Liebe & Sex

Wie Sexarbeiterinnen in einem Berliner High-Class-Bordell zu Künstlerinnen werden

Im Studio Lux in Berlin-Tempelhof kann man sich nicht nur auspeitschen lassen, sondern auch Kunst sehen. Unser Autor hat sich hineingewagt.

„Hourly Rate Smile“ (Stundensatzlächeln). Das Neonkunstwerk ist Teil der Ausstellung im Berliner Studio Lux
„Hourly Rate Smile“ (Stundensatzlächeln). Das Neonkunstwerk ist Teil der Ausstellung im Berliner Studio LuxBerliner Verlag

Sexarbeiterinnen waren schon immer auch Objekte der Kunst. So gut wie jedes Gemälde der Nationalgalerie zeigt eine Hure, sei’s eine Mätresse des Königs oder eine einfache Straßennutte. So erzählt es Ginger Angelica, englische Stripperin, Künstlerin und Aktivistin. Man erkenne die männliche Perspektive des Freiers in Werken von Manet bis Toulouse-Lautrec. Heute sei es Zeit für einen Rollentausch – sodass die Objekte zum Subjekt der Kunst werden.

Ich selbst war noch nie bei einer Prostituierten. Besser gesagt, ich habe noch nie für Sex bezahlt. Manche meiner ehemaligen Liebhaberinnen verdienten sich extra Taschengeld als sogenannte Sugar Babies oder Hobbyhuren, eine von ihnen sogar beruflich. Mich störte es nie. Im Gegenteil, ich war sogar irgendwie stolz darauf. Meine Männlichkeit wurde dadurch bestätigt. Die anderen müssen bezahlen, und ich bekomme es kostenlos, so in etwa ging es mir durch meinen unreifen Kopf. Heute bin ich glücklich vergeben. Aber noch immer regen die Themen der Nacht meine Neugier: Discos, Fetischclubs, Sexarbeit.

Domina-Studios und BDSM-Dungeons

Es war dieselbe Neugier, die mich ins Studio Lux nach Berlin-Tempelhof zu einer sonderbaren Veranstaltung brachte: eine Vernissage in einem Domina-Studio, wo reiche, mächtige Männer manchmal einen hohen Preis bezahlen, um erniedrigt, in einen Käfig gesteckt und mit allen möglichen Dingen geschlagen zu werden. Ich habe mich das bisher nicht getraut. Ein Teil dieser gesichtslosen Masse an Freiern zu werden, die Sexarbeit ermöglichen – inmitten dieser hitzigen Debatten über Ethik, Legalisierung und Gewalt –, das war mir zu heiß.

Deswegen sind wir jetzt hier im Studio Lux, einem BDSM-Dungeon, der heute zum Atelier wird. Für die Eröffnung des Raums haben die zwei Kuratorinnen sich etwas Einzigartiges einfallen lassen: Alle Kunstwerke und Performances werden von Sexarbeitern oder Sexarbeiterinnen erschaffen. Ginger hilft ihr Beruf, fernab vom Büroalltag mehr zu genießen. Sie ist Lesbe und hält das in diesem Kontext sogar für einen Vorteil: Sie hat eigentlich keine Lust auf Männer, deswegen ist ihr Strip-Tanz reine Schauspielerei.

Ihr Neonkunstwerk „Hourly Rate Smile“ (Stundensatzlächeln) zeigt rosa Lippen mit einer grünen Giftschlange als Zunge. Selbst das Neon darin ist eine Botschaft: Es verwandelt die Ästhetik des Stripclubs und die Kommerzialisierung des Frauenkörpers, um ihre eigene Existenz zu porträtieren. Gingers Kunden finden ihre Intelligenz merkwürdig. Sie erwarten nicht, dass ihr Porno zurückblickt.

Die Scham der Männer besteht noch immer

Auf so einer Ausstellung spielt natürlich auch Erotikkunst eine Rolle. Außer den Lichtkunstwerken von Ginger und kleiner Tentakel-Dildo-Skulpturen sind die Mehrheit der ausgestellten Werke hier Fotografien. Die Auswahl der Fotos reicht von expliziten Polaroids bis zu blumig verzierten Sexspielzeugen hinter einer Gebetsbank. Familienfreundlich ist etwas anderes.

