Der Brigadegeneral Michael Matz hat für seine provokante Behauptung, „Stress ist etwas für Leistungsschwache“, viel Kritik erhalten. Auf Twitter berichten unter dem Hashtag #leistungsschwach ehemalige Soldaten und Angehörige über den hohen Druck in der Bundeswehr. Ein Betroffener schreibt: „Das erste Jahr in der Truppe habe ich unter der Woche maximal 5 Stunden in der Nacht geschlafen und hatte ein paar hundert Überstunden, weil ich dachte, ich müsse mich damit beweisen.“
Ein anderer Kamerad fragt: „#leistungsschwach – Was ist das? Ist das, wenn ich nicht mindestens 14 Stunden täglich im Dienst bin? Lieber Puls 80 als 150 habe? Wenn ich seit 35 Jahren sage, es geht auch anders, seinen Auftrag erfolgreich zu erfüllen?“ Auch Angehörige erzählen: „Wir haben die teure Therapie aus eigener Tasche bezahlt, damit die Akte ‚sauber‘ bleibt. Kollegen handhabten es ähnlich.“
Laut Statistik der Bundeswehr stieg die Zahl der einsatzbedingten psychischen Neuerkrankungen in den letzten Jahren immer weiter an. Im Jahr 2021 waren 329 Soldaten betroffen. 210 davon hatten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Eine posttraumatische Belastungsstörung äußert sich in andauernden Erinnerungen und Albträumen, Verdrängung der Ereignisse und Vermeidung ähnlicher Situationen. Weitere Symptome sind Unruhe, Schlafstörungen und soziale Abschottung.
Krieg und die Teilnahme an einem militärischen Kampfeinsatz sind typische Auslöser einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Bundeswehr bezieht auf Anfrage Stellung: „Der erste Schritt zurück in ein Leben ohne PTBS ist deren Diagnose und Behandlung.“ Hierfür stehe Betroffenen ein psychosoziales Netzwerk an Ärzten, Psychologen und fachlicher Beratung zur Verfügung. Auch Angehörige werden mit eingebunden. Nur eine gezielte Aufklärung könne der gesellschaftlichen Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenwirken. Sie betont: „Die berufliche Rehabilitation der Betroffenen hat höchsten Stellenwert.“
PTBS bei Soldaten: „Ich hatte immer den Blick Richtung Ausgang“
Der ehemalige Soldat Alexander T. beschreibt seine PTBS als einen „Albtraum bei vollem Bewusstsein“. Der Hannoveraner diente insgesamt zwölf Jahre. Ende 2014 schied er mit dem Dienstgrad Oberfeldwebel endgültig aus. Besonders die zwei knapp halbjährigen Einsätze in Afghanistan als Teil der Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter Nato-Führung hätten ihn geprägt. „Wenn ich mich in einem Raum befand, hatte ich immer den Blick Richtung Ausgang und die Wand im Rücken. Auch noch Jahre danach“, sagt er.
Anderen Kameraden erging es noch schlechter. „Ich kenne Fälle von Soldaten, die ihren Garten zubetoniert und grün angestrichen haben, weil sie aus Angst vor Mienen keinen Rasen mehr betreten konnten.“ Im Rahmen seines ersten Afghanistan-Einsatzes war er mit seinem Team auf dem Flughafen von Mazar-i-Sharif außerhalb des Camps Marmal stationiert. „Durch den 24-Stunden-Dienst waren wir morgens meist die ersten auf dem Weg zum Flughafen.“ Dies sei stets mit Angst verbunden gewesen, da die Soldaten nur ungepanzerte, zivile Fahrzeuge zur Verfügung hatten.
„Eines Nachts wurde eine Autobombe versteckt, durch die beinahe zwei befreundete Soldaten umkamen“, erinnert er sich. Ein anderes Mal musste er aufgrund eines Infektes und starker Dehydration in ein Lazarett. „Nebenan lag ein 4-jähriger afghanischer Junge mit einem vermeintlichen Tumor im Bein. Dieser wurde bei uns versorgt“, erzählt er. Später stellte sich heraus: Man hatte dem Kind Epoxidharz unter sein Bein gespritzt, damit der Vater das Camp ausspionieren konnte.
Alexander T. erinnert sich jedoch auch an positive Momente. „Vor allem die Kameradschaft untereinander und mit den anderen Nationen war unbeschreiblich toll“, sagt er. Dabei fällt ihm eine Situation mit einem jungen afghanischen Wachmann ein. „Der etwa 20-Jährige war am Tor gestanden, um andere Afghanen wegzuschicken und uns zu helfen“, sagt der Soldat aus Hannover. Der junge Mann sprach ihre Sprache nicht, lernte aber anhand eines Kinderschulbuchs zunächst ein paar Worte Englisch und anschließend Deutsch. „Es war faszinierend.“
„Sorge um die Seele“: Wie können sich die Soldaten erholen?
Der Verein „Angriff auf die Seele“ mit Sitz in Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, Angehörige der Bundeswehr und deren Familien nach belastenden Einsätzen zu unterstützen. Zusätzlich fördert der Verein die Forschung zur Behandlung von psychischen Störungen bei Bundeswehrsoldaten. Der Wehrbeauftragte a.D., Reinhold Robbe, ist seit 2008 ein Förderer der Aktion. „Als Wehrbeauftragter unterstütze ich die großartige Arbeit der Internet-Initiative mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Denn die ‚Sorge um die Seele‘ geht uns alle an“, wird er auf der Website zitiert.
Den Soldaten, die sich Hilfe suchen, wird garantiert, dass keine Weitergabe der Informationen an Vorgesetzte oder die Personalführung erfolge. Alexander T. hat sich keine Unterstützung gesucht, weder bei der Bundeswehr noch bei einem Psychologen. Er habe das Erlebte durch Gespräche mit Kameraden und Familie verarbeitet und sich ohne professionelle Hilfe von seiner PTBS erholt. Andere Kameraden litten heute noch darunter. „Jeder Veteran kann bestätigen: Den unbeschreiblichen Geruch nach dem Ausstieg aus dem Flieger bekommt man nie wieder aus der Nase“, sagt er.
Auch familiäre Probleme seien nach der Rückkehr aus einem Kriegsgebiet keine Seltenheit. „Ich habe Familienväter erlebt, die beinahe ausgerastet sind, weil ihre Kinder Wünsche zu Weihnachten geäußert haben, die Soldaten aber mit angesehen hatten, wie Kinder aus einer Pfütze Wasser getrunken haben. Sie konnten diese Situationen nicht mehr voneinander trennen.“
Der Münchner Bundeswehrsoldat Bastian G. hat sich hingegen für eine Therapie entschieden. Sie schlage seiner Aussage nach gut an. Der 35-Jährige ist seit 2010 Soldat. Seitdem war er einmal im Kosovo, dreimal in Afghanistan, zuletzt vor sechs Jahren. „Letztens war ich zum ersten Mal seit meinem letzten Afghanistan-Einsatz im Jahr 2016 in einem Club, ohne dass mich ein Freund aufgrund einer Panikattacke wieder herausziehen musste.“ Dies sei nur aufgrund seiner im letzten Jahr begonnenen Therapie möglich. Auf Twitter resümiert ein Nutzer: „Stark ist der, der sich Hilfe sucht.“
Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.



