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Das Opus Magnum des DDR-Malers Werner Tübke: „Ein bisschen verrückt muss man schon sein“

Im Auftrag der DDR-Oberen schuf der Künstler Werner Tübke in Bad Frankenhausen ein Panoramagemälde, das den Besucher bis heute in seinen Bann zieht.

Besucher besichtigen das Bauernkriegspanorama im Panorama Museum in Bad Frankenhausen.
Besucher besichtigen das Bauernkriegspanorama im Panorama Museum in Bad Frankenhausen.Martin Schutt/dpa

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Elf Jahre lang arbeitete Werner Tübke, einer der bekanntesten Künstler der DDR, im thüringischen Bad Frankenhausen an einem gigantischen Panoramagemälde. Dargestellt werden Szenen aus dem Bauernkrieg, der sich in diesem Jahr zum 500. Mal jährt. Der Kunstprofessor aus Leipzig wurde von der DDR-Regierung eigens von 1976 bis 1987 von seinen Lehr-Aufgaben an der Universität freigestellt. Tübke sagte über seine Arbeit an dem monumentalen Werk: „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, sonst geht man solche Sachen nicht an.“

Tübke, als Sohn eines Kaufmannes 1929 in Schönebeck an der Elbe geboren, zählt zu den bedeutendsten Malern der ehemaligen DDR. Die Kriegsjahre erlebt er als Gymnasiast und malt im väterlichen Garten Pflanzenbilder. Ein traumatisches Erlebnis für den jungen Mann wird jedoch die mehrmonatige Inhaftierung durch die Sowjets, die den Schüler zu Unrecht verdächtigen, einen Mordanschlag auf einen sowjetischen Soldaten verübt zu haben. Diese Erfahrung wird ihn lange prägen.

Tübke lernt nach dem Krieg sein Handwerk von der Pike auf. Nach einer soliden Ausbildung im Malerhandwerk beginnt er ab 1948 ein Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Noch kurz vor Studienbeginn tritt Tübke in die SED ein. 1950 wechselt er zum Studium der Kunsterziehung an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Er schließt sein Studium 1953 mit dem Staatsexamen ab. Nach wissenschaftlicher Mitarbeit am Zentralhaus für Volkskunst wird er freischaffender Künstler.

Mit Beginn der Sechzigerjahre wird ihm wachsende Anerkennung für sein Werk zuteil. So erhält er auch die Möglichkeit nach Italien zu reisen, um die alten Meister der Renaissance zu studieren, die ihm zeitlebens für seine Arbeit so viel Inspiration geben.

Der Maler und Grafiker Werner Tübke sitzt 2003 in seinem Leipziger Atelier.
Der Maler und Grafiker Werner Tübke sitzt 2003 in seinem Leipziger Atelier.Waltraud Grubitzsch/dpa

Wie aus der Zeit gefallen

Tübke orientiert sich in seinen Werken oft an der Frührenaissance. Damit war er schon früh Kollegen und Juroren aufgefallen. Sein Geschichtskonservatismus passt jedoch nicht unbedingt zur Fortschrittsideologie der DDR. Doch mit zunehmender Bekanntheit des Künstlers sonnen sich auch viele Genossen in seinem Ruhm. Somit gelangt er zu einer gewissen Unabhängigkeit in seinem Schaffen und in der Wahl seiner Themen.

Tübke lebt in der real existierenden DDR, malt aber wie in der Vergangenheit. Mit überbordender Fantasie belebt er seine Bilder. Werner Laux, Rektor der Kunsthochschule Weißensee, stellt schon 1956 verblüfft fest: „Fast muss ich annehmen, dass jede Figur von irgendeinem großen Renaissancemeister kopiert wurde, aber mir fällt keiner ein.“ Andere Kritiker hingegen sehen das weniger wohlwollend: „Alt! Alt! Wie kann ein junger Mensch so malen? So malt ein Mümmelgreis!“ In der Tat heißen Tübkes Vorbilder Albrecht Dürer oder Lucas Cranach. Und so scheinen seine Werke oft wie aus der Zeit gefallen.

1973/74 beschließt die Parteiführung der SED und die Regierung der DDR aus Anlass des 450. Jahrestages des Deutschen Bauernkrieges auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen eine Panorama-Gedenkstätte zu errichten. Das Projekt trägt den offiziellen Titel „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“. Es soll den Theologen und „Revolutionär“ Thomas Müntzer ehren und an eine der letzten Schlachten des Bauernkrieges bei Frankenhausen erinnern. Der Bauernaufstand wurde dort am 15. Mai 1525 von einem Adels- und Landsknechtsheer blutig niedergeschlagen. Müntzer wurde gefangengenommen, gefoltert und später enthauptet.

Bad Frankenhausen, Blick auf das Panorama Museum
Bad Frankenhausen, Blick auf das Panorama MuseumKH/imago

Tübke stellt Bedingungen

Es geht den Genossen insbesondere darum, die Bauernaufstände als Großereignis von historischer Tragweite darzustellen. Der Bauernkrieg soll als frühbürgerliche Revolution inszeniert werden: „Der entscheidende Gedanke dabei ist zu zeigen, wie die Volksmassen im Kampf gegen die Ausbeuterklasse (...) große revolutionäre Energien freisetzen und unter unseren heutigen Bedingungen das Vermächtnis der Revolutionäre von 1524/25 (…) erfüllt wird. Durch seinen Standort soll es besonders bei der Jugend den sozialistischen Patriotismus fördern“, heißt es in der Broschüre „Das Abenteuer der Bilderfindung“.

