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Aufschrei nach Haushaltskürzungen in Berlin: „Ich bin Lehrerin, Mama, wütend, verzweifelt und fassungslos“

Die Sparpläne für den Berliner Haushalt sind ein Schlag ins Gesicht für Kinder und all diejenigen, die sich um deren Bildung und Wohl sorgen, so unsere Autorin.

Ein Schüler geht mit Schulranzen über den Schulhof einer Grundschule in Prenzlauer Berg.
Ein Schüler geht mit Schulranzen über den Schulhof einer Grundschule in Prenzlauer Berg.Anette Riedl/dpa

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Dies ist an alle Berliner Politiker*innen gerichtet, die in den Haushaltsverhandlungen wenig bis gar nicht dafür kämpfen, dass an Kindern und Jugendlichen nicht gespart werden darf. Laut rbb24 hat die schwarz-rote Regierungskoalition den Nachtragshaushalt einstimmig angenommen. Daher habe ich meinen Protest – teils leicht abgeändert – an Katharina Günther-Wünsch (CDU, Bildungssenatorin, SenBJF), Kai Wegner (CDU, Bürgermeister von Berlin), Sandra Khalatbari (CDU, Sprecherin für Bildung, innere Schulangelegenheiten), Lilia Usik (CDU, Sprecherin für Jugend), Roman Simon (CDU, Sprecher für Kinder und Familie), Alexander Freier-Winterwerb (SPD, Sprecher für Kinder, Jugend, Familie), Marcel Hopp (Sprecher für Bildung), Dr. Maja Lasić (Sprecherin für Bildung), also an die Menschen gesandt, die dafür gewählt worden sind, diese wichtigen Belange zu vertreten. Vielleicht motiviert es auch Sie als Leser*in, Ihren Protest lautstark auszudrücken. Hier also mein Schreiben.

Sehr geehrte/r ...,

wie oft versetzen Sie sich in die Lage all meiner Kolleg*innen, die tagtäglich an Schulen fahren, in denen Gewalt, Armut, Verzweiflung, Sprachlosigkeit und Überforderung auf sie warten? Die trotz der zehrenden, demotivierenden und gesundheitsgefährdenden Bedingungen Zuwendung, Respekt, Achtsamkeit, Motivation, Anregungen und Glauben an die Kinder und Jugendlichen aufbringen?

Wie viele Lobbyist*innen dieser Klientel (Schüler*innen und Personal) aus sogenannten Brennpunktschulen wurden in den Haushaltsverhandlungen angehört, um eine so fahrlässige Entscheidung, wie die Streichung der Brennpunktzulage, zu beschließen?

Eine Lehrerin schreibt eine Mathematikaufgabe auf eine digitale Schultafel im Klassenraum einer 4. Klasse einer Grundschule.
Eine Lehrerin schreibt eine Mathematikaufgabe auf eine digitale Schultafel im Klassenraum einer 4. Klasse einer Grundschule.Julian Stratenschulte/dpa

Wohl nur ein (Lippen-)Bekenntnis

Wie viele der Entscheidungsträger*innen in diesen Kürzungsprozessen haben regelmäßig und auf substanzieller Ebene Kontakt mit zu „Brennpunkten“ gemachten Gegenden und den Menschen, die da leben und arbeiten? Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wirbt mit Instagram-Post und Poster für „Bildung bleibt Priorität – trotz Einsparungen!“

Auf der Website einer Bildungssprecherin lese ich: „Mir ist es wichtig, dass unsere Kinder eine bessere Bildung erhalten, denn sie ist und bleibt der maßgebliche Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, sozialen Aufstieg und die persönliche Entwicklung.“

Wie passen die aktuellen Sparpläne für den Bereich Bildung (das klingt so nett abstrakt, betrifft ja aber Menschen, Kinder, Jugendliche) im Berliner Haushalt zu diesem (Lippen-)Bekenntnis? Die Kürzungen sowie deren Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt haben alle Abgeordneten, maßgeblich allerdings die jeweiligen Sprecher*innen zu verantworten. Können Sie mir bitte erklären, wie und wo Bildung in Berlin gerade priorisiert wird? Wie Kinder unter diesen Bedingungen eine „bessere Bildung“ erhalten sollen? Das ist der blanke Hohn.

Ich habe Angst davor, dass Rechtsradikale die Demokratie zerstören. Beziehungsweise, es passiert schon: Der Rückzug des gegen die AfD engagierten CDU-Politikers Marco Wanderwitz ist ein prominentes und erschreckendes Beispiel. Ich sorge mich darum, dass sich Kinder und Jugendliche zunehmend um ihre Zukunft und die Welt sorgen. Ich verzweifle daran, dass ich und all meine engagierten Kolleg*innen einfach nicht ausreichend Ressourcen habe, um all diese Kinder und Jugendlichen aufzufangen, ihnen genügend Zeit und Aufmerksamkeit entgegenbringen zu können, um über die Polykrise, in der sie aufwachsen, zu sprechen und sie zu stärken. Das Deutsche Schulbarometer 2024 liefert die neuesten Zahlen dazu, wie sorgenvoll und belastet so viele Kinder und Jugendliche momentan leben.

