufreger.

Andy Warhols Richard Nixon
Andy Warhols Richard NixonVibrant Pictures/imago

Kunst muss nicht immer einen Zweck erfüllen

Ein Künstler oder seine Kunst müssen also nicht per se als politisch gelten, um Werke zu schaffen, die für politische Kontroverse sorgen. Tatsächlich gibt es hier ein grundsätzliches Problem: Wer von der Kunst per se verlangt, dass sie politisch sein müsse, reduziert sie auf eine einzige Funktion und fordert von ihr einen bestimmten Nutzwert. Er setzt ihr damit inhaltliche Leitplanken, zwängt sie in ein Korsett und instrumentalisiert sie. Künstler sind aber keine Propagandalautsprecher und ihre Bilder keine Wahlplakate!

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Wo sollte das auch hinführen? Sollte nur noch politische Kunst öffentlich gefördert, ausgestellt und in entsprechenden Ankaufetats berücksichtigt werden? Wer verlangt, dass Kunst politisch sein müsse, denkt übergriffig und lenkungsambitioniert, der tastet sich an ihre Freiheit heran. Ganz zu schweigen von der impliziten Deklassierung, legt die Forderung doch im Umkehrschluss nahe, dass alle nicht politische Kunst keine oder minderwertige Kunst sei. Die Verfechter der „politischen Kunst“ mögen sich an einen alten, aber ehrbaren Grundsatz erinnern. Er lautet: L’art pour l’art!

Dirk Lehr ist Rechtsanwalt, Autor und Kunstsammler. Er publizierte unter anderem zu den Themen Urheberrecht und Kunstmarkt. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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