Italien, das Sehnsuchtsland der Deutschen, ist das gelebte Chaos. So jedenfalls will es das Klischee. Nichts funktioniert, aber das Land am Mittelmeer hat die Pizza erfunden. Und die Pasta. Also jedenfalls die italienische Variante. Und dazu diese Sonne! Und diese Mode! Und damit hat Bella Italia wirklich genug geleistet für die Ewigkeit.
Meinen letzten Urlaub verbrachte ich in Neapel. Ich wollte schon immer mal nach Neapel. Sehen und sterben und so. Angeblich eine gefährliche Stadt, die Wiege der Camorra, der ältesten Verbrecherbande des Landes. Jeder Reiseführer rät dazu, den Rucksack nie auf der Straßenseite zu tragen, Gangster auf Rollern könnten ihn entreißen. Man solle bloß nicht mit seinem Geschmeide im öffentlichen Raum protzen.
Ich kann Sie beruhigen: Die Camorra ist im 21. Jahrhundert auch nicht mehr an unserer Urlaubsbörse und irgendwelchen Silberkettchen interessiert.
Man wird nicht überfahren
Ansonsten ist Neapel die vielleicht anstrengendste Stadt Europas, zumindest aber Italiens. Chaos! C-H-A-O-S ist das einzige Wort, das den Zustand der Metropole am Meer beschreibt. Sehr enge Gassen an sehr steilen Hängen sind hier die Regel, durch die sich alle Neapolitaner und alle Besucher der Stadt schieben und drängen.
Es ist aber nicht so, dass der Fußgänger in der Hauptstadt Kampaniens als besonders schwaches Glied in der Mobilitätskette gilt. Im Gegenteil: Fußgängerampeln und Zebrastreifen sind nur Ideen.
1. Der Verkehr: Wer die Straße überqueren will, der springt einfach in den Verkehr. Das kostet gerade uns Deutsche große Überwindung, sind wir doch auf das Ampelprinzip von Kindesbeinen an getrimmt. Die große Überraschung in Neapel: Man wird nicht überfahren. Setzt man einen Fuß auf die Straße, so halten sofort alle Autos, alle Motorroller an und lassen einen passieren. Versuchen Sie das mal in Berlin. Ein Hupkonzert, garniert mit einem bunten Strauß übelster Beschimpfungen wäre die Folge. Also, falls man nicht ohnehin über den Haufen gefahren würde.
In Neapel war das kein Problem. Es ist auch kein Problem, wenn das Auto einen Kratzer abbekommt. Man entschuldigt sich beieinander, möglichst wortreich, und damit hat es sich. In Deutschland wird in der Regel bei Fremdkontakt mit dem eigenen Gefährt die Polizei gerufen, es wird geschimpft, geflucht und beleidigt. In Italien scheint das keine Option, das Auto ist ein Gebrauchsgegenstand und kein Fetisch. Jedenfalls nicht in Neapel oder in Rom. Es ist hektisch, ganz wie in Berlin, gleichzeitig aber auch wesentlich entspannter und trotzdem funktioniert alles.
Niemand rempelt einen an. Noch besser: Die Leute schaffen es immer, aneinander vorbeizukommen und sei die Gasse noch so eng. In Berlin vergeht ja kein Tag, an dem man nicht mit irgendeinem Fußgänger kollidiert, meist wird dann auch noch gemault, ganz unabhängig von der Schuldfrage. Warum nur funktioniert das Miteinander woanders trotzdem besser als in Berlin?
Auch Neapel ist sicherlich keine Stadt, die arm an Problemen ist. Das traditionelle Kleinunternehmertum, dass das Stadtbild prägt, zählt in der Regel zur unteren Mittelschicht, auch wird wenig produziert. Die Wirtschaftskraft pro Kopf ist schwach, es gibt viel Jugendarbeitslosigkeit und natürlich die Mafia, die Camorra, ohne die, so will es jedenfalls die Legende, vieles in Neapel nicht funktionieren würde, wie beispielsweise die Müllentsorgung.

2. Die Gastronomie: Es ist kein Geheimnis, dass die italienische Küche zu den besten der Welt zählt. Wir Deutschen lieben alles, was der Stiefel auf den Teller zaubert, von Pasta bis Pizza. Dabei hat die italienische Küche viel mehr zu bieten. In Neapel wird traditionell verzehrt, was das Meer hergibt und während man in Berlin lange suchen muss, um ein gutes Restaurant zu finden, das sich auf die Zubereitung von Fisch und Meeresfrüchten spezialisiert hat, bietet in Neapel schon die kleinste Trattoria alles an, was das Meer hergibt.
Klar, auch die Italiener essen Pasta und auch dort gibt es übergewichtige Menschen. Aber es ist auffällig, dass die Neapolitaner und Neapolitanerinnen lange nicht so aus dem Leim gegangen sind wie viele Menschen, die man in der deutschen Hauptstadt auf der Straße so sieht. Womit wir schon beim nächsten Thema wären.
Kartenzahlung in jedem Späti
3. Der Service: Neulich stand ein Englisch sprechender junger Mann im Späti vor mir. Er versuchte, seinen Kaffee mit Karte zu bezahlen und blickte mich verständnislos an, als ihm der Späti-Betreiber sagte, dass dies nicht möglich sei. Der Mann wirkte hilflos und ging. Er konnte doch nicht wissen, dass er sich im digitalen Niemandsland befindet. Ich hätte ihm den Kaffee bezahlt, war aber nicht schnell genug.
In Italien ist das alles kein Problem, in jedem Café, sogar im altehrwürdigen Gran Caffè Gambrinus kann man den Espresso mit Kreditkarte bezahlen. Jeder Kiosk, jeder Minisupermarkt akzeptiert bargeldlose Bezahlung. In Berlin hingegen kann man schon froh sein, dass man in Taxis mit EC-Karte bezahlen kann.
4. Die Digitalisierung: Zwei mal fuhren wir von Neapel nach Rom – wunderschöne Landschaft und ein fantastisches WLAN im Zug. Ohne großes Anmeldeprozedere surft man los und hat durchweg ein störungsfreies Netz. Wie das sein kann in einem Land, dem in der Regel nachgesagt wird, nichts Störungsfreies hinzubekommen, ist mir ein Rätsel.
Auch das Netz in unserer Wohnung, einem uralten Bau unweit der Piazza del Plebiscito, einem großen Platz im Zentrum Neapels, funktionierte problemlos.
Fazit: Berlin kann sich eine Scheibe abschneiden, auch von Städten wie Neapel, die mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben als die deutsche Hauptstadt und gleichzeitig in vielen Bereichen wesentlich weiter vorne mit dabei sind. Gerade, was das Zusammenleben und die Digitalisierung anbelangt.