Schwimmkurs für Kinder in Gropiusstadt
Schwimmkurs für Kinder in GropiusstadtFabian Sommer/dpa

Zuwanderung nicht als Problem, sondern als Bereicherung

Migration wird zu oft als Hauptproblem unserer Gegenwart dargestellt. Das ist so falsch und fatal. An unseren Schulen und in unseren Nachbarschaften erleben wir Zuwanderung als Bereicherung. Die Arbeit mit geflüchteten Kindern ist kein Luxus oder Zusatz, den wir einfach abstellen können. Sie ist essenziell, um dem Hass und der Ausgrenzung entgegenzuwirken und allen Jugendlichen ein solidarisches Miteinander und Verständnis für diese Welt vorzuleben. Sie ist außerdem überhaupt nicht zu verhandeln, weil Zuwanderung und Zuflucht Realitäten sind in der Welt, in der wir, aber auch Sie leben.

Warum benennen Sie das nicht prominent? Immer und immer wieder? Warum investieren Sie nicht in Stärkung, Solidarität, Miteinander und soziales Wachstum? Und wo, wenn nicht in Kitas, Schulen und Kultureinrichtungen wird dieses Wachstum gefördert? Warum ist die dezidierte Anstrengung, ein soziales, vielfältiges Miteinander an Schulen zu fördern – und ja, mit Geld! – kein Unique Selling Point in der Politik?

Warum versuchen Sie nicht alles, um die wunderbare, kreative Arbeit an Schulen so attraktiv wie möglich zu machen? Denn wir brauchen viel mehr sehr hoch qualifizierte und motivierte Menschen! Welche Signale aber senden Sie in dieser krisenbehafteten Lage? Ist es denn wirklich unerreichbar, dass im Sektor Bildung, Jugend und Familie nicht gespart wird? Dass Sie und alle Politiker*innen endlich verstehen, dass Kinder und Jugendliche – egal welcher Herkunft – unsere und Ihre Zukunft sind? Dass Sie in diese Zukunft mehr investieren müssen und auf keinen Fall daran sparen dürfen?

Ist es utopisch, darüber nicht zu verhandeln, dass Menschen, die in „Brennpunkte“ gehen und mit vollem Einsatz den von Politik und Wirtschaft angerichteten Scherbenhaufen (verfehlte Wohnraum- und Familienpolitik, Hetze gegen und Stigmatisierung von Armen und Zugewanderten, Rassismus) kleinhalten und wegfegen, monatlich 300 Euro mehr bekommen? Ist es vertretbar (und nachhaltig smart), angestellten Lehrkräften, die mit gesellschaftlicher Verantwortung noch in die Sozialkassen einzahlen, den Nachteilsausgleich zu streichen?

Ist es wirklich undenkbar, dass Jugend- und Jugendsozialarbeit nicht weniger, sondern im Gegenteil mehr finanziert wird? Dass um DaZ-Lehrkräfte (Anm. d. Red. Deutsch als Zweitsprache) geworben wird, weil sie so unverzichtbar für Kitas und Schulen sind? Wo wollen Sie in all diesen Sparmaßnahmen noch eine Priorisierung im Bereich Bildung erkennen? Wie soll auf diesem Wege „gesellschaftliche Teilhabe, sozialer Aufstieg und die persönliche Entwicklung“ ermöglicht werden?

Katharina Günther-Wünsch (M.), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, unterhält sich am Sandkasten sitzend bei einem Besuch der Kita Staakenbär im Rahmen ihrer Kitatour im Berliner Ortsteil Staaken.
Katharina Günther-Wünsch (M.), Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, unterhält sich am Sandkasten sitzend bei einem Besuch der Kita Staakenbär im Rahmen ihrer Kitatour im Berliner Ortsteil Staaken.Christoph Söder/dpa

Vernachlässigung auch auf Bundesebene

Ich möchte meiner Wut und meiner Verzweiflung darüber Ausdruck verleihen, dass ich nicht genügend Anstrengung von Ihnen als Verantwortliche/r sehen kann, Bildung in all den oben genannten Facetten wirklich zu priorisieren, zum großen Thema zu machen, das alle angeht, und von dem alle nur gewinnen können. Ich bin fassungslos, fühle mich – wie so viele andere – allein gelassen, nicht wertgeschätzt, nicht gesehen und verlange, dass Sie, wenn Sie sich schon nicht für Bildung und Teilhabe in Berlin einsetzen, wenigstens ehrlich sind und diese toll klingenden Zitate von Ihren Websites löschen.

Sicher macht es Ihren Job nicht leichter, dass Bildung auch auf Bundesebene nicht ansatzweise die Priorität und den Schutz und die Investitionen genießt, die sie verdient, um die Demokratie und die Zukunft dieses Landes (ist gleich gesunde, gebildete, wertgeschätzte und resiliente Kinder und junge Menschen) zu schützen und voranzubringen. Es macht diese absurden Beschlüsse zur Haushaltsführung, die weiterhin mehr zur Schwächung der Demokratie und überhaupt nichts zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen beitragen, aber nicht weniger schlimm.

Enttäuschte Grüße, Therese Remus.

Thérèse Remus hat in Dresden und Berlin Anglistik und Germanistik auf Lehramt studiert, eine neunmonatige Fremdsprachenassistenz in London gemacht und über eine Kooperation der HU Berlin ein Trimester in New York studiert. Sie arbeitet seit 2015 an einer ISS in Berlin. Seit Beginn ihres Studiums beschäftigt sie sich mit der Frage, warum Schulen es (nicht) schaffen, Chancengerechtigkeit herzustellen, Unterschiede auszugleichen und allen Schülern Teilhabe zu ermöglichen.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.