Was sind das wieder für Schnappatmungseffekte! Als gestern die Nachricht um die Welt ging, dass der Tesla-Chef, SpaceX-CEO und Boring-Company-Gründer Elon Musk Twitter übernehmen werde, nachdem das Unternehmen ein von ihm unterbreitetes Angebot angenommen habe, war das Entsetzen auf deutschen Onlineportalen wieder groß. „Manche befürchten nun, dass Twitter in die Zeit der Prämoderationsära zurückkatapultiert wird,“ hieß es bei Zeit Online. Das sei ein gefährlicher Weg. Die FAZ titelte: „Uneigennütziger Akt oder Egotrip?“
Twitter-Sprecher bestätigten am Montag, das von Musk formulierte Angebot von 54,20 US-Dollar pro Aktie annehmen zu wollen. Musk könnte also das Unternehmen für einen Kaufpreis von insgesamt 44 Milliarden US-Dollar übernehmen. Twitters Aktionäre und US-Behörden müssen dem Deal noch zustimmen. Bis zum Ende des Jahres könnte das Geschäft dann abgeschlossen sein.
Die Skepsis ist groß, dass Elon Musk die Sperrung von Accounts und inhaltliche Einordnung bei Twitter wieder abschaffen und damit Tür und Tor öffnen werde für Fake-News-Verbreiter wie Donald Trump. Musk, der Twitter selbst für Provokationen nutzt, wird nicht zugetraut, dass er es wirklich ernst meint mit seiner Mission, Twitter wieder zu einer Plattform der freien Rede zu machen. Dabei sind seine Ansprüche gar nicht so schlecht: „Die freie Meinungsäußerung ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem wichtige Themen für die Zukunft der Menschheit diskutiert werden“, sagte Musk. Klingt erst einmal nach einer sinnvollen Überlegung. Woher kommt also diese panische Angst vor Musks Revolutionsgeist?
Social Media hat ein Problem mit der Meinungsfreiheit
Vielleicht wegen Musks politischer Haltung. Wie ist Elon Musk aber politisch einzuschätzen? Wegen seiner liberalen, ja fast schon libertären Sicht und seiner provokativen Art sagen ihm einige Beobachter nach, konservative Tendenzen aufzuweisen. Doch die Lust an der Provokation sollte nicht mit Trumpismus gleichgesetzt werden.
Ja, Musk regt sich über woke Gegenkultur auf, er provoziert mit übertriebenen Statements. Doch zugleich macht er immer wieder deutlich, dass er die Extreme bekämpfen wolle. Vor wenigen Wochen sagte er noch, wie auch Zeit Online zitiert: „Die Richtlinien einer Social-Media-Plattform sind gut, wenn die zehn Prozent der extrem Linken und Rechten gleichermaßen unzufrieden sind.“ Das ist ein Satz, der Hoffnung macht, Hoffnung, dass Elon Musk mit seinem Kurs die Plattform positiv verändern könnte. Zu seinem Programm gehört auch, Fake-Bots zu bekämpfen. Eines der größten Probleme bei Twitter.
Die Tendenz, unliebsame Gestalten aus dem Diskurs auszuschließen, ist wiederum nicht unumstritten. Immerhin verschwinden kontroverse Personen wie Donald Trump nicht einfach von der Bildfläche, wenn sie bei Twitter gesperrt werden. Sie suchen sich einfach andere Kanäle.
Während der Pandemie konnte man diese Tendenz sehr gut beobachten. Anstatt mit seriöser Information konfrontiert zu werden, wurden Covid-19-Leugner harsch attackiert und wanderten in Nischen ab, informierten sich also unkontrolliert auf anderen Plattformen wie Telegram. Die Algorithmen bei Twitter und Facebook ordneten auch jene Argumente gegen die Pandemiebekämpfung beizeiten als Fake News ein, die sich lediglich kritisch mit den Corona-Maßnahmen der westlichen Regierungen auseinandersetzten. Es würde also niemand bestreiten: Social Media hat ein Problem mit der Meinungsfreiheit.
Was hat das Trump-Verbot also verhindert?
Bei Parteiverboten wird immer wieder ins Feld geführt, dass ein Verbot einer extremistischen Partei deren Kontrollierbarkeit gefährde. Mit Blick auf kontroverse Meinungsäußerungen sollte man eine ähnliche Sensibilität für Dialektik an den Tag legen. So fällt man nicht dem Gedanken anheim, dass ein Verbot gleichzusetzen wäre mit der Ausradierung und Abschaffung von kontroversen, falschen Gedanken. Sie sind nicht aus der Welt. Sie suchen sich andere, abgeriegelte, unkontrollierbare Orte.
Es ist richtig: Falsche, rassistische und sexistische Rede darf auf Twitter keinen Platz haben. Aber das radikale Vorgehen gegen Menschen des öffentlichen Lebens, die unangenehm, ja verstörend sind, gefährdet das höchste Gut, das eine Demokratie besitzt: das Recht auf Meinungsfreiheit. Trotz des Twitter-Verbots von Donald Trump besteht die reale Gefahr, dass Trump wieder Präsident der Vereinigten Staaten wird. Was hat das Trump-Verbot auf Twitter also genau verhindert?
