Stadtbild

Wut an der Kasse: „Das sind keine 1,5 Meter Abstand“

Ja, ist denn noch Pandemie in Berlin? Nein. Aber zum Pöbeln im Supermarkt taugt die gute alte Abstandsregel immer noch. Hat das was mit dem Wetter zu tun?

„Das sind keine 1,5 Meter Abstand!“
„Das sind keine 1,5 Meter Abstand!“Pajović/BLZ

Da steht man also morgens noch verschlafen an der Supermarktkasse, ahnt nichts Böses, als weiter vorne plötzlich der Sturm losbricht. „Gehen Sie weg!“, brüllt da jemand seinen Hintermann an und kramt, zumindest in Teilen, die alte Aha-Regel wieder hervor. Sie erinnern sich, Abstand, Hygiene, Alltagsmaske. „Das sind keine 1,5 Meter Abstand“, stellt der Herr also wütend fest.

In der Sache ist das durchaus richtig, aber der Ton macht ja bekanntermaßen die Musik und überhaupt ist die Situation einigermaßen paradox. Denn sein Hintermann, der den Aha-Regel-Teil mit der „Alltagsmaske“ als Einziger im ganzen Supermarkt noch befolgt hatte, aber das nur nebenbei, hatte den Bruch der ja gar nicht mehr gültigen Regel nur begangen, um eine andere, hierzulande wichtige Sozialnorm zu erfüllen: den Warentrenner aufs Kassenband zu legen. Und weil der eben nicht in greifbarer Nähe lag, hatte der Maskenträger, sicher nur kurz und ausnahmsweise, den 1,5-Meter-Abstand unterlaufen und sich fast an seinem Vordermann schmiegend mit langem Arm versucht, den Warentrennstab zu erhaschen.

Dass er dafür nun mit geradezu rechtshistorischen Moralappellen behelligt wird, passt dem so Gescholtenen natürlich gar nicht. „Dann müssense nicht so im Weg stehen“, rechtfertigt er sich, was wiederum in meiner Position nicht hörbare, aber ganz gewiss zornige Reaktionen seines Kontrahenten hervorruft.

An Beschwichtigungsversuchen der Kassiererin, die nun mäßigend einwirken möchte, hat er zudem kein Interesse: „Ich rede nicht mit Ihnen, sondern mit dem Herren hinter mir“, stellt er fest, um dann doch mit der Kassiererin zu reden: „Muss ich mich hier bedrängen, muss ich mich bepöbeln lassen?“, fragt er sie ebenso rhetorisch wie laut.

Da sind wir also schon beim Bepöbeln, aber bei einer solchen Eskalationslogik macht die Kassiererin nicht mit. Lässig zieht sie die Ware über den Scanner, redet weiter so beschwichtigend wie vergebens auf den schnaubenden Kunden ein und wünscht schließlich einen „schönen Tag“, was natürlich unerwidert bleibt.

Der zornige Herr verlässt den Laden und sein Hintermann schafft es trotz Maske, der Kassiererin mimisch seine Verwunderung über das Geschehene zu signalisieren, was diese ebenso mimisch spiegelt. Dann fährt ein weiterer Kunde die Kassiererin an, sie möge doch bitte Abstand halten. Haha, kleiner Scherz, alles Ironie.

So sorgt der Zornesausbruch dann sogar für allgemeine Erheiterung und überhaupt: Studien haben gezeigt, dass hohe Temperaturen auch die Emotionen schneller hochkochen lassen. Insofern war der wütende Herr vielleicht auch nur ein Indikator dafür, dass das Wetter nun endlich besser wird.