Nahost

Ermittler über Massengräber in Syrien: „So etwas haben wir seit den Nazis nicht mehr gesehen“

Nach dem Sturz von Baschar al-Assad tauchen Berichte über Massengräber in Syrien auf. Sie könnten Antworten auf die während des Bürgerkriegs verschwundenen Menschen liefern.

Menschliche Überreste aus einem in der Nähe von Damaskus freigelegtem Massengrab.
Menschliche Überreste aus einem in der Nähe von Damaskus freigelegtem Massengrab.Aris Messinis/AFP

Zum ersten Mal seit dem Sturz von Baschar al-Assad haben internationale Ermittler Orte in Syrien aufgesucht, an denen sich mutmaßliche Massengräber befinden. In nur einem von ihnen, in Nadschha, südöstlich der Hauptstadt Damaskus, könnten nach Schätzungen des ehemaligen US-Sonderbotschafters für Kriegsverbrechen, Stephen Rapp, Zehntausende von Leichen verscharrt worden sein.

Rapp sprach von einer „Maschinerie des Todes“ während Assads Herrschaft. Er habe keinen Zweifel daran, dass die Zahlen extrem hoch sein werden, fügte er hinzu. „So etwas haben wir seit den Nazis nicht mehr gesehen“, so Rapp gegenüber Reuters. Der Rechtsanwalt arbeitet mit zwei Organisationen zusammen, die dabei helfen sollen, Massengräber zu dokumentieren und Assad-Beamte zu identifizieren, die in Kriegsverbrechen verwickelt sind. Seit Jahren sammeln sie aus der Ferne Zeugenaussagen und Satellitenbilder, um die Größe von Massengräbern in Syrien zu ermitteln und zu schätzen.

Der frühere US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen, Stephen Rapp
Der frühere US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen, Stephen RappHussein Malla/AP

Zudem meldete Human Rights Watch die Entdeckung eines Massengrabs im Damaszener Stadtteil Tadamon. Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation teilte mit, ihre Ermittler hätten den Ort besucht und „zahlreiche menschliche Überreste sowohl am Ort eines Massakers vom April 2013 als auch in der umliegenden Nachbarschaft verstreut“ gefunden. Sie forderte die syrischen Übergangsbehörden auf, den Ort „dringend zu sichern“ und „im ganzen Land Beweismaterial für schwere internationale Verbrechen von Mitgliedern der früheren Regierung aufzubewahren“.

Nach Angaben der Internationalen Kommission für vermisste Personen (ICMP) mit Sitz in Den Haag werden bis zu 150.000 Menschen in Syrien vermisst, von denen die meisten während der Herrschaft von Baschar al-Assad verschwanden. Sowohl er als auch sein Vater Hafez, der ihm als Präsident vorausging und im Jahr 2000 starb, werden seit langem von Menschenrechtsgruppen und Regierungen beschuldigt, in großem Umfang außergerichtliche Tötungen vorgenommen zu haben.

Nach Angaben der Ermittler können die Massengräber noch nicht geöffnet werden, um die Opfer zu identifizieren. Priorität hat die Bestandsaufnahme der nicht identifizierten Überreste in Leichenhallen. Demnächst plant Rapp ein Treffen mit den Übergangsbehörden, die nach dem Sturz von Baschar al-Assad vor zehn Tagen eingerichtet wurden, um ein Verfahren zur Sicherung und eventuellen Ausgrabung festzulegen.