Die Scham der Männer besteht noch immer: Mittlerweile ist es tabuisierter, Käufer von Sexarbeit zu sein anstatt Verkäufer. Dieses Wort, „Scham“, es taucht in meinem Interview mit den beiden Dominas Lady Lucinda und Fräulein Angelina immer wieder auf. Es gebe in unserer patriarchalischen Welt nur eine Art, ein Mann zu werden, dominant, aggressiv, immer Jäger – nie Beute.

Viele Männer seien davon erschöpft. Sie trügen tagsüber als Chefs oder als Väter viel Verantwortung, sie wollten diesen ganzen Druck beim Sex nicht auch noch. Aber sie trauten sich auch nicht, dies der Ehefrau oder Freundin gegenüber zu äußern. Aus Scham heraus würden sie dann ein Etablissement wie dieses besuchen. „Ist Scham denn schlecht?“, fragte ich nüchtern. „Gar nicht!“, rufen die beiden und lachen. „Damit verdienen wir unser Brot!“ Jüngere Männer würden reflektierter mit ihrer eigenen Männlichkeit umgehen, weswegen es ihnen auch leichter falle, sich einer dominanten Frau hinzugeben.

Bordelle waren immer schon Orte des Austauschs

Lady Lucinda aus Neuseeland schaut einen an wie eine Spinne eine Fliege. Ihre langen Wimpern sind wie eine Falle, ein Netz. Obwohl sie erst seit kurzem beruflich als Domina unterwegs ist, hat sie privat bereits viele Erfahrungen gesammelt. Dieser Schritt, ihr Hobby zum Beruf zu machen, sei eine Erleichterung. Sie könne jetzt die großzügige Ausstattung des Studios genießen.

Lucinda bietet mir eine kurze Probe mit der Peitsche an. Journalistische Professionalität war meine Ausrede, um Nein zu sagen, aber in Wirklichkeit macht mir, hart geschlagen zu werden, einfach keinen richtigen Spaß. Vanille ist tatsächlich mein Lieblingseis. Trotz meiner Feigheit erklären mir die beiden Damen das wichtigste Werkzeug ihres Geschäfts: Empathie. Es gehe in erster Linie darum, sehr sorgfältig auf den emotionalen Zustand des Kunden zu achten. Grenzen überschreiten, ja – aber nicht zu doll. Scham, sagt Lucinda, gehöre auch dazu. Also, sie im Kunden hervorzurufen. Nur muss man eben sehr vorsichtig danach fragen.

Aber warum hält man überhaupt eine Ausstellung in so einem High-Class-Bordell ab? Und inwiefern spielt Kunst hier wirklich eine Rolle? Die Betreiberin des Studios, Lady Velvet Steel, hält mir dazu einen historischen Vortrag. Bordelle seien schon immer Orte des Austauschs gewesen. Und zwar nicht nur von Körperflüssigkeiten, sondern eben auch von Kultur.

Vor einem Jahrhundert etwa seien Politiker, Künstler und Huren hier zusammengesessen und hätten Bier getrunken, sich über Kunst, Politik und auch Klatsch unterhalten und sogar Verrat konspiriert. Das Bordell war Teil des Gemeinlebens. Heute ist das nicht mehr so. In Deutschland sind Bordelle legal und mit dem spätkapitalistischen Zeitgeist verbunden. Statt Ausgelassenheit herrscht in vielen dieser Orte heute hochfinanzierter Genussrausch, wobei die Frauen sich oft unter Druck gesetzt fühlen, alle möglichen Varianten von Kundenwünschen zu erfüllen. Das ist vielleicht an sich nicht schlecht – kann aber auch zu einer Art Abwärtsspirale führen.

Kunst hängt hier aber keineswegs bloß an den Wänden. Die Neonskulpturen sind mit Shibari-Seilen angebracht. Es gibt Performances, Tanzeinlagen und erotische Comedy, sogar eine rappende Domina mit Dreads. Mein Lieblingswerk stammt von einer sogenannten Bizarrelady – eine Art Soft-Domina, die es in der Form nur in Deutschland gibt.

Als das Interesse an BDSM mit dem Buch „50 Shades of Grey“ explodierte, besuchten viele Neukunden das Studio Lux und ähnliche Orte. Für manche war es hier zu hart. Lady Velvet Steel verweigert es, den Namen dieses Buches überhaupt auszusprechen. Ihr Studio sei ein viel besserer Spielort der erotischen Kunst – in all ihren Formen.