Berlin - „Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee …“, so lautet der erste Vers der Inselhymne von Hiddensee, gesungen von Nina Hagen, seit 1974 einer der populärsten Songs der Sängerin. Angela Merkel hat sich vom Musikchor der Bundeswehr dieses Lied für ihren Großen Zapfenstreich zum Abschied vom Kanzleramt gewünscht. Hiddensee gehört zu ihrem Wahlkreis, hier hat sie achtmal ihr Bundestagsmandat gewonnen. Das Foto, das die junge CDU-Direktkandidatin 1990 inmitten von fünf Männern in einer Fischerhütte im Südosten der Insel Rügen zeigt, ging um die Welt.
„Micha, mein Micha, und alles tat so weh …“, lautet die zweite Zeile, und der Schmerz ist mittlerweile ein vielfacher, denn der Sanddorn stirbt – seit Jahren, in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Statt Reihen von Büschen mit günsilbernen Blättern, in denen orange Beeren leuchten, stehen jetzt an den Hängen rund um den Leuchtturm auf dem Hiddenseer Dornbusch blatt- und fruchtlose graue Strünke – ein trauriger Anblick.

Die Wissenschaftler rätseln. Etwa seit 2015 beobachteten sie, wie der Sanddorn auf den inzwischen zahlreichen Plantagen in Mecklenburg-Vorpommern einging. Betroffen sind aber auch die Wildformen der Region. Zudem tritt das Phänomen auch in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Österreich und China auf – überall kahle Büsche. Der erste Verdacht fiel auf einen Pilz, der an den untersuchten Pflanzen gefunden wurde, der Gefäße des Sanddorns hinaufwandert und derart verstopft, dass die Pflanze weder Wasser noch Nährstoffe aufnehmen kann.
Viele der Bauern, die die an Vitamin C extrem reichen Sanddornbeeren anbauten, pflanzen seit Jahren nicht mehr nach, die Ernten sind enorm gesunken, die Sache lohnt sich nicht mehr. Erste Bauern steigen auf Walnuss um und haben entsprechende Plantagen angelegt.
Abschied vom Sanddorn
Ein Anfang 2021 unter Leitung des Landesamtes für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei vom Mecklenburg-Vorpommern gestartetes Forschungsprojekt soll nun endlich der Ursache auf die Spur kommen und Maßnahmen entwickeln, wie der Sanddorn zu retten sei. Geht es nämlich so weiter, stirbt die landschaftsprägende Pflanze der Ostsee aus.
Vor dem Sichtbarwerden der Pflanzenschäden war man stets davon ausgegangen, dass der Sanddorn ein sehr robustes Gewächs sei, das mit seinem speziellen Wurzelwerk auch im kargen Sandboden eine Symbiose mit stickstoffbindenden Bakterien eingeht, über die die Pflanze Nährstoffe bezieht. Inzwischen wird deutlich, dass sie sensibler ist als vermutet, zum Beispiel andauernde Nässe im Wurzelwerk nicht mag. Aber eigentlich waren die problematischen Jahre eher zu trocken als zu nass.
