Umstrittene Gesetzesänderung

Israel: Netanjahu kündigt „Pause“ bei Justizreform an

Der Streit um Benjamin Netanjahus umstrittene Reform spitzt sich weiter zu. Nun wurde das Vorhaben verschoben. 

Nachdem erneut Zehntausende Menschen gegen die Reform protestiert haben, will Netanjahu am Montag eine Rede an die Nation halten.
Nachdem erneut Zehntausende Menschen gegen die Reform protestiert haben, will Netanjahu am Montag eine Rede an die Nation halten.Reuters Pool/AP

Nach wochenlangen Massenprotesten hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu eine „Pause“ bei der von seiner rechtsreligiösen Regierung vorangetriebenen umstrittenen Justizreform angekündigt. Die endgültige Verabschiedung der einzelnen Gesetzesprojekte der Justizreform solle erst nach Beginn der neuen Parlamentsperiode Mitte April stattfinden, sagte Netanjahu am Montagabend in einer Fernsehansprache. Zuvor hatten Kritiker und Präsident Isaac Herzog eine Unterbrechung des Gesetzgebungsverfahrens gefordert.

Kurz zuvor hatte bereits Polizeiminister Itamar Ben-Gvir eine Verschiebung der Reform ins Spiel gebracht. Er habe sich mit Netanjahu auf eine Verschiebung bis nach der Pause des Parlaments Ende Juli verständigt, teilte ein Sprecher am Montag mit. Im Gegenzug werde eine „Nationalgarde“ unter der Führung des rechtsextremen Ministers eingerichtet. Was dies konkret bedeutet, war zunächst unklar.

Der israelische Justizminister Jariv Levin erklärte, dass es keine andere Wahl gegeben habe, als die Reform zu verschieben. Gegen die Justizreform protestierten seit Monaten Zehntausende Menschen. 

Vor Netanjahus Rede: Reform nimmt zunächst weitere Hürde

Ungeachtet der Massenproteste im Land hatte ein Kernelement der umstrittenen Justizreform eine weitere Hürde genommen. Der Justizausschuss des Parlaments hatte am Montag den Gesetzestext gebilligt, der die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses ändern soll.

Die Sitzung wurde mehrfach von Abgeordneten der Opposition mit lauten Rufen unterbrochen. Unklar war zunächst, wann das Parlament in Jerusalem über die geplanten Regelungen abstimmen soll. 

Die israelische Regierung hatte Berichten zufolge über einen möglichen Stopp des Vorhabens beraten. Netanjahu habe von Sonntagabend bis tief in die Nacht mit mehreren Ministern seines Kabinetts dazu diskutiert, teilte die Jerusalem Post am Montag mit. An dem Krisengespräch waren demnach auch Justizminister Levin, Finanzminister Bezalel Smotrich, Bildungsminister Joav Kisch und der für strategische Fragen zuständige Minister Ron Dermer beteiligt.

Vor allem Bildungsminister Joav Kisch und der für strategische Fragen zuständige Minister Ron Dermer hätten versucht, Netanjahu zur Aussetzung der Reform zu bewegen. Justizminister Levin hingegen habe unter Androhung seines Rücktritts darauf bestanden, das Gesetzesvorhaben gegen alle Widerstände durchzuziehen.

Israelische Gewerkschaft ruft zum Generalstreik auf

Zur Unterstützung der landesweiten Massenproteste rief die größte israelische Gewerkschaft am Montag zu einem sofortigen „Generalstreik“ auf. „Ich rufe zu einem Generalstreik auf“, sagte der Chef der Gewerkschaft Histadrut, Arnon Bar-David, in einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. „Wenn diese Pressekonferenz endet, steht der Staat Israel still“, sagte der Gewerkschaftschef. Am internationalen Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv wurden alle Abflüge gestoppt.

Netanjahu entlässt Verteidigungsminister: Massenproteste in Tel Aviv

Die auch international heftig kritisierte Reform würde die Machtposition der Regierung zulasten der unabhängigen Justiz und Rechtstaatlichkeit in Israel stärken. Seit Monaten gibt es jedoch heftige Proteste gegen das Vorhaben, das Land befindet sich im Ausnahmezustand. Mit der Entlassung des Verteidigungsministers Joav Galant erreichte der Streit am Wochenende einen erneuten Höhepunkt. Der Parteikollege Netanjahus hatte die Pläne öffentlich kritisiert und die Regierung zum Dialog mit ihren Kritikern aufgerufen.

Daraufhin gingen Tausende Israelis am Montag nach Galants Entlassung auf die Straßen. In Tel Aviv versammelten sich Demonstranten mit israelischen Flaggen. Sie blockierten unter anderem eine zentrale Verbindungsstraße nach Jerusalem. Vor dem dortigen Parlament fanden sich Medienberichten zufolge ebenfalls Tausende Menschen ein, um gegen die Entlassung von Galant und die höchst umstrittene Justizreform der rechts-religiösen Regierung zu protestieren. Auch in weiteren Städten gab es Kundgebungen.

Die Organisatoren der Proteste riefen dazu auf, von Gewalt abzusehen. „Bitte vermeidet Konfrontationen und Gewalt, so wie wir es seit Beginn des Protests getan haben“, hieß es in einer Mitteilung. In der Nacht war es in Tel Aviv zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, die unter anderem Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzte.

Bereits am Sonntagabend waren Zehntausende Menschen in der Küstenmetropole Tel Aviv auf die Straße geströmt, auch um gegen die Entlassung Galants zu protestieren. Im Laufe der Nacht war es mehrfach zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, die unter anderem Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzte. Vielerorts wurden Feuer in den Straßen entzündet. Die Demonstranten fordern neben dem Stopp der Justizreform den Rücktritt des rechtsnationalen Regierungschefs.

Herzog: „Die Augen ganz Israels sind auf Sie gerichtet“

Der moderatere Staatspräsident Isaac Herzog kritisierte ebenfalls die geplante Reform seit jeher scharf. „Die Menschen sind von tiefer Angst ergriffen. Die Sicherheit, die Wirtschaft, die Gesellschaft – alles das wird bedroht“, sagte Herzog am Montag, nach einer weiteren Nacht zunehmend hitziger Proteste. An Netanjahu appellierte er: „Die Augen des ganzen israelischen Volkes sind auf Sie gerichtet. Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, dieses Gesetz sofort zu stoppen.“

Auch mehrere Minister, die bei dem Krisentreffen in der Nacht zu Montag nicht dabei gewesen sein sollen, kündigten ihre Unterstützung für einen vorläufigen Stopp des Gesetzes an, sollte sich auch Netanjahu dazu entscheiden. Das Ziel des Reformvorhabens sei zwar richtig aber „keinen Bürgerkrieg wert“, sagte Wirtschaftsminister Nir Barkat der Jerusalem Post. Kulturminister Miki Sohar erklärte: „Die Reform des Justizsystems ist notwendig und wichtig, aber wenn das Haus brennt, fragt man nicht, wer Recht hat, sondern kippt Wasser in die Flammen und rettet die Bewohner.“