Historiker verlässt Denkmal-Kommission

„Thälmann war nun einmal auch Stalinist, und zwar knallharter Stalinist“

Der Historiker Jens Schöne hat einen kritischen Blick auf Ernst Thälmann, seine Nachwirkungen in der DDR und die Errichtung des Denkmals im Jahre 1986. 

Das Denkmal für Ernst Thälmann in der Greifswalder Straße im Jahre 2009, damals noch nicht von Graffitis überzogen. 
Das Denkmal für Ernst Thälmann in der Greifswalder Straße im Jahre 2009, damals noch nicht von Graffitis überzogen. imago

Berlin-In den frühen Neunzigerjahren sollte es eigentlich abgerissen werden: das 14 Meter hohe und 50 Tonnen schwere Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße in Pankow. Aus Kostengründen blieb es stehen, und seit jeher wird über das Denkmal gestritten. Vor drei Wochen verließ nun der Historiker und Stellvertreter des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Jens Schöne, eine Kommission, die zur historischen Einordnung des Denkmals einberufen worden war. Man konnte sich nicht auf einen Text einigen, der auf Stelen, die zusätzlich aufgestellt werden, stehen sollte. Im Interview erklärt Schöne seinen Entschluss und seine persönliche Sicht auf Thälmann und Thälmanns Nachwirkung in der DDR der Achtzigerjahre.

Ernst Thälmann war von 1925 bis 1933 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands. Bereits 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet, gefoltert und 1944 vermutlich auf persönlichen Befehl von Adolf Hitler in Buchenwald erschossen. Thälmann ist historisch in seiner Rolle in der Weimarer Republik nicht unumstritten. Wird er von den einen als großer kommunistischer Widersacher der Nazis geehrt, sehen andere in ihm auch den überzeugten Stalinisten, der vor allem die SPD bekämpfte und Mitglieder der KPD, die ein antifaschistisches Bündnis mit den Sozialdemokraten gegen Hitler forderten, aus der Partei ausschloss. Thälmanns Andenken wurde in der DDR ausgiebig gepflegt sowie politisch Instrumentalisiert. So wurden unter anderem zensierte Briefe Thälmanns veröffentlicht und mehrere Filme über ihn gedreht.

Herr Schöne, wie kam es zu Ihrer Mitarbeit in der Kommission, die für die historische Einordnung des Thälmann-Denkmals und seines Umfeldes in Pankow zuständig war?

Als Behörde des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind wir in der Hauptstadt für die DDR-Geschichte quasi zuständig. Als wir mitbekamen, dass das Thälmann-Denkmal historisch eingeordnet werden soll, haben wir uns mit dem Bezirk Pankow in Verbindung gesetzt, weil wir befürchteten, dass der Blickwinkel sonst etwas eng sein könnte. Thälmann war schließlich nicht nur für Pankow von Bedeutung. Als dann entschieden wurde, eine Historikerkommission einzuberufen, war ich unter den eingeladenen Personen. Daraus entwickelte sich fast durchgängig eine gute Zusammenarbeit, das möchte ich hier ausdrücklich betonen.

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Foto: Fanny Heidenreich
Dr. Jens Schöne
ist 1970 in Staßfurt (Sachsen-Anhalt) geboren, studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Neuere Geschichte und promovierte an der Freien Universität mit einer Arbeit über die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft. Heute ist Schöne als Stellvertreter des Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur des Landes Berlin tätig und arbeitet darüber hinaus als Lehrbeauftragter an der HU.

Über die Einordnung Thälmanns und des Denkmals gab es schon mehrfach Differenzen. Nun sind Sie vor ein paar Wochen aus der Kommission ausgetreten, unter anderem weil sie mit einem Satz im Gutachten nicht einverstanden sind.

Insgesamt sehe ich Thälmann kritisch und finde, dass auf jeden Fall ein differenzierter Blick auf seine Person geboten ist. Thälmann war nun einmal auch Stalinist, und zwar knallharter Stalinist. Das kann in seiner Einordnung nicht außen vor bleiben. Zu dem Satz im Gutachten, der von einem „volkstümlichen Glauben“ an Thälmann in der DDR-Bevölkerung der Achtzigerjahre spricht: Ich kam im Sommer aus dem Urlaub zurück und wurde mit einem Text konfrontiert, mit dem ich teilweise nicht einverstanden war und den ich so nicht vertreten kann.

Sie sprechen über die Aussage, es habe eine Art „volkstümliche Verehrung des KPD-Vorsitzenden“ gegeben, „die eine gewisse Widerständigkeit gegen die erstarrte DDR-Wirklichkeit auszudrücken versuchte“.

