Prost Zellgift!

Lauterbachs tägliches Glas Wein: Was ist wirklich gesund daran?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach empfiehlt gesunden Bürgern ein Glas Wein oder Bier am Tag. Es wirke sich positiv aus. Wie ist die Studienlage dazu?

Ein Glas Rotwein am Tag soll gesund sein, denken viele.
Ein Glas Rotwein am Tag soll gesund sein, denken viele.imago/Emma Innocenti

Viele Menschen haben sich gewiss vorgenommen, im neuen Jahr etwas gesünder zu leben. Doch wie macht man das? Mit mehr Bewegung, vernünftigerer Ernährung – und vielleicht einem täglichen Glas Wein? Letzteres soll ja sogar der Bundesgesundheitsminister empfehlen, wie man jüngst lesen konnte.

„Für den Menschen, der keine Krankheiten hat, die dagegen sprechen, ist ein Glas Rotwein sogar gesund“, sagte Karl Lauterbach der Bild am Sonntag. „Es wirkt sich positiv auf den Erhalt der Gefäße aus. Ein Glas Bier tut es auch, denn die Wirkung kommt rein vom Alkohol und von den Flavonoiden.“ Leider zeige die neueste Studienlage, dass die positive Wirkung nur für ein Glas gelte, ab dem zweiten Glas überwögen schon leicht die schädlichen Wirkungen.

Dieses Zitat machte in den vergangenen Tagen die Runde. Es würde nicht wundern, wenn bei vielen Leuten hängen bleibt: Wow, der Gesundheitsminister empfiehlt ein tägliches Gläschen Wein zur Gesundheitsvorsorge! Das klingt zunächst einmal nett und harmlos, hat aber in Wirklichkeit durchaus gesellschaftliche Brisanz.

Verwirrende Botschaften in die Gesellschaft

Denn das Zitat ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Lauterbach oft aus dem Bauch heraus redet, ohne sich wirklich dessen bewusst zu sein, was er als Minister für eine Botschaft in die Gesellschaft sendet. Auf ähnliche Weise entstanden die verwirrenden Aussagen über eine drohende „Killervariante“ des Coronavirus oder darüber, dass man nur „frisch geimpft“ sei, wenn die letzte Corona-Impfung drei Monate zurückliege.

Die „neueste Studienlage“ stützt nämlich Lauterbachs Aussage vom rein positiven Effekt des täglichen Gläschens nicht. Neuere Studien haben ergeben, dass bereits ein Glas Wein pro Tag das Risiko einer Krebserkrankung in der Speiseröhre und im Kehlkopf deutlich erhöhen kann. Ebenso das Risiko für Leberschäden, Darm- und Brustkrebs. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen raten dazu, an mindestens zwei Tagen der Woche überhaupt keinen Alkohol zu trinken. Lauterbach erwähnt das aber nicht.

Alkohol ist vor allem ein zellschädigendes Gift

Forscher sagen, dass man herzschützende Flavonoide und andere Polyphenole – die von Lauterbach gelobten positiven Stoffe im Rotwein – auch anderweitig aufnehmen kann. Zum Beispiel mit Tee und Obstsäften. Ja, der Alkohol beeinträchtige sogar den positiven Effekt dieser Stoffe, stellten kalifornische Forscher bereits vor 22 Jahren fest. In der Medizin überwiegt heute die Haltung, dass Alkohol vor allem ein zellschädigendes Gift ist. „Auch in Maßen ist Alkohol nicht gesund“, heißt die Kernaussage.

Um es gleich zu sagen: Auch ich trinke sehr gerne Bier und Rotwein. Ich kann Karl Lauterbach durchaus verstehen. Der gehört womöglich auch zur Gruppe der „kontrollierten Wohlstandstrinker“, wie sie die Forschung nennt. Ihnen schmeckt der regelmäßige Rotwein. Viele von ihnen sind auch gebildet genug, um Maß zu halten.

Doch als jemand, der Verantwortung trägt, darf man nicht immer von sich selbst ausgehen. Denn viel zu oft entsteht aus dem einen regelmäßigen Gläschen – zum Abbau von Spannungen, Stress und Ängsten – auch eine Alkoholsucht. Gerade jüngere Menschen sind anfällig dafür. Das hat etwas mit der Wirkung des Alkohols auf das Gehirn zu tun.

Alkohol ist eine allgemein akzeptierte Droge

Lauterbach ignoriert in diesem Zusammenhang leider auch eine der neuesten Studien, erschienen im Fachjournal Lancet. Hier kommen Forscher zu dem Schluss, dass Alkoholkonsum für junge Erwachsene im Alter von 15 bis 39 Jahren nur Gesundheitsrisiken mit sich bringe und überhaupt keine gesundheitlichen Vorteile. Junge Männer seien besonders gefährdet, zu übertreiben oder in eine Sucht abzurutschen. Die Forscher der WHO und der Harvard University kommen sogar zu dem Schluss: Im Alter unter 40 Jahren sollte man die Finger vom Alkohol lassen oder nur verschwindend kleine Mengen trinken.

Natürlich wäre es weltfremd zu glauben, dass feierlaunige junge Leute künftig auf Alkohol verzichten. Die älteren Leute tun das ja auch nicht. Alkohol hat als gefeierte Droge ihren festen Platz in der Gesellschaft. Keine Party ohne Alkohol! Oder, wie es für viele heißt: kein Feierabend ohne Bier oder Wein. So ist nun mal die Realität, und die kann niemand ändern, wie verschiedene historische Versuche zeigen, Alkohol zu verbieten.

Aber: Das Bewusstsein dafür, dass dieses Ethanol eigentlich ein Zellgift ist und eine Droge, sollte zumindest geschärft werden – und nicht verschleiert. In der richtigen Welt müsste der Gesundheitsminister also seinen Job machen und über die wirkliche Studienlage reden – nicht nur über die gefühlte.