Der Mensch ist ein seltsames Wesen. Er weiß theoretisch sehr viel, agiert aber in der Praxis oft dumm. Oder, um es besser auf den Punkt zu bringen: Die Astronomie kann inzwischen Galaxien erfassen, deren Licht mehr als 13 Milliarden Jahre bis zu uns brauchte. So weit blicken wir also mit modernsten Teleskopen in der Geschichte des Universums zurück! Wir kommen bis nahe an den Urknall.
Zugleich haben wir es in unserer eigenen Geschichte auf der Erde in kürzester Zeit geschafft, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, sodass unser Überleben in Gefahr ist. Wie soll man mit diesem Missverhältnis umgehen – dem zwischen großartigem Geist und unvernünftigem Handeln?
Man hat dem US-Präsidenten Joe Biden vorgeworfen, sich als Triumphator und Förderer der Wissenschaft zu inszenieren, weil er es sich nicht nehmen ließ, noch vor der Nasa die erste Aufnahme des neuen James-Webb-Weltraumteleskops zu präsentieren. Doch was kann ein heutiger Spitzenpolitiker Besseres tun, als die Begeisterung an der astronomischen Wissenschaft zu fördern? Aus eigener Erfahrung weiß ich: Horizonterweiterung kann das Denken verändern! Und zwar grundlegend.
Endlich verinnerlichen, wo wir als Menschen wirklich stehen
Damit meine ich nicht das, was Elon Musk, Jeff Bezos und andere Milliardäre verkünden – den Traum vom Aufbruch in ferne Welten, von der Besiedelung anderer Planeten. Selbst wenn es gelingen sollte, kleinere Stationen auf Mond und Mars zu errichten, wird nur eine Handvoll Menschen sie bewohnen können. Es wird nicht einmal im Ansatz gelingen, die Menschheit durch Umsiedelung auf irgendeinen anderen Planeten zu „retten“. Ein paar Milliardäre vielleicht. Aber die fliegen ja jetzt schon zum Spaß ins Weltall.
Nein, solcherart Denken ist nur Teil des Aktionismus und der „Schnelle, weiter, höher“-Ideologie, die uns ohnehin beherrschen. Wir müssen aber endlich demütiger werden und verinnerlichen, wo wir als Menschen wirklich stehen. Und dazu tragen zum Beispiel Weltraumteleskope bei – von Hubble bis zum nagelneuen Webb-Teleskop.
Dank ihrer wissen wir zum Beispiel, dass die Milchstraße, die wir beim Blick in den Himmel romantisch-verklärt als „das Weltall“ bezeichnen, nur eine einzige Galaxie ist von wahrscheinlich mehr als einer Billion (!) Galaxien im Universum. Und auf jeder dieser Galaxien existieren Milliarden von Sternen wie unsere Sonne – und unzählige Welten, die wir uns gar nicht vorstellen können.
Im Weltall liegt nichts wirklich „vor unserer Haustür“
Wir wissen aber auch: Außerhalb der Erde gibt es nichts, was uns als Menschheit wirklich helfen kann. Alle, die solche Illusionen schüren, haben sich mit den wahren Dimensionen astronomischer Erkenntnisse noch nicht ernsthaft befasst.
Wer zum Beispiel leichtfertig von „Reisen zu anderen Sternen“ redet, hat noch nicht darüber nachgedacht, dass wir mit unseren heutigen Mitteln nicht einmal den allernächsten Nachbarstern Proxima Centauri samt Planeten erreichen würden. Für die 4,2 Lichtjahre bräuchten wir mit herkömmlichen Raumsonden etwa 75.000 Jahre. Selbst mit dem allerschnellsten nuklearen Antrieb – den es bisher allerdings nur in der Theorie gibt – wären es wohl immer noch Hunderte von Jahren. Im All liegt nichts wirklich „vor unserer Haustür“, wie man manchmal hört.
Wir sind außerdem von Körper, Psyche und der ganzen Evolution her Kinder der Erde. Das zeigen nicht nur medizinische Erkenntnisse aus der jüngeren Langzeit-Raumfahrt. Wir sind auf die Erde angewiesen. Angesichts dieser Tatsache macht es einen noch fassungsloser, dass wir auf unserer winzigen irdischen Nussschale vernichtende Kriege führen, Ressourcen exzessiv ausbeuten, Millionen Tonnen von Dreck und Treibhausgasen in die Gegend blasen und uns unzählige Streitereien leisten. Nein, wir müssen unser ganzes Tun auf die Rettung der Erde konzentrieren.
Wir lassen uns von unzähligen Interessen, Reizen und Impulsen lenken
Es ist eine große Leistung, dass wir unseren einzigartigen Platz im Universum mit selbst gebauten Teleskopen erkennen können. Erstaunlich ist allerdings, dass wir es nicht schaffen, die einfachsten Schlüsse daraus zu ziehen und konsequent danach zu handeln. Es zeigt, dass wir im Grunde keine wirklich „vernunftbegabten Wesen“ sind, sondern uns von unzähligen egoistischen Interessen, Reizen und Impulsen lenken lassen. Und dass wir intensiv verdrängen, wenn es wirklich ernst wird. Wir sind schwach und schnell überfordert.