Ja. Das ist, wie ich an anderer Stelle schon betont habe, Unsinn. Das konnte man in den Fünfzigerjahren vielleicht beobachten – die Altkommunisten, die ihren Teddy liebten, aber doch nicht in den späten Achtzigern! Als ich diesen Text gesehen habe und erfuhr, dass er in dieser Form nun schnell noch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode durch die zuständigen Gremien gebracht werden sollte, habe ich gesagt: „Das geht so nicht.“ Dann bin ich ausgetreten, weil ein Kommissionsmitglied sich strikt weigerte, den Satz zu streichen.

Wie kann es sein, dass sich über so etwas eine ganze Kommission entzweit? Kann man sich da nicht einigen? 

Für mich war die Angelegenheit entschieden, als ich merkte, dass dieser Satz genau so stehen bleiben würde. Warum das so unverhandelbar war, kann ich nicht abschließend beurteilen.

Wie wurde Thälmann Ihrer Meinung nach denn tatsächlich in den Achtzigerjahren gesehen? Welche Rolle spielte er?

Er hat kaum noch jemanden interessiert. Er war eine Art mystische Figur, die durchaus präsent war. Aber die Leute hatten ganz andere Probleme. Natürlich – die SED-Führung hat sich für Thälmann als Objekt der eigenen Inszenierung begeistert. Das Errichten des riesigen Denkmals war 1986 ein letztes Aufbäumen gegen die zunehmende Stagnation in der DDR, die so keine Zukunft hatte. So versuchte man wenigstens den Schein aufrechtzuerhalten und das eben auch mit diesem inszenierten Thälmannkult und den nach ihm benannten Pioniergruppen, die vor der Statue zur Einweihung jubeln mussten. Die Büste war eine pure Inszenierung der Partei- und Staatsführung. Davon, dass große Teile der DDR-Bevölkerung ein inniges Verhältnis zu Thälmann hatten, kann keine Rede sein.

Würden Sie diese komplexen Nachwirkungen und die Inszenierung Thälmanns in der DDR auf eine Stele vor Ort bringen?

Hier ist zu bedenken, dass es sich immer um eine sehr begrenzte Zeichenzahl handelt. Man kann also unmöglich die Rolle und das Nachwirken Thälmanns in der DDR vollständig erfassen. Umso wichtiger aber ist es, die Zusammenhänge auch in der Kürze differenziert darzustellen. Ich bin im Übrigen ziemlich unaufgeregt, was dieses ganze Thema angeht. Inhaltlicher Meinungsstreit ist unter Historikerinnen und Historikern nichts Ungewöhnliches, insofern bin ich durchaus bereit, wieder in der Kommission mitzuarbeiten. Wir müssen dazu nur einen Modus finden, der Sinn macht.

Wir diskutieren im Moment viel über Straßennamen, über deren Umbenennung und darüber, welche Namen wir auch aus dem Erscheinungsbild der Städte und Kommunen tilgen wollen. Auch in Bezug auf Thälmann gab es bereits solche Forderungen. Wie stehen Sie in seinem Fall zu dieser Debatte?

Ich finde nicht, dass man den Namen Thälmanns grundsätzlich aus dem Straßenbild tilgen sollte. Schließlich entstehen durch die Existenz solcher Straßen auch notwendige Debatten um seine Person. Mir fällt selbst auf: Durch die ganze Denkmal-Geschichte komme ich nun jedes Mal, wenn ich eine Thälmannstraße passiere, ins Nachdenken. Wir müssen über die historische, vielschichtige Person reden: ergebnisoffen, differenziert, klug. Der historisch-politischen Bildung kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu.

Können Sie sich an die Einweihung der Statue selbst erinnern?

Ich kann mich nicht wirklich erinnern, müsste es aber eigentlich mitbekommen haben. Schließlich war das eine große Sache und überall im Fernsehen. Das war die Zeit unmittelbar vor der 750-Jahr-Feier Berlins, die im Osten der Stadt als großer sozialistischer Siegeszug inszeniert wurde, mit Hunderttausenden von Zuschauern vor Ort und stundenlangen Übertragungen im Fernsehen. Es war die Zeit, in der Bob Dylan plötzlich in der DDR auftrat und 1988 dann auch Bruce Springsteen. Das waren Dinge, die mich mit 17, 18 interessiert haben und an die ich mich genau erinnere, nicht die Einweihung des Thälmann-Denkmals. Das war eher eine Feierlichkeit für die alten Herren von der SED, die mit der Lebensrealität nichts mehr zu tun hatte.

Das Gespräch führte Friedrich Conradi.