Gazakrieg

IPC bestätigt Hungersnot in Gaza – erstes Mal im Nahen Osten

Mehr als 130.000 Kleinkinder im Gazastreifen sind laut IPC akut gefährdet. Die WHO spricht von einem historischen ersten Fall im Nahen Osten.

Palästinenser kämpfen um gespendete Lebensmittel in einer Gemeinschaftsküche im nördlichen Gazastreifen.
Palästinenser kämpfen um gespendete Lebensmittel in einer Gemeinschaftsküche im nördlichen Gazastreifen.Jehad Alshrafi/AP/dpa

In einem nördlichen Bereich des Gazastreifens herrscht nach Einschätzung internationaler Experten offiziell eine Hungersnot. Die Integrated Food Security Phase Classification (IPC), die weltweit anerkannte Institution für die Bewertung von Hungerkrisen, erklärte am Freitag, dass die dafür notwendigen Kriterien im Regierungsbezirk Gaza erfüllt seien. Dieser liegt in der Stadt Gaza, in der vor Kriegsbeginn rund 700.000 Menschen lebten.

Besonders dramatisch sei die Lage für Kinder: Das Leben von 132.000 Kindern unter fünf Jahren sei akut gefährdet, teilte die IPC mit. 41.000 von ihnen gelten als besonders bedrohliche Fälle – doppelt so viele wie noch bei der letzten Einschätzung im Mai. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es das erste Mal, dass in einem Land des Nahen Ostens eine Hungersnot offiziell festgestellt wurde.

Welche Bedingungen müssen für eine Hungersnot erfüllt sein?

Eine Hungersnot wird nur erklärt, wenn alle drei Bedingungen erfüllt sind: Mindestens 20 Prozent der Haushalte leiden unter extremem Lebensmittelmangel, mindestens 30 Prozent der Kinder sind akut mangelernährt, und täglich sterben mindestens zwei Erwachsene oder vier Kinder pro 10.000 Menschen an Hunger oder an den Folgen von Unterernährung. Laut IPC sind diese Bedingungen im nördlichen Gazastreifen nun erfüllt.

„Ein sofortiger Waffenstillstand und die Beendigung des Konflikts sind von entscheidender Bedeutung, um eine ungehinderte, großangelegte humanitäre Hilfe zur Rettung von Menschenleben zu ermöglichen“, erklärte die Initiative. Hilfsorganisationen warnen seit Monaten vor einer Zuspitzung der Lage. Nach fast zwei Jahren Krieg seien Nahrungsmittelproduktion und Versorgungssysteme in Gaza praktisch zusammengebrochen.

Israel weist Vorwürfe zurück

Das israelische Außenministerium widersprach den Einschätzungen. „Es gibt keine Hungersnot in Gaza“, hieß es in einer Stellungnahme. Auch die israelische Militärbehörde COGAT, die für den Transfer von Hilfsgütern in das Gebiet zuständig ist, bezeichnete Berichte über Hunger zuletzt als „falsch und voreingenommen“. Israel verweist darauf, die Zahl der Hilfstransporte zuletzt ausgeweitet zu haben. Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen sprechen dagegen von massiven Hürden bei der Einfuhr und Verteilung.

Vier Hungersnöte in 15 Jahren

Die IPC-Initiative wurde 2004 gegründet. Ihr gehören rund zwei Dutzend UN-Organisationen sowie internationale Hilfswerke an. Auf ihrer Skala ist die Hungersnot die höchste und schlimmste Stufe („Katastrophe“). Für den gesamten Gazastreifen galt bislang die zweithöchste Stufe vier („Emergency/Notfall“).

In den vergangenen 15 Jahren hat die IPC weltweit nur vier Mal Hungersnöte festgestellt: 2011 in Somalia, 2017 und 2020 im Südsudan sowie 2024 im Sudan.