Zur Ausführung des Gemäldes kann der international bekannte Maler Tübke gewonnen werden. Der SED-Führung schwebt eher ein heroisierendes Schlachtengemälde im Stile des sozialistischen Realismus vor. Statt aber dieser ideologischen Vorgabe zu folgen, stellt Tübke Bedingungen, die ihm sowohl bei der Konzeption als auch bei der Ausführung der Arbeiten freie Hand lassen. Tübkes Vorstellungen und seine künstlerische Autonomie werden akzeptiert, wohl auch um das Projekt nicht zeitlich in Verzug geraten zu lassen. Der Rundbau zur Beherbergung des Panoramagemäldes war bereits 1975 fertiggestellt worden.

Schaffung der 1:10-Fassung des Bauernkriegspanoramas von Werner Tübke (1929-2004)
Schaffung der 1:10-Fassung des Bauernkriegspanoramas von Werner Tübke (1929-2004)epd/imago

Bis zu zehn Stunden auf den Gerüsten

Im Jahre 1976 beginnt Tübke mit der Arbeit an seinem Opus Magnum: ein gigantisches Rundgemälde von 14 Metern Höhe und 120 Metern Umfang. Nach mehreren Jahren intensiver Vorarbeit und Recherche zu dem Thema sowie der Erstellung einer Modellfassung im Maßstab 1:10 setzt Tübke am 16. August 1983 den ersten Pinselstrich an das Gemälde.

Es zeigt sich bald, dass eine Auftragsarbeit dieses Größenmaßstabes für einen Mann nicht zu bewältigen ist. Fünf sorgfältig ausgewählte „Altgesellen“ sollen ihn unterstützen. Insgesamt elf Jahre sollten Tübke und seine Assistenten für das monumentale Werk benötigen. Die Künstler standen bis zu zehn Stunden täglich auf den Gerüsten. Dies zum Teil bei Temperaturen um die 35 Grad Celsius. Tübke beschwert sich später: „Man hat es versäumt, menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Lediglich an die Bequemlichkeit der Besucher hat man gedacht.“

Das größte Unglück aber ist, dass ich nicht bis in alle Ewigkeit weiterarbeiten kann.

Werner Tübke

1987 wurde das Werk mit mehr als 3000 Figuren fertiggestellt. Der Maler war physisch und psychisch erschöpft. Eine Dokumentation im Panorama Museum zeigt den Künstler, wie er die letzten Pinselstriche am Monumentalgemälde ausführt. Beinahe andächtig legt er danach den Pinsel zur Seite und stellt trocken fest: „Ich habe keine Gefühle mehr, elf Jahre Elend …“

Tübkes Werk ist kein herkömmliches Schlachtengemälde geworden, sondern ein historisch-philosophischer Bilderreigen über eine ganze Epoche, „eine historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen“ (E. Beauchamp, 2004), ausgeführt im Stil eines magischen Realismus mit surrealen Zügen.

Gerd Lindner, Direktor des Panorama Museums, deutete das Gemälde 2004 so: „Ich glaube, das Werk ist zeitlos. Auf den Punkt gebracht, könnte man sagen, es zeigt die ewige Wiederkehr des Gleichen, die sozialen Grundprobleme bleiben die gleichen, das ist die Grundaussage des Bildes, dargestellt in einer totalen Form, d.h. in einer Kreisform ohne Anfang und Ende, sodass die Geschichte als Kontinuum erscheint, ohne lineare Höherentwicklung, was im eklatanten Widerspruch zum offiziellen Geschichtsbild der DDR stand.“

Werner Tübke (1929-2004) vor seinem Bauernkriegspanorama
Werner Tübke (1929-2004) vor seinem Bauernkriegspanoramaepd/imago

Mystifizierung der Entstehungsgeschichte des Werks

Tübke galt zu DDR-Zeiten und auch danach, als durchaus umstritten. War er ein „Auftragsmaler“ der SED? Wurde das Gemälde zur „Frühbürgerlichen Revolution“ geschaffen, um zu illustrieren, dass erst mit der DDR-Bodenreform von 1946 die Ziele der aufständischen Bauern von einst, nun endlich durch den real existierenden Sozialismus eingelöst wurden? Nach der Wende wurden Stimmen laut, die die Schließung des Panorama Museums forderten und Tübke einen „Staatsmaler“ nannten.

Die Wende sah der Künstler nicht als großen Umbruch. Körperlich am Ende arbeitete Tübke folglich nur noch an zwei großen Aufträgen: an einem Bühnenbild zur Neuinszenierung von Webers „Der Freischütz“ in Bonn (1990-1993) und an einem Flügelaltar für die St. Salvadoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993- 1996). Es entstanden außerdem eigenständige, kleinformatige Gemälde.

Auf die Frage, ob er sich beschwert habe, dass seine Bilder in der umstrittenen DDR-Kunst-Schau in Weimar 1999 auftauchten, konterte der Künstler auf seine trockene Art: „Nein, ich registriere so etwas eigentlich nicht (…) Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst.“

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In seinen Tagebüchern, die erst viele Jahre nach seinem Tod entdeckt wurden, mystifiziert der Künstler die Entstehung des Gemäldes in Bad Frankenhausen als „höhere Eingebung“. Voller Pathos schreibt er: „Das war ich nicht! Das Bild habe ich nicht gemalt! Da muss statt meiner etwas Geistiges gewesen sein, ein Focus der Kulturgeschichte, doch mit Seele und Liebe.“ Dennoch sei alles mit Gottes Hilfe und dem Segen der Partei entstanden.

Der Künstler, dem aufgrund schwerer Durchblutungsstörungen ein Bein amputiert werden musste, starb am 27. Mai 2004 nach langer, schwerer Krankheit in Leipzig. Er wurde 74 Jahre alt.

Sabine Küster-Reeck ist freie Journalistin und lebt in Berlin und Brandenburg.

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