Kolumne

Ungeduscht und nah der Heimat

Duschen als nationalen Kraftakt: Robert Habecks Warmwasserverzicht ist die Leitkultur eines jeden Patrioten.

the man squeezes his eyes and smiles in the soapy foam on his head and his hands are lifted, on a green background
the man squeezes his eyes and smiles in the soapy foam on his head and his hands are lifted, on a green backgroundimago/axeiz

Mit einer Oberfläche von zwei Quadratmetern ist mein Körper fast so groß wie das Saarland. Dennoch brauche ich nur dreißig Sekunden, um mich nass zu machen. Dann stelle ich das Wasser ab und verreibe mit dem Markenprodukt „Fresh Boost“ einen Hauch von Ananas-Pampelmuse auf meiner Echsenhaut. In weniger als einer Minute spüle ich mir den Schaum vom Leibe.

Wen das etwas angeht? Alle. Wir reden über einen nationalen Kraftakt. Robert Habeck gab soeben bekannt, dass er noch nie fünf Minuten lang geduscht und seine Duschzeit jetzt „noch mal deutlich verkürzt“ habe. Vor vierzig Jahren wäre ein Grüner dafür noch verhöhnt worden. Vertreter dieser Partei galten damals nicht nur als vaterlandslose Gesellen, sondern standen überdies im Ruch eines unklaren Verhältnisses zur Morgentoilette, ungekämmt und fern der Heimat.

Auch ich hatte unter der Dusche schon Gefühle

Heute geraten Damen von Welt bei der Vorstellung eines hüllenlosen, sich nur sparsam benetzenden Habeck ins Träumen. Statt eines Affronts gegen gutbürgerliche Sitten ist sein Warmwasserverzicht die Leitkultur eines jeden Patrioten. Der Wirtschaftsminister stemmt sich dagegen, dass Deutschland in eine Gaskrise stürzt. Die Bürger mögen seinem Beispiel folgen, „weil sie Bock haben, in diesem Land zu leben, weil sie Stolz und Freude dabei empfinden, für andere etwas zu tun“. Ja, auch ich hatte unter der Dusche schon Gefühle. Solche noch nie.

Ich dusche kurz, weil länger kostet. Aus demselben schnöden Grund hintertreibe ich die Nutzung unseres Autos für Wege, die sich auch mit dem Fahrrad erledigen lassen. Darunter leidet das Sozialprestige. Angehörige halten mich für einen Knauser. Habecks Pathos könnte mein Image polieren, zumindest bei meinem Sohn: Der verlustiert sich gern an zwei Computermonitoren, während in seinem Rücken der Fernseher läuft. Wenn ich ihn darauf aufmerksam mache, dass Multitasking einen Preis hat, bietet der Kronprinz mir ohne aufzublicken an, den Bildschirmstrom dann eben selbst zu bezahlen. Das fände sogar ich kleinlich. Demnächst werde ich den jungen Herrn mit Habecks Worten in den Dienst einer edleren Sache stellen: „Putin will, dass sich unser Land zerlegt. Aber wir zerlegen uns nicht.“ Junge, du wirst Rotz und Wasser heulen vor Kilowattstundenscham.

Habeck kann komplexe Vorgänge leselöwenlogisch erklären

Große Krisen erfordern große Reden. Habeck ist Kinderbuchautor. Er kann komplexe Vorgänge leselöwenlogisch erklären. Sein Emotionsstrom reißt sogar Erwachsene mit. Ich fand beindruckend, wie er sich gerade vor Wirtschaftsbossen über Putins „ökonomischen Angriff auf uns“ empörte, mit „Energie als Waffe“. Gewiss ist es schockierend, dass der Russe nach sechs versöhnlichen Sanktionspaketen, einem Ölboykott und der kulanten Offerte, ihn zu ruinieren, nun seinerseits am Wirtschaftskrieg teilnimmt. Allerdings vermag ich mich darüber nicht so überzeugend zu echauffieren. Vielleicht fehlt mir Naivität oder staatsschauspielerisches Talent.

Viele unken, die kommende Nichtheizperiode würde schlimm. Meine Antwort an elende Defätisten besteht aus Bock, Stolz und Freude: Das Vaterland ist stark. Es kann sich energiewirtschaftlich noch beliebig oft ins Knie schießen, und zwar präzise und graziös, so stark ist es. Robert Habeck wird diesen Prozess kommunikativ begleiten. Optimistisch stimmt zudem, dass bestimmt bald jeder wieder die Atemschutzmaske tragen muss. Dann braucht niemand mehr zu duschen.